Im Juli übernahm Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft - und sorgt seitdem für Unmut in der Staatengemeinschaft. Ist ein Boykott von Ministertreffen die Lösung oder ist Dialog gerade wichtig?
Wie mit Provokationen von Ungarns Regierungschef Viktor Orban umgehen? Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind sich uneinig. Einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur zufolge nehmen an diesem Freitag und Samstag höchstens 10 von 27 Finanzministern an einem Treffen in Budapest teil - inklusive des ungarischen Ministers Mihaly Varga. Die offiziellen Gründe für die Absage von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und vielen seiner EU-Amtskollegen sind unterschiedlich. Alleingänge von Orban spielen aber eine Rolle. Bei den vergangenen informellen Finanzministertreffen in Belgien, Spanien und Schweden waren Angaben der Ausrichter zufolge jeweils mindestens 25 Länder auf Ministerebene vertreten.
Ungarns Minister Varga sagte zu Beginn des Treffens: Jedes Land könne frei entscheiden, wer es bei diesem Treffe vertrete. „Ich bin nicht enttäuscht.“ Jedes Land sei auf hohem Niveau repräsentiert, womit ein Boykott in dieser Hinsicht nicht erfolgreich gewesen sei, sagte er weiter. Viele Minister ließen sich in Budapest vertreten, für Deutschland etwa nahm Finanzstaatssekretär Heiko Thoms an dem Treffen teil.
Reaktionen auf Orbans Provokationen
Ungarn hat seit Juli die halbjährlich rotierende EU-Ratspräsidentschaft inne und ist so auch für die Ausrichtung von informellen Ministertreffen zuständig. Schon wenige Tage nach Beginn sorgte Orban für Aufruhr - mit einer Auslandsreise, die nicht mit der EU abgestimmt war. Dabei traf er in Moskau Kremlchef Wladimir Putin und inszenierte dies als „Friedensmission“ zur Lösung des Ukraine-Konflikts. Später reiste er noch zu Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping sowie zum früheren US-Präsidenten Donald Trump. Jüngst provozierte Budapest erneut und drohte als Protest gegen die europäische Asylpolitik damit, Flüchtlinge und Migranten nach Brüssel zu bringen.
Die Reisen stießen auf großen Unmut in der EU - vor allem, weil der Kreml den Moskau-Besuch für seine Propaganda ausschlachten konnte und Orban bei der Reise in der Ukraine-Politik nicht klar die EU-Position vertrat.
Reaktionen auf Orbans Provokationen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reagierte mit einer Boykott-Entscheidung auf die Alleingänge und kündigte Mitte Juli an, dass an künftigen informellen Ministertreffen unter der Leitung der Ungarn keine Kommissarinnen oder Kommissare, sondern nur ranghohe Beamte teilnehmen werden. So nimmt auch EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni nicht an dem Finanzministertreffen in der ungarischen Hauptstadt teil. Auch Kommissionsvize Valdis Dombrovskis kommt nicht.
Die Entscheidung von der Leyens kam kurz vor der Abstimmung im Europäischen Parlament über ihre zweite Amtszeit. Europäische Parteienfamilien wie die Sozialdemokraten, Grüne und Liberale hatten sie zuvor mehrfach aufgefordert, einen härteren Kurs gegenüber Ungarn einzuschlagen. Auf die Stimmen aus diesen Lagern war die Deutsche für ihre Wiederwahl angewiesen.
Lindner: Muss in Berlin sein
Die EU-Länder sind sich uneinig darin, welcher Kurs in Sachen Ungarn zu verfolgen ist. Einige Länder wie Litauen, Schweden und Dänemark kündigten an, vorübergehend keine Ministerinnen und Minister zu Treffen nach Ungarn schicken. Auch aus Finnland, Estland und Lettland sind aus diesem Grund keine Finanzminister in Budapest.
Bundesfinanzminister Lindner reist ebenfalls nicht nach Budapest. Wegen haushaltspolitischer Verpflichtungen werde er in Berlin sein müssen, sagte er vor einigen Wochen. An diesem Freitag ist die Schlussrunde der Haushaltswoche im Bundestag. Am Samstag stehen in diesem Zusammenhang keine Termine für ihn an.
Aus Frankreich heißt es, in Erwartung einer neuen Regierung werde das Treffen in Budapest nicht auf Ministerebene besetzt. Auch andere Mitgliedsstaaten führen nationale Termine als Grund für eine Nicht-Anreise an oder sagen, mit so wenigen Ministern vor Ort seien seriöse Diskussionen nicht möglich.
Luxemburg: Brauchen Dialog mit Ungarn
Auf der anderen Seite steht unter anderem Luxemburg. Finanzminister Gilles Roth ist beim Treffen in Budapest dabei. Luxemburgs Regierungschef Luc Frieden sprach sich für mehr Dialog mit Ungarn aus. Außenminister Xavier Bettel plädierte im Juli für eine Teilnahme an Treffen in Budapest, man müsse sich die Sachen „ehrlich ins Gesicht sagen“. Auch unter anderem aus Italien, Malta, Zypern, und Belgien reisten die Finanzminister zu dem Treffen an.
Eurogruppe findet statt
Auch die Eurogruppe, das Gremium, in dem sich die Finanzminister der Länder mit der Gemeinschaftswährung regelmäßig treffen, kam an diesem Freitag in Budapest zusammen - mit sieben Ministern in reduzierter Form. Das Treffen richtet ihr irischer Präsident Pascal Donohoe aus und nicht die Ungarn. Unter anderem die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, folgte seiner Einladung und nahm - anders als bei anderen informellen Finanzministertreffen - ausschließlich daran teil. Die Arbeit der Eurogruppe müsse weitergehen, antowortete Donohoe auf die Frage, warum er sich für ein Abhalten des Treffens entschieden habe. Ein informelles Treffen der EU-Außenminister war im Juli verlegt worden: Ursprünglich hatten die Beratungen von der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft in Budapest organisiert werden sollen. EU-Chefdiplomat Josep Borrell hielt dies allerdings wegen Orbans Aktionen für unangebracht und hatte stattdessen nach Brüssel eingeladen.