Olaf Scholz mit seiner Frau Britta Ernst und der SPD-Parteispitze. Foto: AFP/ODD ANDERSEN

Die SPD gewinnt deutlich hinzu und bejubelt am Wahlabend ihren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Der 63-Jährige will nun der nächste Regierungschef werden. Doch in die Freude mischt sich eine Unsicherheit: Denn eine Regierungsmehrheit muss Scholz sich erst noch suchen.

Berlin - Zum zweiten Mal an diesem Abend brandet der Jubel im Willy-Brandt-Haus um 19 Uhr auf. „Olaf, Olaf“-Sprechchöre hallen durch das Atrium der SPD-Parteizentrale. Der Kanzlerkandidat tritt gemeinsam mit seiner Ehefrau Britta Ernstund der Parteispitze auf die Bühne. „Das wird ein langer Wahlabend, das ist sicher“, sagt Scholz, der vor seiner kurzen Rede die ersten Hochrechnungen abgewartet hatte. Nur Hauchdünn liegt seine Partei zu diesem Zeitpunkt vor der Union.

Sicher sei aber, dass viele Bürger ihr Kreuz bei der SPD gemacht hätten, damit „es einen Wechsel in der Regierung gibt“, ruft Scholz unter lautem Applaus. „Und weil sie wollen, dass der nächste Kanzler dieses Landes Olaf Scholz heißt.“ Sollte Scholz der nächste Bundeskanzler werden, ginge für den Norddeutschen ein Traum in Erfüllung.

Der bisherige Vizekanzler erinnert die feiernden Genossen daran, wie ihre im Wahlkampf lange deutlich abgeschlagene Partei in den Umfragen zulegte und nun als stärkste Kraft aus der Bundestagswahl hervorgehen könnte. „Das ist ein Auftrag“, erhebt der 63-Jährige den Anspruch auf die Regierungsbildung mit ihm und der SPD an der Spitze. Dieser Abend fühlt sich für die Sozialdemokraten an wie ein Triumph. „Das ist ein historischer Moment“, jubelt Parteichefin Saskia Esken. „Wir haben diese Wahl gewonnen, wir sind wieder da“, freut sich ihr Mitvorsitzender Norbert Walter-Borjans.

Bei der SPD gab es lange keine Wahlparty

Die Freude ist verständlich: Der bereits im August des vergangenen Jahres zum Kanzlerkandidaten ausgerufene Olaf Scholz startete seinen Lauf Richtung Kanzleramt schließlich bei deprimierenden Umfragewerten von nur etwa 15 Prozent. Und lange Monate wurde es nicht besser. „Ich bin vor ein paar Wochen noch gefragt worden, warum wir überhaupt einen Kanzlerkandidaten aufstellen“, verdeutlicht SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil die rasante Entwicklung seiner Partei im Wahlkampf. Am Sonntagabend ist sicher, dass die SPD ihr Ergebnis im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 stark verbessert hat. Damals erlitt die einstige Volkspartei Partei mit nur 20,5 Prozent ein historische Schlappe.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Schlangen und Pannen prägen Berliner Wahlen

Der Abwärtstrend, den die SPD bei den vergangenen bundesweiten Wahlen erfasst hatte, ist damit – zumindest vorerst – gestoppt. Das betrifft nicht nur das Wahlergebnis, sondern auch die Stimmung in der SPD – eine richtige Wahlparty gab es in der Parteizentrale nicht nur wegen der Corona-Pandemie schon eine ganze Weile nicht mehr.

Scholz dankt für Geschlossenheit – es hätte auch anders laufen können

Die SPD liegt mit dem Ergebnis allerdings weit entfernt von ihren Prozentzahlen früherer Jahre und Jahrzehnte. Auch dürften die Sozialdemokraten ihr Abschneiden zu einem vermutlich nicht geringen Anteil den Fehlern der Konkurrenten zu verdanken haben. Für den in Teilen der eigenen Partei lange ungeliebten Scholz ist das Ergebnis dennoch ein Riesenerfolg.

Auch die Geschlossenheit der in der Vergangenheit so oft zerstrittenen Sozialdemokraten in den letzten Monaten war so nicht zu erwarten gewesen. Scholz bedankt sich am Wahlabend ausdrücklich dafür. Er weiß, es hätte auch ganz anders laufen können.

„Das ist weder Fisch noch Fleisch“

Ein weiterer Grund zur Freude ist für die Sozialdemokraten, dass die Anzahl der SPD-Abgeordneten im Bundestag deutlich anwachsen wird. Vor wenigen Monaten war unter den SPD-Parlamentariern noch die Angst umgegangen, in der kommenden Legislaturperiode nur noch mit einer Rumpfmannschaft dazusitzen – womöglich in der Opposition, während andere regieren. Nun dürfte die SPD in der kommenden Legislaturperiode sogar die größte Fraktion stellen.

Doch in die Freude des Wahlabends mischt sich trotz der selbstbewussten Statements der SPD-Spitzenpolitiker auch eine gehörige Portion Unsicherheit. Zum ersten Mal war im Willy-Brandt-Haus um 18 Uhr laut gejubelt worden, als die ersten Balken auf den Fernsehbildschirmen erschienen. Danach machte sich auffällig schnell eine gewisse Ratlosigkeit breit. „Das ist weder Fisch noch Fleisch“, bewertete ein Sozialdemokrat die Lage direkt nach Schließung der Wahllokale.

Grüne und Linke schneiden schwach ab

Denn die Wahlergebnisse zeigen, dass es schwer werden könnte für die SPD, eine Regierung zu bilden. Die Grünen haben schwächer abgeschnitten als erhofft. Und das Ergebnis der Linken ist so schwach, dass es für ein rot-grün-rotes Bündnis am Ende nicht reichen könnte. Beides womöglich eine Folge der Unionskampagne, die sich im Endspurt nahezu allein darauf verlegte, vor einem Linksrutsch zu warnen.

Damit bleibt Olaf Scholz als Machtoption eine Koalition mit den Grünen und der FDP. Der FDP-Vorsitzende Christian Linder hatte vor der Wahl jedoch deutlich gemacht, dass er ein Bündnis mit der Union und den Grünen vorziehen würde. Und Unionskandidat Armin Laschet kündigte an, auch als Zweitplatzierter den Versuch einer Regierungsbildung zu wagen. Scholz zeigt sich in der „Elefantenrunde“ im Fernsehen unbeeindruckt. „Es gibt ein paar Parteien, die hier am Tisch sitzen, die haben Zuwächse erzielt, die SPD einen großen, die Grünen, die FDP“, sagt er. „Und andere haben keine Zuwächse erzielt. Auch das ist eine Botschaft.“