Die meisten Behandlungsfehler – wie etwa eine falsche Infusionsversorgung – passieren bei zu hohem Arbeitspegel und zu knapper Zeit, sagen ­Pflege-Experten. Foto: Fotolia

Wasser statt eines Betäubungsmittels, vertauschte Ziffern bei der Dosierung der Medikamente – solche Fälle listet der AOK in einer neuen Broschüre „Fehler als Chance“ auf. Damit soll für einen besseren Umgang mit Pflege- und Behandlungsfehlern geworben werden.

Wasser statt eines Betäubungsmittels, vertauschte Ziffern bei der Dosierung der Medikamente – solche Fälle listet der AOK in einer neuen Broschüre „Fehler als Chance“ auf. Damit soll für einen besseren Umgang mit Pflege- und Behandlungsfehlern geworben werden.

Bad Krozingen/Berlin - Die Pflegeanweisung für den alkoholkranken Patienten war augenscheinlich ganz einfach: Immer dann, wenn der Patient unruhig oder wach werden würde, sollte Peter Bechtel kurzzeitig die Dosis Distraneurin, die der 40-Jährige per Infusion bekam, erhöhen. Dieses Medikament wirkt nicht nur gegen Entzugserscheinungen, sondern sollte Psychosen vorbeugen, die durch den Entzug entstehen können. Der Krankenpflegeschüler tat, wie geheißen – und musste nur wenig später zusehen, wie der Patient einen Atem- und Kreislaufstillstand erlitt – ausgelöst durch eine zu hohe Dosis Distraneurin.

Peter Bechtel ist Vorsitzender des Bundesverbands für Pflegemanagement. Dass aufgrund seines Behandlungsfehlers fast ein Mensch gestorben ist, bekennt er ganz offen – am Telefon, aber auch in der Broschüre „Fehler als Chance“ die nun der AOK-Bundesverband herausgebracht hat. „Ich will damit anderen Menschen, die in Pflegeberufen arbeiten, Mut machen“, sagt er. Fehler passieren überall. „Aber damit sie nicht mehr passieren, muss man darüber reden und sie offenlegen können.“ Bechtel ist nicht der Einzige, der so denkt: In dem 35 Seiten starken Heft erzählen Pflegekräfte und medizinische Fachangestellte, wie es aus ihrer Sicht zu Behandlungsfehlern kommen konnte und wie Kollegen und Vorgesetzte sowie sie selbst mit der Situation umgegangen sind.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Behandlungsfehlern finden Sie hier.

Mit dieser Aktion wollen Pflegeverbände und der AOK-Bundesverband für einen offeneren Umgang mit Fehlern im Pflegebereich werben. So fordert der Präsident des Deutschen Pflegerats, Andreas Westerfellhaus, zusammen mit der Vorsitzenden des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Hedwig François-Kettner: „Wir brauchen eine Kultur, die hinschaut statt Schuldige sucht.“ Immer noch würden – meist aus Angst vor beruflichen und persönlichen Konsequenzen – Fehler im Gesundheitswesen „verschwiegen, vertuscht und verheimlicht“, heißt es im Vorwort der Broschüre.

„Die meisten Fehler in der Pflege passieren nicht aus Schlamperei“

So zeigt eine Studie aus dem Jahr 2010 von Monika Hebermann, Professorin am Zentrum für Pflegeforschung in Bremen, dass die Zahl der Fehlermeldungen in Krankenhäusern und Heimen sehr gering ist. Nur 15,5 Prozent der Pflegekräfte gaben an, dass mindestens die Hälfte aller Fehler in ihren Einrichtungen gemeldet wird. Als Hürde wurden unter anderem die Angst vor den disziplinarischen Folgen, mangelnde Rückmeldung und Unklarheiten darüber genannt, welche Fälle überhaupt gemeldet werden sollen.

Was dies für Auswirkungen auf die Patientensicherheit hat, zeigt die Statistik des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen: So erstellten die Medizinischen Dienste des Spitzenverbands im Jahr 2012 rund 12.500 Gutachten bei vermuteten Behandlungsfehlern – in jedem dritten Fall erwies sich der Verdacht als berechtigt.

In Deutschland haben mittlerweile viele Kliniken und Verbände anonyme Meldesysteme eingerichtet, in denen Ärzte und Pflegekräfte sich melden können, wenn sie glauben, einen Behandlungsfehler begangen oder beobachtet zu haben. Die Einrichtungen sehen die Meldungen als Chance, aus den begangenen Fehlern für die Zukunft lernen zu können. „Die meisten Fehler in der Pflege passieren nicht aus Schlamperei“, sagt der Pflege-Experte Peter Bechtel. Hauptursache sei oft die Zeitnot, die es vielen Mitarbeitern unmöglich macht, routinierte Handgriffe nochmals zu prüfen.

Doch das werde wichtiger denn je. Denn Fehlerquellen tun sich überall auf: Etwa, weil viele Medikamentenpackungen ähnlich aussehen und deshalb zu Verwechslungen führen. „Wenn man weiß, dass solche Fehler öfters passieren, kann die Krankenhaus- oder die Pflegeleitung sich gemeinsam überlegen, wie man solche Fehlerquellen beseitigen kann – und sei es nur, indem man für ähnliche Medikamente andersfarbige Etikette verwendet“, sagt Bechtel. Seinen Fehler, den er damals in seiner Ausbildung begangen hat, bezeichnet er inzwischen als prägende Lektion: „Ich lernte daraus, niemals einfach Anweisungen zu befolgen, sondern nachzufragen.“

Die Broschüre „Fehler als Chance“ gibt es kostenlos im Internet.