Am Sonntag zählten die Wahlhelfer bis spät in die Nacht aus, wie hier im Ringhof in Freudenstadt. Am Montag zogen die Parteien ihre Schlüsse aus den Zahlen. Foto: Müller

Die Bundestagswahl ist gelaufen, bei der Regierungsbildung zeichnet sich ein Dreierbündnis ab. Was sagen die Parteivertreter der potenziellen Koalitionäre im Kreis Freudenstadt zum Ergebnis, und welche Erwartungen herrschen vor?

Kreis Freudenstadt - So lauten die Analysen von CDU, SPD, FDP und Grünen.

Dritter geworden und Spaß dabei – bei der FDP im Kreis ist die Stimmung top, obwohl es für den jungen Kandidaten Michael König nicht zu einem Sitz im Bundestag gereicht hat. Mit 17,7 Prozent sind die Liberalen im Wahlkreis Calw/Freudenstadt allerdings drittgrößte Kraft und praktisch gleichauf mit der SPD. "Ich bin superzufrieden und glücklich mit dem tollen Ergebnis", so der FDP-Landtagsabgeordnete Timm Kern.König habe "menschlich und inhaltlich überzeugt" und "ein tolles Ergebnis eingefahren". Er sei noch jung und erhalte sicher weitere Chancen in der Partei. Die Region sei liberale Hochburg. Was Kern besonders freut: Bei der Generation bis 30 Jahren stehe die FDP bundesweit auf Platz eins. Das bestätigte auch das Projekt U18-Bundestagswahl an mehreren Schulen im Kreis Freudenstadt. "Darauf lässt sich aufbauen." Kerns Erkenntnisse aus dem Wahlergebnis: Digitalisierung, Klimaschutz und Bildung seien die beherrschenden Themen und Aufgabe für die nächste Legislaturperiode. "Deutschland ist vor allem bei der Digitalisierung und der Infrastruktur nicht auf der Höhe der Zeit", findet Kern. Gut sei, dass die anderen Parteien die Lage ähnlich einschätzen, wenngleich die Lösungsansätze andere seien. Allerdings sollten Kompromisse möglich sein, wenn die Ziele dieselben seien. "Mit der Union hat die FDP sicher mehr inhaltliche Schnittmengen als mit der SPD und den Grünen. Anderseits hat die Union ein sehr schlechtes Ergebnis eingefahren", so Kern. Deshalb sei es von der FDP-Spitze klug, erst mal Sondierungsgespräche mit den Grünen zu führen. Kern hofft, dass die Koalitionsbildung "zügig" erfolgt, die Lage des Landes "dulde kein langes Warten". Notwendig sei "eine gemeinsame Idee" für das Land.

Analyse von Winfried Asprion

Die Einschätzung Kerns deckt sich praktisch mit der Analyse von Winfried Asprion vom Kreisverband Freudenstadt der Grünen. Er rechnet mit einem Dreierbündnis, kann sich eine Fortsetzung der Großen Koalition "nicht vorstellen". Seine "bevorzugte Variante": eine Regierung aus SPD, FDP und Grünen. "Das gäbe Impulse, die unser Land dringend braucht", so Asprion. Die größten Aufgaben: Klimaschutz, wo es keine Zeit mehr zu verlieren gebe, und Infrastruktur. "Unser Weg dahin mag anders sein als der der FDP. Aber die Ziele sind die gleichen. Es ist durchaus eine Basis da. Bei einem Zusammenspiel könnte etwas Gutes herauskommen", glaubt Asprion, im März Landtagskandidat der Grünen. Natürlich müsse Klimaschutz verträglich für die Wirtschaft sein. "Aber vielleicht ist die Wirtschaft da schon einen Schritt weiter als so mancher Politiker", so Asprion. Das Wahlergebnis wertet er als "insgesamt keine so erfreuliche Situation" für die Grünen. Die junge Kandidatin Sara Haug habe "einen tollen Wahlkampf" gemacht, und die CDU habe gewaltig verloren. "Aber unsere Wahlziele haben wir nicht erreicht. Das Kanzleramt ist für die Grünen ganz weit weg."

OB verteidigt Direktmandat

Direktmandat im Wahlkreis verteidigt, aber das war’s auch schon mit den guten Nachrichten. "Es ist der Union nicht gelungen, dass ihr die notwendige Aufbruchsstimmung für Deutschland zugetraut wird", fasst Julian Osswald (CDU), Oberbürgermeister von Freudenstadt, zusammen. Interpretiere man das Ergebnis als Arbeitszeugnis der aktuellen Bundesregierung, dann hätten CDU und SPD zusammen knapp 50 Prozent der Stimmen bekommen. "Angesichts der Wählerwanderung von der CDU zur SPD kann man sagen: Da wäre für die Union mehr drin gewesen. Das stellt sicherlich auch eine Bewertung der Spitzenkandidaten dar", so Osswald. Mit unter 25 Prozent Stimmanteil sei die Union "an einem Tiefpunkt" angelangt. Die vielzitierte "Geschlossenheit" müsse für die Zukunft nicht nur beschworen, sondern "endlich einmal gelebt" werden. Das habe die SPD diesmal vorgemacht. Wie geht es weiter? "Ich bin ganz klar für Jamaika. Die FDP und die Grünen müssen sich jetzt in die Augen schauen und eine ehrliche Antwort auf die Frage finden, mit welchem Partner am ehesten eine zukunftsfähige und zuverlässige Regierung gebildet werden kann", so Osswald. Die Union habe schon bewiesen, dass sie in Krisenzeiten "entschlossen und erfolgreich regieren" könne. Er befürchte jedoch, dass sich die Koalitionsverhandlungen "sehr lange hinziehen" und der dann präferierte Koalitionspartner "kräftig Federn" lassen müsse.

Jamaika? Ausgeschlossen

 Fröhlich pfeifend kommentierte Gerhard Gaiser aus Baiersbronn, SPD-Urgestein, das Ergebnis. Jamaika? Für ihn völlig ausgeschlossen. Dass angesichts dieses Ergebnisses die CDU den Kanzler stellen könnte, ist für ihn "reiner Blödsinn". Die SPD sei stärkste Fraktion geworden und müsse den Kanzler stellen. Dass Armin Laschet seine Niederlage noch nicht akzeptiert habe, trage schon "Trump’sche Züge". Die CDU sei "abgewählt". Bei den vorliegenden Verhältnissen ist für Gaiser "die Ampel die einzig akzeptable Lösung". Die Ziele für das Land seien klar vor Augen, und wenn dies in einen guten Koalitionsvertrag gegossen werde, dann lasse sich "in den nächsten Jahren einiges bewegen mit einem Kanzler Olaf Scholz". Aber auch auf Landes- und Kreisebene sei "etwas passiert". Die SPD habe überall zugelegt, Saskia Esken ein gutes Ergebnis geholt. Selbst in Bad Rippoldsau-Schapbach, bislang "Problembezirk" für die SPD, hat der Wind sich gedreht. Das lasse ihn "optimistisch in die Zukunft" blicken. Gaiser sagt, zunächst solle jedoch die Regierungsbildung "schnell erfolgen".

IHK Nordschwarzwald

Das hofft auch Martin Keppler, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Nordschwarzwald: "Die Wirtschaft in unserem Land und der Region ist vor allem auf politische Handlungsfähigkeit angewiesen. Insofern wäre es wichtig, dass es schnell und zielgerichtet zu einer Regierungsbildung kommt, um Klarheit und verlässliche Perspektiven zu schaffen." Die neue Regierung müsse vor allem die Wettbewerbsfähigkeit der mittelständischen Unternehmen sichern. "Wir drohen im weltweiten Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit immer weiter zurückzufallen", so Keppler. Deshalb müssten Bürokratie- und Investitionshemmnisse abgebaut und die Gewinnung von Fachkräften – auch durch geregelte internationale Zuwanderung – im Vordergrund stehen. In keinem Fall dürfe es neue Steuern und Abgaben für Unternehmen geben. Dies sei auch unter dem Gesichtspunkt der hoch gesteckten Ziele im Klima- und Umweltschutz notwendig. "Zu diesen bekennen sich die Unternehmen. Innovationen auf diesem Feld können aber nur stattfinden, wenn die Firmen ausreichend finanzielle Spielräume haben", so Keppler.