Berlin - In Afghanistan bricht das Schlusskapitel des Bundeswehreinsatzes an; in Mali soll ein neuer beginnen. Verteidigungsminister Thomas de Maizière will in beiden Fällen keinen Erfolg garantieren.

Herr Minister, der Bundestag stellt gerade die Weichen für das neue Afghanistan-Mandat bis Februar 2014. Mutmaßlich für eines der letzten Kapitel dieses umstrittenen deutschen Einsatzes. Wie gehen wir daraus hervor?

Da gibt es viel zu lernen. Was ich vor allem gelernt habe, ist: Wir müssen zu Beginn solcher Operationen realistisch mit den Zielen sein. Und da sind wir schon beim ersten Problem. Der Rückhalt für solche Einsätze ist in unserer Bevölkerung immer dann am größten, wenn es um Freiheit und Menschenrechte geht. In manchen fremden Kulturen sind aber gerade diese Ziele am schwierigsten zu erreichen. Anzustreben, dass von Afghanistan kein Terrorismus mehr exportiert wird und dort ein einigermaßen angemessenes Sicherheitsniveau unter afghanischer Führung besteht, ist zwar richtig, aber vielleicht nicht spektakulär.

Wenn Sie heute Ziele, Aufwand undErreichbares seit 2001 ins Verhältnis setzen – wäre dann 2003 der richtige Zeitpunkt für das Ende dieses Einsatzes gewesen, als die Taliban besiegt waren?

Die Pläne der Nato für Afghanistan konzentrieren sich darauf, die Truppen über den Norden des Landes abzuziehen. Heißt das: über die dort stationierte Bundeswehr hinweg – und die macht dann das Licht aus?

Aber genau diesen Eindruck habendoch damals und noch lange danach die politische und die militärische Führung in Deutschland erweckt ...

Wir haben vor dem Strategiewechsel 2009 gesehen, dass die Taliban wieder ganze Gebiete kontrollierten, dass sogar unsere Lager beschossen wurden. Das musste die Isaf erst einmal wieder umdrehen, leider auch unter Verlusten. In Ihrer Frage steckt ja eine tiefere: Worin bemisst sich der Erfolg solcher Einsätze? Und wer stellt ihn wann fest? Die Antwort ist schwer.

Wollen Sie es am Beispiel Afghanistan trotzdem versuchen?

Ob dieser Einsatz ein Erfolg war, werden wir 2015 noch nicht wissen, auch noch nicht in den Jahren unmittelbar danach. Da kann es sogar Rückschläge geben. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Wir haben kürzlich die letzten beiden Bundeswehr-Soldaten aus Bosnien-Herzegowina abgezogen. Nach 22 Jahren! Trotzdem ist zu sagen: Das war ein Erfolg, auch wenn das heute immer noch ein sehr komplizierter Staat ist. Hätten wir dasselbe Ergebnis gehabt, wenn wir schon vor zehn Jahren gegangen wären? Oder war es nicht vielmehr richtig, die Soldaten quasi als Rückversicherung dort zu lassen? Der frühere amerikanische Außenminister Colin Powell hat gesagt: Wenn man in ein Land militärisch reingeht, übernimmt man dort Verantwortung, auch wenn man das gar nicht will. So sehe ich das auch. Man braucht Geduld.

Was wird in Afghanistan passieren, wenndie Nato weg ist, also von 2015 an?

Diese Frage ist besonders spannend. Da gibt es zwei Argumentationen. Die einen sagen: Wenn wir mit gewissen ausbildenden Truppenteilen dort bleiben, sei es ja gar kein vollständiger Abzug. Die anderen sagen: Wenn wir völlig rausgehen, könnte in Afghanistan ein Chaos ausbrechen wie nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1988. Deswegen sind die fachliche Erarbeitung und die schlüssige Begründung eines Mandats für 2015 und die folgenden Jahre so wichtig für die Akzeptanz – sowohl in Deutschland als auch in Afghanistan.

"Ich kann keine Garantie für den Erfolg geben"

Worauf zielen Sie dann ab: Auf ein friedliches oder auf ein friedfertiges Afghanistan?

Als Verteidigungsminister arbeite ich mit meinem Verantwortungsbereich natürlich erst einmal am Sicherheitsniveau. Aber das reicht nicht aus. Hinzukommen müssen Elektrizität, Infrastruktur, Bildung, Arbeitsplätze. Daher stellt sich die Frage: Was passiert, wenn 2014 zwar die Sicherheitsstruktur schon halbwegs passt, das andere aber nicht? Deswegen muss auch ein Verteidigungsminister Wert darauf legen, dass zum Beispiel die Förderung von Bodenschätzen, die Alphabetisierung, also die Entwicklung besser in Gang kommen.

Welche Rolle werden die afghanischen Streitkräfte spielen, auf deren Unterstützung sich die Bundeswehr nun konzentriert?

Um bei der Alphabetisierung zu bleiben: Wohl in keinem anderen Bereich der Gesellschaft ist sie unter Männern jungen und mittleren Alters so hoch wie in der Armee. Auch das ist ein Ergebnis unserer Ausbildung. Außerdem ist die Armee eine der wenigen Klammern, die diese Nation zusammenhalten. Ob das für den Erhalt der Einheit reicht, mit der es seit Jahrhunderten immer wieder Probleme gegeben hat, kann niemand sagen. Ich kann keine Garantie für den Erfolg dessen geben, was wir in Afghanistan leisten. Das sage ich klar. Ich weiß aber: Dort einfach wegzugehen oder noch viel länger so zu bleiben wie bisher – das wären zwei Wege in den sicheren Misserfolg.

Die Pläne der Nato für Afghanistan konzentrieren sich darauf, die Truppen über den Norden des Landes abzuziehen. Heißt das: über die dort stationierte Bundeswehr hinweg – und die macht dann das Licht aus?

Das neue Mandat für den Afghanistan-Einsatz sieht eine Truppenreduzierung um 1100 Dienstposten vor. Das ist erheblich. Das ist gewollt. Die Lage lässt das auch zu. Wir machen die Reduzierung über den Norden, teils über einen Hafen in der Türkei als Zwischenpunkt. Man wird ja nicht jeden rostigen Container nach Deutschland überführen, aber kann auch dort keinen Müllberg hinterlassen.

Die Frage war die nach den anderen Staaten: Sichern wir deren Rückzug über den Norden?

Die anderen 17 Nationen, die auch im Norden eingesetzt sind, werden wohl wie wir über die dort bestehenden Wege abziehen. Wir haben auch den Nationen, die in anderen Teilen Afghanistans operieren, angeboten, über den Norden zu gehen. Das hat aber Grenzen. Der Tunnel von Salang ist die einzige Süd-Nord-Verbindung über den Hindukusch, und seine Kapazitäten sind sehr begrenzt. Ich rechne nicht damit, dass der ganze Rückzug über den Norden verläuft. Wir tun als Nato gut daran, alle Wege zu planen, auch den über Pakistan.

Das Lösen der Truppe aus einer Konfliktzone gehört zu den besonders schwierigen militärischen Aufgaben. Gleichzeitig steht die Reduzierung des Bundeswehr-Kontingents um 1100 Soldaten an. Rechnen Sie also fest mit einem friedlich-schiedlichen Abschied?

Sie haben recht: Viele unterschätzen, dass eine solche Rückverlegung auch kritische Phasen haben kann, dass wir vorübergehend verwundbar sein könnten. Da reist man nicht einfach ab. Deswegen gehört zu einer solchen Großoperation immer auch die Sicherung. Das erklärt auch, warum wir unsere Truppe nicht noch stärker reduzieren. Einen Beitrag zur Sicherung können zum Beispiel die neuen Kampfhubschrauber Tiger übernehmen, die wir gerade in den Einsatzraum bringen. Außerdem unterstützen sich die Verbündeten natürlich gegenseitig.

Soldaten der Bundeswehr sollen imAuftrag der EU in Mali Regierungstruppenfür den Kampf gegen islamistische Milizen ausbilden, die den Norden des Landes terrorisieren. Hat ein solcher Einsatz nachdem Putsch rebellierender Soldaten noch seine Geschäftsgrundlage?

Die EU hat dafür Anfang der Woche ein zivil-militärisches Konzept beschlossen. Das sieht unter anderem vor, die seit Jahrzehnten währende Vernachlässigung des Nordens zu beenden, Friedensgespräche zu führen mit allen, die dazu bereit sind, und den Weg zu Wahlen zu beschreiten. Jetzt kann es sein, dass es durch die neue Entwicklung einen Rückschlag gibt. Ich fühle mich aber außerstande, das schon abschließend zu beurteilen.

"Bundeswehr raus aus den Schulen - das wäre völlig falsch"

Laufen wir nicht Gefahr, mit den Putschisten die falschen Leute zu unterstützen, Hauptsache, es geht gegen die Islamisten im Norden Malis?

Ob der Ausbildungseinsatz der EU und unsere Beteiligung richtig sind, lässt sich erst nach intensiver Aufklärung der Lage schlüssig beantworten. Ehe die EU dort reingeht, muss der politische Fahrplan in Mali von allen Parteien jenseits des terroristischen Spektrums akzeptiert werden, die Nachbarn Malis eingeschlossen.

Herr de Maizière, in Baden-Württemberg haben die Grünen als größte Regierungspartei beschlossen, dass Jugendoffiziere der Bundeswehr keinen Zugang mehr zu den Schulen haben sollen. Zu Recht?

Das ist ein Parteitagsbeschluss. Aber die bestehende Kooperationsvereinbarung haben wir nicht mit Parteien geschlossen, sondern mit der Regierung. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat mir versichert, dass er nicht die Absicht hat, am aktuellen Zustand etwas zu ändern. Und ich habe in meiner Regierungsarbeit gelernt: Ober sticht Unter.

Das ist die formale Seite. Inhaltlich geht es um den Verdacht, die Bundeswehr trete in Schulen auf, um Schüler zu beeinflussen oder für den Dienst an der Waffe zu werben. Ist der von der Hand zu weisen?

Die Bundeswehr ist in der Verfassung fest verankert. Sie ist auch Teil einer Friedensbewegung, denn ihr Wirken dient dem Frieden – notfalls der Erzwingung von Frieden. Die Bundeswehr ist Teil der Demokratie, daher soll sie in allen Teilen der Gesellschaft diskutiert werden – also auch in den Schulen. Unsere Jugendoffiziere informieren über den Auftrag der Bundeswehr. Das geschieht in Verantwortung der Schulen und ist Teil des Unterrichts. Die Jugendoffiziere können gern auch mal gemeinsam mit Kritikern der Bundeswehr eingeladen werden. Oder erst die einen, dann die anderen. Nur, Bundeswehr ganz raus aus den Schulen – das wäre völlig falsch.

Sie wollen sagen, am Vorwurf der Werbung für das Militär sei nichts dran?

Genau. Wenn Jugendoffiziere in Schulen einen guten Eindruck machen, dann ist das so. Davon strikt zu trennen ist Nachwuchswerbung. Das machen nicht die Jugendoffiziere, sondern Berater in den neu eingerichteten Karrierecentern. Die können auch von Schulen eingeladen werden und informieren über den Arbeitgeber Bundeswehr. Das findet dann etwa auf Tagen zur Berufsberatung statt.

Was hat dann die Bundeswehr vonihren Jugendoffizieren?

Aufgabe der 90 hauptamtlichen und vielen nebenamtlichen Jugendoffiziere ist die Information. Sie reden über die Bundeswehr, erklären ihren Auftrag, sie stellen sich der Diskussion. Ehrlich gesagt, es tut den Jugendoffizieren gut, sich in einem zivilen Umfeld kritischen Fragen stellen und den Auftrag der Streitkräfte erläutern zu müssen