Im Luxemburger Grenzort Schengen an der Mosel ist einst die Reisefreiheit innerhalb Europas aus der Taufe gehoben worden. Foto: dpa

Die Brüsseler EU-Kommission fordert eine Rückkehr zum freien Reisen in spätestens sechs Monaten. Dazu wird es aber kaum kommen, weil die Bundesregierung auf anderer Rechtsgrundlage auch alleine handeln kann und aus den eigenen Reihen zu mehr Grenzkontrollen gedrängt wird – auch in Richtung Schweiz.

Berlin - Als absolutes Maximum dessen, was rechtlich möglich ist, wird in der EU-Kommission die Genehmigung von Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze für weitere sechs Monate gesehen. Dies sei „das letzte Mal“ , kündigte Kommissar Dimitris Avramopoulos am Dienstag an, als er die Empfehlung für fünf Staaten des eigentlich reisefreien Schengenraumes präsentierte – neben Deutschland und Österreich Dänemark, Schweden und Norwegen. „Dank unserer gemeinsamen Anstrengungen sind unsere Außengrenzen nun stärker und besser geschützt“, so Kommissionsvize Frans Timmermans zur Begründung: „Das bedeutet, dass wir in den kommenden sechs Monaten wieder zu einem vollständig funktionierenden Schengen-Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen zurückkehren.“

Keine Zusage der Bundesregierung

Eine Zusage der Bundesregierung, der Empfehlung im Herbst auch Folge zu leisten, gab es am Mittwoch nicht. Vielmehr begrüßte Johannes Dimroth, der Sprecher des Innenministeriums, vor allem die neuerliche Laufzeitverlängerung, da derzeit „aus migrations- und sicherheitspolitischen Gründen ein Verzicht auf Grenzkontrollen nicht in Frage kommt“. Prognosen für Anfang November enthielt er sich.

Allerdings spricht viel dafür, dass die Regierung auch danach an Kontrollen festhält. So fällt zwischen Brüssel und Berlin schon die Einschätzung der Fortschritte beim EU-Außengrenzschutzunterschiedlich aus. Unter anderem mit dem Aufbau eines europäischen Grenzschutzkorps, so Dimroth, „ist einiges geschehen, aus unserer Sicht aber noch nicht genug“. Mit Sorge wird „eine gewisse Dynamik“ bei den über Italien einreisenden Migranten verfolgt. Hinzu kommt, dass der Brüsseler Verweis auf Alternativen wie die Schleierfahndung laut Dimroth als unzureichend erachtet wird: „Zurückweisungen sind bei Grenzkontrollersatzmaßnahmen nicht möglich.“

Der innenpolitische Druck zur Beibehaltung der Kontrollen ist ebenfalls hoch. CSU-Chef Horst Seehofer plädiert für mehr, nicht weniger Kontrollen. „Der Brenner müsste notfalls dicht gemacht werden“, ließ Bayerns Ministerpräsident, ohne für den Grenzpass nach Italien zuständig zu sein, per Interview wissen. Aus der Unionsfraktion im Bundestag kommen ähnliche Töne. „Stationäre Grenzkontrollen wünscht sich niemand, sie sind aber unverzichtbar, solange in Europa die Schengen-Standards und Dublin-Regeln nicht garantiert wirken“, sagt der CDU-Innenexperte Armin Schuster: „Diesen Zustand zu ändern ist Aufgabe der Kommission, ich sehe beim bisherigen Tempo nicht, wie sie das in sechs Monaten erledigen will – die Ankündigung ist daher eher theoretisch.“

Das Recht bietet mehrere Ansätze

Europarechtlich gesehen ist es durchaus möglich, dass Deutschland über den November hinaus seine Grenzen bewachen lässt – auf anderer Rechtsgrundlage als bisher. Mit systemischen Problemen bei der Einwanderungskontrolle begründete Ausnahmen können laut Schengener Grenzkodex maximal drei Mal verlängert werden und dürfen insgesamt maximal zwei Jahre dauern. Artikel 25 lässt den Einzelstaaten jedoch aus sicherheitspolitischen Erwägungen heraus die Möglichkeit, im Alleingang zu handeln – die EU-Kommission muss darüber nur informiert werden.

Für diesen Weg plädiert neben Schuster auch sein CSU-Fraktionskollege Stephan Mayer. Deutschland solle ohne weitere Genehmigungen aus Brüssel „eigenständig und unabhängig davon die Grenzkontrollen zu Österreich fortsetzen und zur Schweiz beginnen“. Dies bezeichnete auch Innenministeriumssprecher Dimroth am Mittwoch als mögliche „Option“.

Für Wahlkampfgetöse hält das die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic: „Die Kontrollen an der Grenze zu Österreich gehen zulasten der Präsenz im übrigen Bundesgebiet“, es sei „ Zeit die Kosten-Nutzen-Frage zu stellen“. Wie die EU-Kommission verweist auch sie auf Schweden, wo diese Woche die Kontrollen Richtung Dänemark wieder eingestellt wurden. In Deutschland dagegen, so Mihalic, „muss die Bundespolizei weiter dafür herhalten, dass Horst Seehofer seinen Willen bekommt.“