Das Sinfonische Jugendblasorchester im Jahr 2011: Für Musikschüler eine willkommene Gelegenheit für öffentliche Auftritte. Foto: Musikschule Stuttgart

Wer an der Musikschule ein Instrument lernen möchte, braucht einen langen Atem. Die Warteliste ist lang, die Schule hat zu wenig Lehrer. Nun sind drei neue Stellen beantragt, doch auch die Ansprüche an die Musikschule steigen: Sie soll sich zudem am Ganztagsunterricht der Grundschulen beteiligen.

Stuttgart - Gitarre, Blockflöte und Violine stehen ganz oben auf der Beliebtheitsskala. Wohl dem, der einen freien Unterrichtsplatz ergattert hat. Denn 1738 Kinder und Jugendliche stehen auf der Warteliste.

Der überwiegende Teil, rund 1000, sind gerade im geeigneten Alter, um ein Instrument zu erlernen. Ihre Eltern sind sehr genügsam: Sie haben weder einen bestimmten Wunschlehrer, noch fordern sie einen Unterricht in ihrem Stadtteil, sondern würden ihre Kinder zum Unterricht in den Treffpunkt Rotebühlplatz oder in den Nachbarstadtteil schicken. Trotzdem werden manche von ihnen wohl den besten Zeitpunkt für einen Einstieg in den Instrumentalunterricht verpassen.

Darüber hinaus stehen rund 200 Kinder und Jugendliche bereits seit über zwei Jahren auf der Warteliste. „Diese Liste muss allerdings differenziert betrachtet werden“, relativiert Friedrich-Koh Dolge, der Direktor der Musikschule. Einige Eltern wüssten um die langen Wartezeiten und meldeten ihre Kinder deshalb schon im Alter von vier Jahren an, andere warteten auf einen freien Platz bei einer bestimmten Lehrkraft und einige auf einen Unterrichtsplatz in ihrem Stadtteil. Dolge: „Unser Ziel ist es, die Warteliste abzubauen, so dass wir zumindest denen, die länger als zwei Jahre warten, den Einstieg bei uns ermöglichen können.“

Warteliste abbauen

Im Prinzip sei die lange Warteliste, so Dolge, etwas Positives: Das große Interesse zeige, dass die musikalische Bildung innerhalb zahlreicher Familien eine wichtige Rolle spielt. „In Stuttgart sind wir diesbezüglich sehr gut positioniert“, so Dolge. Zwar stünden viele Kinder auf der Warteliste, „dafür haben wir aber auch etwa 7000 Schülerbelegungen“, sagt der Musikschul-Chef. Rund 4000 Schüler erhalten Einzelunterricht; um die 2000 Namen sind im Bereich der Elementaren Musikpädagogik verzeichnet.

In Zusammenarbeit mit Kindergärten, Kindertagesstätten und Schulen finden in diesem Rahmen externe Kooperationsprojekte statt, die auf musikalische Früherziehung und allgemeine musikalische Bildung abzielen. Etwa 1000 weitere Kinder und Jugendliche nutzen die Ensemblefächer an der Musikschule wie etwa das Blasorchester, Big Bands oder das Sinfonieorchester. Nun aber soll vor allem die Warteliste abgebaut werden. Deshalb hat die Musikschule drei neue Stellen bei der städtischen Kulturverwaltung beantragt. Momentan teilen sich 180 Lehrkräfte 100 Planstellen.

Friedrich-Koh Dolges Wunsch findet offene Ohren; Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann unterstützt die Bemühungen der Musikschule: „Die neuen Stellen sind dringend notwendig. Ich hoffe, dass wir sie bekommen.“ Die Entscheidung fällt im Rahmen der Haushaltsplanung 2014/2015 des Gemeinderats. „Natürlich wären mehr Stellen sehr schön“, sagt Dolge, „aber wir müssen im finanzierbaren Rahmen bleiben. Deshalb haben wir uns auf diesen Nenner geeinigt.“ Mit einer Kombination aus Einzel- und Gruppenunterricht könne die Warteliste zumindest zum Teil abgebaut werden.

Angesichts der Einführung von Ganztagsgrundschulen sieht sich die Musikschule mit weiteren Problemen konfrontiert: Wenn Kinder nachmittags nicht mehr zum Musikunterricht kommen, könnte der Schule die Kundschaft wegbrechen. „Wir halten ein Ganztagsschulgesetz durchaus für nötig“, betont Dolge. „Es sollten aber Korridore geschaffen werden, damit die Schüler trotzdem eine individuelle musikalische Bildung erhalten können.“ Diese müsse dringend bereits im frühen Kindesalter beginnen.

Besorgter Elternbeirat der Musikschule

Bis zum Jahr 2020 soll es in Stuttgart ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsgrundschulen mit vier Schultagen bis 16 Uhr geben. An einem Tag soll für alle Kinder um 12 Uhr Schulschluss sein. Daneben werden weiterhin Halbtagsschulen existieren. „Es wird an jedem Standort eine Wahlmöglichkeit für die Eltern geben“, so Eisenmann. Die Bürgermeisterin sieht kein Problem in der Kombination von Ganztagsschule und außerschulischem Musikunterricht: „Auch nach 16 Uhr haben die Kinder Zeit zur Verfügung.“ Hausaufgaben fallen für die Ganztagsschüler an den langen Schultagen weg.

Der Elternbeirat der Musikschule ist indes besorgt: „Es gibt viele Eltern, die sich ein flexibleres Ganztagsschulmodell wünschen“, berichtet die Vorsitzende des Beirats, Gabi Döring. Die Vorstellung, Kinder zugunsten musikalischer Förderung zeitweise vom Unterricht befreien zu können, sei aber kaum umsetzbar. „Da wird die Schulleitung nicht mitmachen.“ Und an der Musikschule könne schließlich nicht bis Mitternacht gelehrt werden.

Ein anderes Problem stellt sich, wenn die Musikschule in das Ganztagskonzept eingebunden werden soll. Dolge will dafür geeignete Lösungen in Form von Kooperationsprojekten mit den Grundschulen finden. „Wir sind da flexibel und bereit, neue, innovative Unterrichtskonzepte anzubieten“, erklärt er. Er sieht darin auch eine Chance: Die Einbindung des individuellen Musikunterrichts in den Schulalltag hätte den positiven Effekt, dass man damit auch Kinder erreichen könnte, die sonst den Zugang zur Musik kaum fänden.

Der Musikschulleiter ist optimistisch: Trotz knapper Personaldecke könnte dies mit einer effektiven Organisation und einem sinnvollen Stundenplan funktionieren. „Ideal wäre, wenn eine Lehrkraft den gesamten Nachmittag an einer Schule verbringen würde.“