Grünen-Stadträtin Susanne Feil, ebenfalls Befürworterin, diskutiert engagiert mit Gegnern. Foto: Kistner

Die Entscheidung über die Reaktivierung der Talgangbahn rückt näher – sie soll nicht ohne Bürgerbeteiligung getroffen werden. Die ging am Mittwochabend in die erste Runde.

Albstadt-Onstmettingen - Der gute Wille, nicht über die Köpfe der Bürger hinweg zu entscheiden, war deutlich erkennbar; allerdings dürften so manchen unter den knapp 200, die in die Onstmettinger Festhalle gekommen waren, Butterfahrt-Gefühle beschlichen haben: "Lust auf die Talgangbahn" lautete das Motto des Abends; die angekündigte Informationsveranstaltung war ganz offensichtlich auch eine Werbeveranstaltung.

Bekennende Befürworter

Alle, die zu Beginn auf der Bühne standen und sprachen, von Oberbürgermeister Klaus Konzelmann über Landrat Günther-Martin Pauli bis hin zu Tobias Bernecker, dem Geschäftsführer des Zweckverbands Regional-Stadtbahn Neckar-Alb, waren bekennende Befürworter der Reaktivierung und die Gäste aus Böblingen, die über die geglückte Reaktivierung der Schönbuchbahn berichteten, ganz offensichtlich eingeladen worden, um mit einer Erfolgsgeschichte gut Wetter zu machen. Kurt Retter, ihr Sprecher, berichtete sehr sachlich über ein Projekt, das gegen viele Widerstände durchgesetzt worden war, dessen Kritiker aber längst verstummt sind. Allerdings räumte er gleich zu Beginn ein, dass die Voraussetzungen "sich nicht eins zu eins vergleichen lassen": Die Bahnstrecke zwischen Böblingen und Dettenhausen ist für 75 000 Anwohner direkt erreichbar; das ist ein Vielfaches der Zahl, die im Talgang zu Buche steht.

Die meisten sind mit dem Auto gekommen

Viele, wenn nicht die meisten, die gekommen waren, dürften zu diesen mehr oder weniger direkten Anwohnern zählen – die Gäste waren bei ihrer Ankunft gebeten worden, mit roten Stickern auf einem Stadtplan ihren Wohnort zu bezeichnen, und die Mehrzahl der Sticker säumte die Bahnstrecke. Folgerichtig lautete eine weitere Frage, die später ans Plenum gerichtet wurde, mit welchem Verkehrsmittel sie gekommen seien. Knapp 60, mehr als zwei Drittel derer, die Angaben machten, hatten das Auto gewählt, 14 waren mit dem Rad oder zu Fuß gekommen und nur neun Bus gefahren. Sah nach Luft nach oben aus.

Könnten Straßen in der Nachbarschaft der Strecke abrutschen?

Indes zeigte sich im Lauf der folgenden Open-Space-Runde, die die zweite Hälfte des Abends in Anspruch nahm, dass es nicht ganz leicht fallen dürfte, dieses Potenzial auszuschöpfen: Die Reserven sind beträchtlich. Artikuliert wurde die Kritik an der Reaktivierung naturgemäß vor allem an der dritten von acht Open-Space-Stationen – sie trug den Namen "Sorgen".

Davon gibt es eine ganze Menge: Könnten Straßen in der Nachbarschaft der Strecke abrutschen? Werden die Nervenkostüme der unmittelbaren Streckenanrainer und die Bausubstanz ihrer Häuser Lärm, Druckwellen und Vibrationen gewachsen sein – einer der unmittelbar Betroffenen verwies auf die Neue Villa Haux in Ebingen, die der Zug in etwa vier Metern Entfernung passieren werde: Sei es wirklich die Absicht der Albstädter Stadtväter, die Zukunft ihrer schönsten Baudenkmäler aufs Spiel zu setzen?

Buslinie könnte gestrichen werden

Die Hauptkritikpunkte waren allerdings andere, und es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass die Bedenken gerade in Onstmettingen mit viel Aplomb vorgebracht wurden. Der dortige Bahnhof, nördliche Endstation der Talgangbahn, liegt am Südende des Dorfs; wer dort aussteigt, hat bis zum Hohberg, Allenberg, Raichberg noch einen weiten Weg vor sich. Der 44er Bus fährt, anders als die Bahn, einen Teil dieser Wohngebiete an; für alle, die derzeit haustürnah aussteigen können, würde die Streichung der Buslinie zugunsten der reaktivierten Bahn eine Einbuße an Lebensqualität bedeuten.

Denn darin sind sich Gegner und Befürworter der Reaktivierung einig: Umsteigen verringert die Attraktivität eines öffentlichen Verkehrsmittels – und mit ihr die Zahl der Nutzer. "Die Züge werden leer fahren", prophezeiten die Skeptiker an Station drei. "Lieber ein halbe Stunde im Stau stehen als im Regen!" Dass mehr Züge das Manko kompensieren könnten, mochte selbst der Böblinger Retter nicht glauben, der am Stand fünf – "Schönbuchbahn" – Fragen beantwortete: "Ein Viertelstundentakt wird nicht drin sein", mutmaßte er. "Dafür reicht das Fahrgastpotenzial nicht aus."

Alles steht und fällt mit dem Fahrgastpotenzial

In der Tat ist das Fahrgastpotenzial die große und entscheidende Unbekannte. Die Befürworter der Reaktivierung setzen auf die Wechselwirkung zwischen der Attraktivität des Angebots und der Zahl der Fahrgäste: Je mehr mitfahren, desto mehr Züge kann man einsetzen, und desto günstiger wird der Takt. Die alte Talgangbahn liefert den probaten Beweis; sie war eingegangen, weil die Attraktivität des Angebots mit den Fahrgastzahlen um die Wette sank. Garantiert ist allerdings nichts – Siegfried Schott zählt eher zu den Ungläubigen. "Wer in Böblingen Auto fährt, ist selber schuld", sagt der Onstmettinger Ortsvorsteher. "Aber hier sieht die Sache anders aus. Stecken wir das Geld doch nicht in diesen Wurmfortsatz von Bahn, sondern lieber in die Zweigleisigkeit und Elektrifizierung der Zollernbahn. Da ist es gut angelegt."

Nicht jeder kommt ums Umsteigen herum

Andere sahen es anders. Auch Befürworter der Talgangbahn hatten sich um den "Sorgen"-Stand geschart; sie verwiesen – wie schon Konzelmann, Pauli und Bernecker – darauf, dass die Talgangbahn ein geschenkter Gaul ist: Die Finanzierung übernehmen zum allergrößten Teil Bund, Land und Kreis. Schlügen die Albstädter das Angebot aus und wählten stattdessen andere Optionen für die Trasse – E-Bus, Fahrradweg, Freizeitparadies – , dann müssten sie all das selber bezahlen. Und schon heute, argumentierte etwa der Tailfinger Ulrich Nestle, komme beileibe nicht jeder ums Umsteigen herum – der Wechsel von Bus zu Bahn müsse keineswegs eine Verschlechterung bedeuten.

So oder so, das Thema "Anschlussmobilität" wird bei den weiteren Bürgerbeteiligungsterminen eine, wenn nicht die entscheidende Rolle spielen. Am Mittwoch, 11. Mai, stehen Ortstermine an – um 16 Uhr am Gymnasium Ebingen um 18 Uhr auf dem Truchtelfinger Bahnhof – , desgleichen am Donnerstag, 12. Mai, diesmal um 16 Uhr auf dem Onstmettinger und um 18 Uhr auf dem Tailfinger Bahnhof. Den Schlusspunkt setzt am Dienstag, 24. Mai, ein Workshop in der Ebinger Festhalle, der um 19 Uhr beginnt.