Die Härte der Kritik nach den vergangenen Länderspielen überrascht Hansi Flick. Einen Vorwurf bezeichnet der Bundestrainer als „große Dreistigkeit“.
Hansi Flick goss sich vor der Generalabrechnung mit seinen Kritikern einen Schluck Wasser ein, „das kühlt ab“. Doch dann lief der Bundestrainer im wohl temperierten „Hanse Saal“ im Congress Centrum Bremen erst so richtig heiß. „Dreist! Unverschämt!“, polterte der unter Druck geratene Flick und verschaffte sich im Kreise seiner geschätzten Kollegen einmal so richtig Luft.
„Ich finde es eine große Dreistigkeit zu behaupten, dass die Nationalmannschaft die Spieler nicht nach dem Leistungsprinzip einlädt“, schimpfte der 58-Jährige auf dem 65. Internationalen Trainer-Kongress des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer. Und weiter: „Was haben wir davon, wenn Spieler spielen, die nicht die Leistung bringen können wie ein anderer? Deswegen finde ich es manchmal eine Unverschämtheit, wie man darüber berichtet.“
Der kurze Aufreger in einem ansonsten überaus sachlichen Podiumsgespräch zeigte: Die enttäuschenden Testspiele im März und Juni wirken nach, Flick geht angeschlagen in die Saison mit dem Höhepunkt Heim-EM - obwohl er auch in seinem dunklen Lederstuhl ungerührt beteuerte: Alles wird gut!
„Ich bin absolut überzeugt“
Die Zeit, die Probleme bis zum Turnierstart in elf Monaten in den Griff zu bekommen, werde reichen, versprach er. „Ich bin absolut überzeugt von dem Weg, den wir gehen“, sagte Flick, „auch wenn es jetzt ein kleines oder größeres Tal ist“.
Beim Weg zurück nach oben könnte auch der von ihm kritisierte Niklas Süle wieder helfen. „Ich schätze ihn sehr“, sagte Flick. Als er überdies meinte, Joshua Kimmich sei als Rechtsverteidiger weiter eine „Option“, gab es Applaus im Saal und ein zustimmendes „Jawohl!“.
Wie die nächsten Schritte seines Weges aussehen sollen, skizzierte Flick sehr genau. Personelle oder taktische Experimente sind passe, gegen Japan und Frankreich im September will er wie angekündigt „die Kernmannschaft“ für die EM aufstellen und „klar sagen: Das ist die Nummer eins, um diese Position gibt es einen Battle.“
Den Stars, die dann wieder in einer Viererkette verteidigen sollen, machte er vor den Augen seines Ausbilders Erich Rutemöller und der versammelten DFB-Trainerriege eine klare Ansage: Sie müssten „torgeil sein“ und den „letzten Willen, Tore zu verteidigen“ zeigen. Von ihrer Qualität sei er weiter überzeugt, „aber jeder muss sich einbringen“.
Das Podiumsgespräch mit Flick stand unter dem Motto „One year to go - Der Plan zur EM“. Wirklich Neues verriet er nicht. Flick rechtfertigte erneut sein Vorgehen, zeigte sich offen für „Kritik, die uns weiterbringt“ - und genervt von anderen Einlassungen.
Sein Job mache ihm „viel Spaß“
Er habe zwar Verständnis dafür, dass Klubverantwortliche „Spieler positionieren wollen“ oder anders sehen, sagte er zum Thema Leistungsprinzip. „Aber wir sind viel unterwegs, machen uns ein Bild und ich spreche mit jedem Trainer über die Spieler, die dabei sind und über potenzielle Kandidaten“, betonte er.
Flick berichtete, er sei „sehr gerne“ zum Kongress gekommen, er fühlte sich wohl unter Seinesgleichen. „Ein bisschen ungeschickt“ fand er nur die Terminierung. „Unsere Frauen liegen zur Halbzeit 2:0 vorne“, sagte der Bundestrainer, der die zweiten 45 Minuten des WM-Spiels gegen Marokko (6:0) wegen der Runde verpasste.
Doch bei aller Hektik und trotz der Kritik: Sein Job, versicherte Flick, mache ihm „viel Spaß“ - auch dank der Rückendeckung zuhause. „Als Trainer ist es enorm wichtig, dass man privat eine sehr gute Basis hat“, sagte er, und die Kollegen nickten. „Ich bin da sehr glücklich, meine Familie unterstützt mich sehr.“