Noch hängen die Plakate – aber ihre Tage sind gezählt. Foto: Leif Piechowski

Jetzt gilt es. Rund 374.000 Stuttgarterinnen und Stuttgarter mit deutschem Pass dürfen diesen Sonntag über den Bundestag mitentscheiden. Rund 93.000 haben per Briefwahl vermutlich schon abgestimmt. Das Gesamtergebnis könnte auch die politische Landschaft in Stuttgart verändern.

Stuttgart - Diesen Sonntag ist Wahltag. Vielleicht auch Zahltag mit schmerzlichen Quittungen für manche der 26 Direktkandidaten in Stuttgart und für die Parteien. Sogar am Samstag versuchen sie noch einmal nach Kräften, Stimmen zu mobilisieren.

Das Ringen um Erststimmen

Das Ringen um Erststimmen

Wird die CDU wieder wie 2009 beide Direktmandate erobern können? Im Süd-Wahlkreis Stuttgart I will es der grüne Cem Özdemir diesmal wissen. Seine Partei und die SPD versuchen – nachdem sie bei OB-Wahlen in Stuttgart mal bis zum Schluss getrennt marschierten, mal kooperierten – erstmals auch bei der Bundestagswahl das rot-grüne Stimmenpotenzial bestmöglich auszuschöpfen und zu lenken.

Weil die beiden Parteien Özdemir in der Wählergunst vor Ute Vogt (SPD) wähnen, sollen ihre Anhänger im Wahlkreis Stuttgart I den Grünen wählen. Im Wahlkreis Stuttgart II möge man Nicolas Schäfstoß (SPD) mit der Erststimme versorgen und nicht Birgitt Bender (Grüne). Bei der Zweitstimme, die man für die Parteien vergeben kann, sollen die Wähler dann aber wieder schön unterscheiden. Ob das wohl gutgeht? Nach den Erkenntnissen des Statistischen Amts der Stadt verteilt nur etwa ein Drittel aller Wähler die Erst- und die Zweitstimme auf zweierlei Parteien. Wie viele Wähler dieses Drittels gewillt sind, sich beim Splitten der Stimmen dreinreden zu lassen, weiß niemand. Wahlexperten vermuten: nur wenige.

Die Wahl und die Folgen

Die Wahl und die Folgen

Wenn Özdemir das Direktmandat erobert, wird der Bundesvorsitzende der Grünen von seinen Parteifreunden gefeiert und innerparteilich gestärkt sein. Das gilt besonders, falls der Realo triumphieren sollte, die im Wahlkampf maßgeblich vom Fundi Jürgen Trittin angeführten Grünen ansonsten aber abschmieren. Kann Özdemir das Direktmandat wieder nicht erobern, wird er dank Absicherung auf der Liste zwar auch im Bundestag sitzen – aber wohl kaum als übergroße Lichtgestalt der Grünen.

Für den CDU-Rivalen Stefan Kaufmann geht ohne Direktmandat nichts. Sollte er es nicht erringen und wären auch die CDU-Ergebnisse prozentual schlecht, wird in der Partei über seine Zukunft als Stuttgarter CDU-Chef geredet werden – selbst wenn Karin Maag, wie erwartet wird, im Wahlkreis Stuttgart II das Direktmandat behält.

Hier die aktuelle Umfrage zur Bundestagswahl »

Angefochten war Kaufmann als Vorsitzender schon früher. Die CDU-Schulbürgermeisterin Susanne Eisenmann konnte er allerdings abwehren. Darüber hinaus half ihm der akute Mangel an Führungspersonal in der CDU. Doch einige Funktionäre denken, dass Kaufmann im Fall einer Wahlschlappe fällig ist. Er selbst sagte am Freitag, in diese Situation werde die CDU am Sonntag gar nicht kommen. Falls die Wahl wider Erwarten schlecht ausgehen sollte, stelle sich das Thema Kreisvorsitz allenfalls in den folgenden Wochen. „Wir haben den Kreisvorstand aber gerade erst gewählt“, sagte Kaufmann.

Für die SPD kommt es darauf an, wenigstens wieder die nach Zweitstimmenanteilen zweitstärkste Partei in Stuttgart zu werden. 2009 hat sie diesen Rang, wenn auch nur knapp, an die Grünen verloren – und Rang 3 im Stadtgebiet auch nur knapp vor der FDP behauptet. Im Süd-Wahlkreis rutschte sie sogar auf Platz 4 ab. Auf den SPD-Kreisvorsitzenden Dejan Perc könnte ein Scherbengericht zukommen, sollte die Erststimmenkampagne mit den Grünen in die Hose gehen – wenn es nicht zu einem Direktmandat für Schäfstoß reicht und das Zweitstimmen-Ergebnis für die SPD sich nicht verbessert. Immerhin hat der Vorstand in der vagen Hoffnung auf ein Direktmandat für Schäfstoß die in der SPD einst hoch gehandelte Ute Vogt zur Statistin abgestempelt. Der Druck auf die SPD, für die Kommunalwahl 2014 attraktivere Kandidaten anzuwerben als 2009, würde nach einem weiteren Desaster bei der Bundestagswahl wachsen. Über drohende Konsequenzen will Perc allenfalls am Sonntagabend reden. Die Genossen und er seien aber „weit davon entfernt, so ein katastrophales Ergebnis wie 2009 vor Augen zu haben“. Die Umfragewerte der SPD im Bund seien erfreulich gestiegen.

Die Aussicht auf Mandate

Die Aussicht auf Mandate

2009 zogen sechs Bewerber aus den beiden Stuttgarter Wahlkreisen in den Bundestag ein: Stefan Kaufmann und Karin Maag (beide CDU) jeweils mit Direktmandat, mit Zweitmandaten außerdem Ute Vogt und Ute Kumpf (beide SPD), Birgitt Bender (Grüne) und Ulrich Maurer (Die Linke). Kumpf und Maurer treten nicht mehr an. Die Ersatzbewerber für sie haben über die Liste nur wenig Chancen. Dennoch könnten für Stuttgarter Bewerber im Bundestag mit seinen mindestens 598 Sitzen wieder sechs oder sogar sieben Mandate abfallen – falls die FDP und auch die Alternative für Deutschland (AfD) den Sprung über die Fünfprozenthürde schaffen. Allerdings könnte es für die Grüne Birgitt Bender noch spannend werden. Sie hatte 2009 den Listenplatz 7 inne, und die Grünen brachten mit 13,9 Prozent im Land (bei knapp elf Prozent im Bund) elf Kandidaten in den Bundestag. Diesmal tritt Bender auf Listenplatz 11 an – und bundesweit wurden den Grünen zuletzt etwa 8,5 Prozent vorausgesagt. Gesetzliche Änderungen bei der Vergabe der Mandate erschweren allerdings einen Vergleich.

Lust und Unlust der Wähler

Lust und Unlust der Wähler

2009 hatten stadtweit 74,3 Prozent der Wahlberechtigten abgestimmt, 75.335 Frauen und Männer die Briefwahl beantragt. Diesmal, sagt Michael Haußmann vom Statistischen Amt, wurde am Freitag die Marge von 93 000 Anträgen übersprungen. Das ist absoluter Rekord in Stuttgart – und es sind 24 Prozent mehr als vor vier Jahren. Das deutet auf eine bessere Wahlbeteiligung insgesamt hin, selbst wenn man berücksichtigt, dass die Briefwahl im Vergleich zum Gang in die Wahllokale in den vergangenen Jahren kontinuierlich beliebter geworden ist.