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Berliner Bürgerinitiative will die Modernisierung der hippen Kastanienallee stoppen.

Berlin - Wo vor ein paar Jahren noch Hausbesetzer lebten, rücken bald die Bagger an. Moderne Gehwege, Straßenbahnhaltestellen und Radwege sollen her - denn die Kastanienallee im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ist längst an Touristen und Luxus-Mieter verloren.

Ob Fluglärm oder ein McDonald's im Kiez, das Ende der Ku'damm-Bühnen oder undurchsichtige Wasserverträge: In Berlin ist die Fraktion der "Wutbürger" traditionell besonders stark. Jetzt hat der Protest eine Grünen-Hochburg im Prenzlauer Berg erreicht. Eine Initiative namens "Stoppt K21" setzt sich gegen den 1,5 Millionen Euro teuren Umbau der hippen Kastanienallee ein, auch DJ Dr. Motte mischt mit. Der Grünen-Stadtrat, der die Pläne forciert, muss sich einiges anhören. Und das im Jahr, in dem die Grüne Renate Künast Regierende Bürgermeisterin werden will.

Denn die Kastanienallee ist nicht irgendeine Straße, sondern ein Beispiel für den Wandel Berlins. Nach dem Mauerfall kamen erst die Studenten und Hausbesetzer, dann Cafés, Bars, Geschäfte, Sprachschüler und Luxus-Wohnungen. "Wir leben hauptsächlich von Touristen", erzählt eine Verkäuferin. Der alternative Geist der Nachwendezeit ist trotzdem noch zu spüren. "Grüne! Geht nach Kreuzberg", steht auf einem Pappschild, das neben einem linken Buchladen an einem Baum hängt.

In der Kastanienallee finden sich alle Klischees

Der aufgeklappte Apple-Laptop am Tresen, daneben ein Becher Chai Latte. Junge Männer mit Szene-Vollbart, Mütter mit teuren Kinderwagen. Hier finden sich alle Klischees, die es über den Prenzlauer Berg gibt. "Wollt ihr ewig frühstücken?", singt Kabarettist Rainald Grebe über die "Castingallee". Deren Coolness anzuzweifeln gehört in Berlin zum guten Ton. Ähnlich wie das Schanzenviertel in Hamburg ist sie schon lange kein Geheimtipp mehr.

Till Harter kennt die Klischees. "Ich habe das alles schon so oft gehört", sagt der 40-Jährige. Er ist vor 20 Jahren aus Freiburg nach Berlin gezogen, gründete einen Kinderladen und betreibt seit zehn Jahren das Café 103. Er bezeichnet sich selbst als alteingesessenen Zugereisten. Leute wie er leben mit dem Spott, als Wessis den alten Ostzeiten hinterherzutrauern, als der Prenzlauer Berg noch ein wildes Pflaster war.

10.000 Unterschriften gesammelt

Harter fürchtet, dass durch den Umbau das Flair der Kastanienallee verloren geht. "Wie viele Straßen gibt es noch, die so funktionieren?", fragt er. 10.000 Unterschriften hat seine Initiative gesammelt.

Sie will im März ein Bürgerbegehren durchsetzen. Gegen eine Sanierung der holperigen Gehwege hat Aktivist Harter nichts, wohl aber gegen zwei Jahre Baustelle, Parkbuchten und einen Totalumbau. Er verstehe nicht, warum die Sanierung "so eine Riesensache" sein müsse. Schließlich stehe die Kastanienallee für das Schräge, Schiefe.

Dass die Proteste so ähnlich heißen wie die gegen den Bahnhof "Stuttgart 21", ist kein Zufall. Harter hält das Verhalten der Politik für vergleichbar. "Natürlich wollen wir die Grünen damit auch ein bisschen piesacken", sagt er. In Stuttgart setze sich die Partei für Bürgerbeteiligung ein. Bei der Kastanienallee sei das eine Scheinveranstaltung gewesen.

Geplant sind neue Gehwege, Haltestellen und Radwege

Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner sieht das anders. Die Anwohner hätten von den Plänen gewusst und ihre Vorschläge gemacht. "Da kann ich Ihnen die Protokolle zeigen", sagt er.

Nun soll also gebaut werden: Geplant sind die Ausbesserung der Gehwege, Haltestellen für die Straßenbahn und ein Streifen für die Radfahrer, die bisher zwischen Schienen und Autos lavieren. Angst, dass der Charme der Kastanienallee beim Umbau flöten geht, hat der Grünen-Politiker nicht. Die Straße sei bunt genug. Und sie sei es wert, sich zu streiten. Kirchner weiß seine Kiezbewohner einzuschätzen. "Die Debatte geht munter weiter."