"Jamaika" hat die FDP in die Tonne geklopft. Doch wie geht es weiter? Foto: dpa

Eine Minderheitenregierung? Eine Fortsetzung der großen Koalition? Oder doch Neuwahlen? Wir klären auf. Mit Videos.

Berlin/Region - Sonntagabend, es geht auf Mitternacht zu. Da lässt Christian Lindner in Berlin die Bombe platzen. Der FDP-Chef klopft Jamaika in die Tonne. "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren" verkündet Lindner und erklärt die Sondierungsgespräche von CDU/CSU, Grünen und FDP für gescheitert.

Am Morgen danach herrscht parteiübergreifend Katerstimmung. Mit einer Ausnahme: Die AfD frohlockt. Jörg Meuthen - noch bis Ende November Chef der Landtagsfraktion - wittert Morgenluft. Er kalkuliert: Kommt es zu Neuwahlen, kann die AfD mit einem weiteren Zulauf enttäuschter Wähler rechnen. CDU, CSU, Grüne und FDP seien nach dem Scheitern von Jamaika beschädigt, erklärt Meuthen. Auf seiner Facebook-Seite bezeichnet er das Aus für die Sondierungsgespräche als "hocherfreuliche Botschaft" für die AfD.

Für die FDP hagelt es Prügel. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zeigt sich nach Abbruch der Verhandlungen "fassungslos" und warnt vor einem Erstarken rechter Kräfte. "Deutschland droht jetzt, mit einer kommissarischen Regierung über viele Monate, in eine schwierige Lage zu geraten", sagt Kretschmann. "Wir müssen alle dafür sorgen, dass Rechtspopulisten in unserem Land keinen weiteren Zulauf bekommen", betonte er. "Deutschland ist ein Stabilitätsanker in Europa. Wir müssen alles daran setzen, dass dieser Anker jetzt nicht losgerissen wird." Grünen-Chef Cem Özdemir wirft der FDP vor, die Interessen der Partei über die des Landes zu stellen: "Der Eindruck, den die FDP da gemacht hat, war keiner, dass es erst ums Land geht, sondern umgekehrt: erst die Partei." Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet, der für die CDU am Verhandlungstisch saß, reagiert irritiert auf das Verhalten der Liberalen. Alle Parteien seien am Sonntagabend "sehr, sehr nah bei einer Einigung" gewesen, betont Laschet in einem WDR2-Interview. Dann hätten die FDP-Vertreter vor den Kameras das Scheitern der Sondierungsgespräche verkündet - ohne ihre Verhandlungspartner zu informieren. "Wir sahen, dass die FDP-Verhandler vor die Tür gingen und haben dann [...] vor dem Fernsehen verfolgt, was die Erklärung war."

Theurer verteidigt seine Partei

FDP-Landeschef Michael Theurer verteidigt dagegen das Vorgehen seiner Partei. "Früher hat man der FDP vorgeworfen, sie wolle um jeden Preis regieren", meint Theurer. "Jetzt wirft man ihr vor, dass sie nicht regieren will."

Auch das man kurz vor einer Einigung gestanden habe, will der ehemalige Oberbürgermeister von Horb am Neckar (Kreis Freudenstadt) so nicht stehen lassen. "Es gab wirklich sehr starke Unterschiede", sagte er. "Wenn die Unterschiede zwischen Union und Grünen so klein sind, dann sollen sie eine schwarz-grüne Minderheitsregierung machen", sagte Theurer. "Das ist nicht mein Favorit, aber es ist eine Möglichkeit."

Also eine schwarz-grüne Minderheitenregierung? Oder doch lieber eine Fortsetzung der großen Koalition? Dafür müsste die SPD allerdings eine 180 Grad-Kertwende hinlegen. Und danach sieht es derzeit nicht aus. Gut so, findet Gerhard Gaiser aus Baiersbronn (Kreis Freudenstadt). Deutschlands dienstältester SPD-Kreisvorsitzender stärkt der Parteispitze den Rücken. Nach der Bundestagswahl hat sein Kreisvorstand eine Fortsetzung der "Groko" in einem Grundsatzbeschluss abgelehnt. Einstimmig, wie Gaiser betont. "Da wird sich auch nichts daran ändern."

Auch, wenn Neuwahlen so kurz nach der Bundestagswahl für die Parteibasis eine echte Herausforderung darstellen. Der Wahlkampf hat die Kasse des Kreisverbands geschröpft. Zudem "stehen wir vor Kommunalwahlen", gibt Gaiser zu bedenken. Im haushalten hat man im Freudenstädter Kreisverband jedoch Übung. Im Schnitt wird hier für eine Bundestagswahl ein "kleinerer fünfstelliger Betrag" fällig, wie Gaiser sagt. In anderen Kreisverbänden werde mehr investiert, da könne es auch schon mal sechsstellig werden. 

Welche Partei behält ihren Spitzenkandidaten, welche nicht?

Kommen Neuwahlen, werde es in seinem Kreisverband ein Wahlkampf auf Sparflamme sein, sagt Gaiser. Allerdings nur, was den finanziellen Aufwand angehe. "Wir werden Präsenz zeigen und unsere Themen in den Vordergrund rücken." Als da wären: Soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und das geforderte Einwanderungsgesetz.

Die Neuwahlen, meint Gaiser, könnten spannend werden. Gerade, was die Spitzenkandidaten der einzelnen Parteien angehe. Da, schätzt Gaiser, werde es einige Veränderungen geben. Hinter Angela Merkel etwa steht für den Kreisvorsitzenden ein großes Fragezeichen. Ob die Union nochmals mit der Kanzlerin ins Rennen geht? Das sei alles andere als sicher, sagt Gaiser. Anders bei Horst Seehofer. Dieser, ist der Baiersbronner überzeugt, werde im Wahlkampf der CSU keine große Rolle mehr spielen. Auch ob sich Christian Lindner als Spitzenkandidat der FDP halten könne, sei ungewiss. Immerhin sei Lindner - wie auch Merkel und Seehofer - durch die geplatzten Sondierungsgespräche beschädigt. Und die SPD? Bliebe es im Fall der Fälle bei Martin Schulz als Spitzenkandidat? Gaiser hält sich bedeckt. "Wir müssen sehen." Schulz ist gesetzt klingt anders.

Im Gegensatz zu Winfried Kretschmann fürchtet Gaiser kein Erstarken der rechten Kräfte, sollte es zu einer Neuwahl kommen. Er hofft, dass die SPD von ihrer klaren Haltung in der Koalitionsfrage profitiert. Und dass "die Bevölkerung einsieht, dass man mit Rechts keinen Staat machen kann."

"GroKo", Minderheitenregierung, Neuwahlen - wie soll es weitergehen, mit der Bundesrepublik? Wir haben den Faktencheck gemacht.