Das Bundesteilhabegesetz soll die Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen stärken. Die meisten Fraktionen im Kreistag zeigen sich von diesem Ziel überzeugt, kritisieren jedoch die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes. Foto: Puchner/dpa

Die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes belastet den Kreishaushalt. Der Sozialausschuss hat eine Resolution auf den Weg gebracht, die eine „grundlegende Reform“ fordert.

Zu komplex, zu bürokratisch, zu ineffizient und zu teuer – das Bundesteilhabegesetz (BTHG) sei in seiner aktuellen Umsetzung „ein Paradebeispiel für gut gemeinte, aber schlecht gemachte Gesetzgebung“. Das schreibt CDU-Fraktionschef Philipp Saar in der von ihm eingebrachten Resolution. Grundlegende Reformen des Sozialstaats seien „dringend erforderlich“. Über die Resolution stimmte der Sozialausschuss des Kreistags am Dienstagnachmittag ab.

 

In der Vergangenheit hatte es in den Gremien des Ortenaukreises – und vonseiten der Verwaltungimmer wieder Kritik am BTHG gegeben. Es gilt als ein Hauptkostentreiber des ausufernden Sozialetats, unter anderem weil den Kommunen der finanzielle Mehraufwand von Bund und Land nicht auskömmlich erstattet wird.

Das Gesetz soll die Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen stärken. „Wir unterstützen die Zielsetzung der Teilhabe und des BTHG und wir sind uns bewusst, dass nicht alle Kostensteigerungen aus dem BTHG resultieren“, heißt es dazu explizit in der Resolution – allerdings würden die Kosten ausufern.

Kosten explodieren unter anderem aufgrund des BTHG

Als Beispiel nennt die Resolution die Eingliederungshilfe. Diese erhalten Menschen mit Behinderung, die wesentlich in der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt sind oder die von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind. Den Transferaufwand des Kreises werde sich ab der Umstellung auf die neuen Leistungs- und Vergütungssystematiken von 2023 bis 2025 von 93,5 auf 146,3 Millionen Euro um 52,8 Millionen erhöhen. Das sei eine Steigerung von fast 60 Prozent in nur drei Jahren, betont Saar.

„Die gesellschaftliche Stabilität und Resilienz in unseren Landkreisen und Kommunen hängt existenziell davon ab. Die kommunalen Spitzenverbände – der Städtetag, der Gemeindetag und der Landkreistag – haben dezidierte Lösungsvorschläge aufgezeigt. Diesen schließen wir uns ausdrücklich an“, so die Resolution.

Kreisverwaltung unterstützt Kritik „vollumfänglich“

Das Bundesteilhabegesetz sei unverzüglich in enger Zusammenarbeit mit den kommunalen Spitzenverbänden und Betroffenenvertretern gründlich zu evaluieren und zu reformieren, heißt es im Fazit des Papiers. Die Verwaltungsaufgaben seien deutlich zu reduzieren.

Auf Landesebene sei die Vielzahl der Leistungs-/Vergütungssystematiken auf ein einheitliches Modell zu beschränken, um dadurch den bürokratischen Aufwand für Betroffene, Leistungserbringer und Behörden erheblich zu senken. Und dem Grundsatz der Konnexität folgend, seien die Kommunen und Landkreise dauerhaft auskömmlich zu finanzieren und die finanziellen Mittel dem Mehraufwand entsprechend unverzüglich aufzustocken.

Die in der Resolution genannten Punkte werden laut Sitzungsvorlage von der Kreisverwaltung vollumfänglich unterstützt. Ähnlich äußerten sich die meisten im Kreistag vertretenen Fraktionen. „Wenn man diesen gesamten Aufwand, den wir jetzt schon betreiben, in das System gegeben hätte, wäre den Betroffenen mehr geholfen“, kritisierte Eberhard Roth für die Freien Wähler den mit dem BTHG einhergehenden bürokratischen Aufwand.

AfD-Fraktion gehen die Forderungen nicht weit genug

Der AfD-Fraktion ging die Resolution – konkret die Einforderung der auskömmlichen Finanzierung – nicht weit genug: „Die Bürokratie würde bleiben, die Teilhabe dadurch nicht besser“, erklärte AfD-Kreisrat Alexander Reichert. Der Steuerzahler müsse so oder so die Kosten tragen. „Wir denken, dass dieses Bürokratiemonster keine Zukunft hat“, konstatierte Reichert, er sehe in der Inklusion ohnehin eine gesellschaftliche Aufgabe. „Staatlich geleitete Inklusion ist fehlgeleitete Inklusion.“ Seine Fraktion könne der Resolution nur zustimmen, wenn diese die generelle Abschaffung des BTHG fordere.

Das ging den anderen Fraktionen zu weit. „Das Kind mit dem Bade auszuschütten können wir nicht unterstützen“, erklärte etwa Heike Dorow für die Grünen. Das Ehrenamt leiste bei der Inklusion viel, „aber es braucht Strukturen und Unterstützungsmöglichkeiten“. Bei drei Gegenstimmen empfahl der Sozialausschuss dem Kreistag die Resolution zu verabschieden.

Forderungen der Kreise

Der Landkreistag Baden-Württemberg hat mit Blick auf die Landtagswahl im März bereits im Juli zehn „Kernerwartungen“ an die neue Regierung und den neuen Landtag formuliert. „Insgesamt wird es darauf ankommen, wieder ein Gleichgewicht zwischen kommunalem Aufgabenbestand und kommunaler Finanzausstattung herzustellen. Dieses ist massiv gestört und kann nur durch eine Reduzierung der kommunalen Aufgabendichte sowie zusätzliche Finanzzuweisungen an die Kommunen wieder ins Lot gebracht werden“, erklärte Joachim Walter, Präsident des Landkreistags.