Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) plant ein neues Wehrpflichtmodell für die Bundeswehr. Aber warum gibt es die Wehrpflicht eigentlich nicht mehr? Und in welchen Nato-Staaten gilt sie noch?
Spätestens seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wird in Deutschland wieder verstärkt über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat am Mittwoch dann Pläne für einen neuen Wehrdienst vorgestellt.
Zustimmung kam in diesem Zusammenhang etwa aus der FDP, bei den Unionsparteien stießen die neuen Pläne des Verteidigungsminister auf Kritik. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Johann Wadephul (CDU), sagte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Donnerstag): „Das von Minister Pistorius vorgestellte Modell für einen neuen Wehrdienst ist nicht Fisch und nicht Fleisch.“
Was sehen die Pläne von Pistorius vor?
Pistorius zufolge sollen pro Jahr 5.000 Freiwillige zusätzlich für einen Grundwehrdienst zwischen 6 und 17 Monaten gewonnen werden. Dafür sollen alle 18-jährigen Männer eines Jahrgangs einen Fragebogen beantworten müssen. Von den 400.000 Angeschriebenen sollen 40.000 Interessenten verpflichtend zur Musterung eingeladen werden. Frauen sollen auf freiwilliger Basis angeschrieben werden.
Wer hat die Wehrpflicht abgeschafft?
Aber warum wird über das Thema Wehrpflicht beziehungsweise deren Einführung überhaupt diskutiert? Wer hat sie hierzulande abgeschafft? Und warum? Genau genommen wurde die Wehrpflicht in Deutschland überhaupt nicht abgeschafft. Sie wurde im Juli 2011 nach 55 Jahren unter dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nur ausgesetzt. Seitdem ist die Bundeswehr eine Berufsarmee. Dafür änderte der Bundestag das Wehrpflichtgesetz ab.
Das Aussetzen der Wehrpflicht kam in der Praxis einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich. Gleichzeitig wurden praktisch alle nötigen Strukturen für eine Wehrpflicht aufgelöst. Gesetzlich festgelegt ist allerdings weiter, dass die Wehrpflicht für Männer im Spannungs- und Verteidigungsfall wieder auflebt. Dafür muss der Bundestag mit einer Zweidrittelmehrheit den Weg freimachen.
Der entsprechende Artikel 12a des Grundgesetzes, nachdem eben jeder männliche deutsche Staatsbürger „vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden“ kann, blieb also von der Aussetzung unangetastet. Jedoch wird seit 2011 niemand mehr für den Dienst einberufen.
Warum wurde die Wehrpflicht ausgesetzt?
Die Aussetzung der Wehrpflicht war damals Teil der angestrebten Streitkräftereform, mit der die Bundeswehr von damals rund 255.000 Soldaten auf bis zu 185.000 verkleinert werden sollte. Sie erschien damals als ein Überbleibsel vergangener Zeiten. Dass sich das Land verteidigen müsste, war damals schwer vorstellbar, zumal Deutschland von befreundeten Staaten umgeben war.
Wie steht es um das Thema Wehrpflicht in anderen Nato-Ländern?
Viele europäische Staaten haben die Wehrpflicht in der Vergangenheit abgeschafft oder zumindest ausgesetzt. Einige haben sie inzwischen aber wieder eingeführt. Eine Auswahl:
- Schweden: Nachdem Schweden die Wehrpflicht 2010 ausgesetzt hatte, wurden sie sieben Jahre später wieder eingeführt. Trotzdem werden längst nicht alle jungen Männer und Frauen aus einem Jahrgang eingezogen. Nachdem zunächst alle einen Fragebogen von der Musterungsbehörde bekommen, wird nur ein Teil von ihnen zur Musterung eingeladen. Ein ausgewählter Kreis wiederum erhält dann am Ende Angebote für einen Dienst. Es handelt sich also um eine Art Musterungspflicht. In sechs bis 15 Monaten bekommen die Rekrutinnen und Rekruten eine militärische Grund- und Führungsausbildung.
- Dänemark: In Dänemark gilt die Wehrpflicht bislang für Männer ab 18 Jahren. Weil es genug Interessenten gibt, wird aber nur ein Teil eines Jahrgangs einberufen. Doch das soll sich ab 2026 ändern: Geplant ist, dass die Wehrpflicht auch auf Frauen ausgeweitet wird. Der Grundwehrdienst soll zudem von vier auf elf Monate verlängert werden.
- Griechenland: In Griechenland herrscht eine Militärpflicht für alle Männer. Sie beträgt zurzeit in allen Waffengattungen zwölf Monate. Wer an den Grenzen dient, bleibt nur neun Monate. Das gilt auch für Sondereinheiten, wie beispielsweise bei den Fallschirmjägern oder den Tauchern. Daneben gibt es die Möglichkeit zu einem Zivildienst, der aber doppelt so lang dauert. Wegen schrumpfender Bevölkerung plant Athen einen freiwilligen Militärdienst auch für Frauen.
- Türkei: In der Türkei gilt die Wehrpflicht laut Gesetz für alle Männer zwischen 20 und 41 Jahren. Sie müssen mindestens sechs Monate dienen. Gegen eine Zahlung von umgerechnet etwa 5200 Euro kann die Zeit auf vier Wochen verkürzt werden. Sich dem Wehrdienst zu entziehen, wird mit Geldbußen und Gefängnis bestraft. In der Vergangenheit machte es die Regierung mehrfach zeitlich begrenzt möglich, sich vollständig vom Wehrdienst freizukaufen. Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt es nicht.
- Lettland: Lettland hatte in Reaktion auf den Angriffskrieg des Nachbarlandes Russland gegen die Ukraine den Wehrdienst schrittweise wieder eingeführt: zunächst von Mitte 2023 an auf freiwilliger Basis, seit Anfang 2024 verpflichtend. Eingezogen werden Männer im Alter von 18 bis 27 Jahren. Frauen können freiwillig die elfmonatige militärische Ausbildung absolvieren. Ein alternativer Ersatzdienst ist in einer dem Verteidigungsministerium unterstellten Einrichtung zu leisten.
Hierzulande wünscht sich laut einer Befragung eine deutliche Mehrheit der Deutschen die Rückkehr zur Wehrpflichtarmee. 60 Prozent der vom Marktforschungsinstitut YouGov im Auftrag von „Welt am Sonntag“ Befragten befürworten die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht „voll und ganz“ (28 Prozent) oder „eher“ (32 Prozent). 32 Prozent lehnen sie ab – 18 Prozent „eher“ und 14 Prozent „voll und ganz“. Acht Prozent machten keine Angaben. Andere Umfragen liefern ähnliche Ergebnisse.