Bundesbank-Vorstand Burkhard Balz wirbt für die Einführung des digitalen Euro. Angesichts der Befürchtungen in Deutschland sei noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.
Die Europäische Zentralbank (EZB) treibt die Arbeiten am digitalen Euro voran: Zur Einführung der virtuellen Bargeld-Alternative bis Anfang 2029 wird die nächste Vorbereitungsphase eingeläutet.
Herr Balz, in einfachen Worten: Was bringt der digitale Euro den Bürgern?
Der digitale Euro soll ein digitaler Zwilling unseres Bargelds werden. Heute haben die meisten Menschen in Deutschland mehrere Girokonten, zwei bis drei Girocards, ein bis zwei Kreditkarten. Dazu kommen häufig Paypal oder Klarna. So müssen sie sich mit einer Vielzahl von Passwörtern und Sicherheitsverfahren herumschlagen. In Zukunft könnten sie für alle Bezahlsituationen den digitalen Euro verwenden. Er würde das Bezahlen im Euroraum einfacher, einheitlicher und sicherer machen, ob im Supermarkt, beim Online-Shopping oder Geldversand an Freunde. Er ist eine All-in-one-Lösung.
In der Praxis braucht man dafür nur ein Smartphone und eine App?
Richtig, Sie brauchen ein digitales Endgerät, wahrscheinlich ein Smartphone, und dann eben eine Bank-App. Wie das genau aussieht, muss der Gesetzgeber noch formal entscheiden. Wir wollen dabei eng mit der Kreditwirtschaft kooperieren, weil es nicht Aufgabe der Bundesbank ist, das mit der App verknüpfte Konto bereitzustellen – und weil wir die Kreditwirtschaft nicht aus den Kundenbeziehungen verdrängen wollen. Da wird es ein Partnerschaftsmodell ähnlich zum heutigen Bargeld geben. Wir stellen den Euro bereit und die Kreditwirtschaft hilft bei der Versorgung und Verteilung an die Bürgerinnen und Bürger. Die meisten Menschen werden die elektronische Geldbörse für den digitalen Euro, Wallet genannt, vermutlich einfach in ihre bestehende Bank-App integrieren. Der digitale Euro kommt also vom Eurosystem, Zugang dazu erhält man aber durch seine Hausbank.
Und wenn der Strom weg ist?
Der digitale Euro soll eine Offline-Funktionalität bekommen. Sie können dann auch ohne Internet bezahlen oder wenn der Strom ausfällt, wie es Anfang des Jahres großflächig in Spanien und Portugal der Fall war.
Wann soll der digitale Euro kommen?
Der EZB-Rat hat gerade entschieden, dass das Projekt Digitaler Euro in die nächste Phase eintritt. Somit werden wir konkrete Themen wie die Technik und das Design voranbringen und den Gesetzgebungsprozess in Brüssel weiter unterstützen. Der digitale Euro soll wie das Bargeld gesetzliches Zahlungsmittel werden. Deshalb müssen der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament den Rechtsrahmen festlegen. Wir gehen derzeit davon aus, dass das Gesetzgebungsverfahren bis Ende 2026 abgeschlossen sein wird. Danach werden wir in einer weiteren Phase den digitalen Euro mit der Kreditwirtschaft und dem Handel testen. Unseren Fachleuten zufolge benötigen wir für die Testphase mindestens zwei Jahre. Daher ist von Ende 2028 oder Anfang 2029 als Startpunkt des digitalen Euro die Rede – was, glaube ich, sehr realistisch ist.
In der Zwischenzeit erobern andere Anbieter vollständig den Markt?
Wir befinden uns im Spannungsfeld. Wenn ich sehe, was in den USA, in Indien und anderen Volkswirtschaften mit großem Tempo passiert, dann stellt sich mir die Frage, ob wir wirklich noch dreieinhalb Jahre Zeit haben. Das Thema Geschwindigkeit wird aus meiner Sicht noch wichtiger werden. Auf der anderen Seite ist ein digitaler Euro von der Zentralbank offiziell emittiertes Geld. Das Vertrauen in die Währung, den Euro, ist auch über 25 Jahre nach seiner Einführung außerordentlich hoch. Da dürfen wir uns keine Fehler leisten. Alle Sicherheitsfragen müssen abschließend geklärt sein, bevor wir den digitalen Euro den Bürgerinnen und Bürgern anbieten. Insofern spüre ich selbst auch einen inneren Widerstreit, aber Sorgfalt muss hier vor Geschwindigkeit gehen.
Laut einer europaweiten Umfrage fühlt sich nur eine Minderheit gut informiert. Da ist für Sie noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten?
Eindeutig ja, aber das ist normal. Wenn Sie 30 Jahre zurückgehen, dann haben die Zentralbanken in Europa auch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen beim Übergang zum Euro-Bargeld. Letztlich handelt es sich um datenbasierte Transaktionen, da ist es relativ normal, dass die Bevölkerung in der Breite noch nicht informiert ist. Daher haben wir uns als Bundesbank entschieden, schon jetzt auf Tour durch Deutschland zu gehen. Mit unserer Veranstaltungsreihe „Bits & Bargeld – Wie bezahlen wir morgen“ wollen wir die Menschen vor Ort über die Zukunft des Bezahlens informieren.
Die Deutschen sind vernarrt in ihr Bargeld. Muss sich die Einstellung ändern?
Es ist nicht unsere Aufgabe, Vorlieben für Zahlungsmittel zu ändern. Warum auch? Bargeld ist ein tolles Produkt. In der Bundesbank sind wir uns einig, dass die Menschen auch in Zukunft Wahlfreiheit beim Bezahlen haben sollen. Sie sollen zwischen digitalen Bezahlformen und dem Bargeld frei entscheiden können. Wir werden alles dafür tun, dass die Menschen weiter Bargeld nutzen können. Wir haben keinerlei Absichten, unser ureigenstes Kernprodukt zu schwächen. Auch wenn es hierzu immer wieder Verschwörungstheorien gibt, kann ich als Bargeldvorstand der Bundesbank klar sagen: Wir wollen dem Bargeld nicht in irgendeiner Weise schaden oder es gar abschaffen. Der digitale Euro soll das Bargeld ergänzen, nicht ersetzen.
Die Gegner sorgen sich um den Datenschutz und die Privatsphäre – Sie auch?
Nein. Ich bin Mitglied in der High-Level-Taskforce für den digitalen Euro – das ist das Gremium, das dieses Projekt steuert – und habe dort immer wieder die Themen Datenschutz und Privatsphäre vorgebracht. Uns allen ist klar, dass wir am Ende die allerhöchsten Standards vorlegen müssen. Ich war zwei Perioden lang Mitglied des Europäischen Parlaments und weiß, wie sehr auch der europäische Gesetzgeber auf diese Punkte Wert legen. Für das Parlament ist der Datenschutz eine der Top-Prioritäten.
Der größte strategische Vorteil des digitalen Euro liegt in der Unabhängigkeit von kommerziellen Zahlungsanbietern?
Der entscheidende Unterschied zu Geschäftsbankengeld ist: Der digitale Euro wird von der Zentralbank ausgegeben, ohne kommerzielle Interessen oder gar Datenverkauf. Mittlerweile haben außereuropäische Anbieter einen großen Marktanteil im Bereich digitale Zahlungen. Paypal ist E-Commerce-Marktführer in Deutschland, Visa und Mastercard nehmen starke Positionen ein. Die chinesischen Anbieter werden sicherlich auch versuchen, mit ihren großen Zahlungsverkehrsplattformen WeChat Pay oder Alipay auf den europäischen Markt zu drängen. Was uns fehlt, ist ein eigenes europäisches System. Wir haben in Deutschland über 100 Millionen ausgegebene Girocards. Viele Menschen wissen aber nicht, dass die Girocard eine rein nationale Lösung ist. Wenn man im Urlaub in Italien, Österreich, Spanien damit bezahlt, ist die Abwicklung der Zahlung nur möglich, weil sie im Hintergrund über Visa oder Mastercard läuft.
Wie teuer wird der digitale Euro für den Nutzer hierzulande?
Es ist unser erklärtes Ziel, dass Zahlungen mit dem digitalen Euro insgesamt deutlich günstiger werden als mit den bisherigen privaten Systemen, vor allem für den Handel. Für den Verbraucher sollen sie grundsätzlich kostenlos sein. Dazu wird gerade ein Kompensationsmodell ausgehandelt, damit auch die Kreditinstitute am Ende etwas davon haben – da sind wir auf einem echt guten Weg.
In der Kreditwirtschaft wird der digitale Euro dennoch mit Skepsis erwartet?
Die schreit nicht Hurra, das ist richtig. Doch ich bin überzeugt, dass sie am Ende von der Einführung des digitalen Euro profitieren wird, weil sie ihre eigenen Produkte, ihre Innovationen, auf Grundlage des digitalen Euro aufbauen kann.
Banken und Sparkassen haben den Bezahldienst Wero entwickelt. Behindern die Pläne für den digitalen Euro dessen flächendeckenden Ausbau, weil die Banken aus Sorge vor Parallelstrukturen lieber abwarten?
Richtig ist, dass das Einfügen des digitalen Euro in die Bank-App kostspielig ist und dass versucht wird, diese Doppelinvestitionen möglichst zu vermeiden. Diesen Punkt können wir momentan nicht auflösen. Ansonsten hat das Eine aus meiner Sicht nichts mit dem Anderen zu tun. Wir sind sehr froh, dass private Unternehmen Wero bereitstellen, wobei noch nicht alle Funktionen dort freigestaltet sind. Ob das ein Erfolg wird, wird man sehen. Am Ende ist Wero nur ein Projekt großer Verbünde aus Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg. Und es gibt andere Initiativen, etwa im Süden Europas, in Skandinavien oder Polen. Diese privaten Initiativen wollen sich auf die eine oder andere Weise verbinden und gegenseitig kompatibel machen.
Kann der digitale Euro vom Vormarsch der Stablecoins überholt werden?
Für mich ist klar, dass man in den USA auf Stablecoins setzen wird. Die Märkte suchen nach digitalen und global einsetzbaren Zahlungsmitteln. Stablecoins können diesen Bedarf erfüllen, weil sie vor allem schnelle sowie kostengünstige Transaktionen ermöglichen und für programmierbare Zahlungen nutzbar sind. Aber da sind wir in der Bundesbank auch sehr klar: Für uns gibt es hier auch echte Risiken. Wir brauchen digitales Geld im europäischen Finanzsystem, das stabil ist und im Einklang mit unserer Geldpolitik steht. Die Nachfrage nach solchen Lösungen ist hoch. Wo sie einen Nutzen stiften können und gewissen Leitplanken folgen, können auch in Euro denominierte Stablecoins in Europa eine Rolle spielen.
Aus der Politik zur Bundesbank
Burkhard Balz
Burkhard Balz ist seit sieben Jahren Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank. Zuständig ist der 56-Jährige unter anderem für die Bereiche Zahlungsverkehr und Abwicklungssysteme. Zudem ist er Mitglied der Taskforce des Eurosystems zu digitalen Zentralbankwährungen – mitverantwortlich für die Umsetzung des digitalen Euro.
Europapolitiker
Von 2009 bis zu seinem Wechsel zur Bundesbank gehörte der in Lemgo (Westfalen-Lippe) geborene Jurist und ausgebildete Bankkaufmann dem Europäischen Parlament an. Dort war der Christdemokrat von 2014 bis 2018 finanzpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion.