Zum symbolischen Start des "Mehrheitsbündnisses in Coronazeiten waren einige Unterzeichner im Landratsamt zusammengekommen. Mit dabei auch Initiator Andreas Reichstein (Vierter von links) und Schirmherr Landrat Helmut Riegger (Zweiter von rechts). Foto: Dinkelaker

Unter dem Motto "#KreisCalwGemeinsam" hat sich am Dienstag im Landratsamt ein breites Bündnis aus Politik und Kirchen formiert, das in der Corona-Krise ein Zeichen des Zusammenhalts, des gegenseitigen Respekts und der gemeinsamen Verantwortung setzen und auch Sprachrohr für die bislang "schweigende Mehrheit" sein soll.

Aktuelle Informationen zur Corona-Lage in unserem Newsblog

Kreis Calw - Die Initialzündung für diese breit angelegte Initiative war vom SPD-Kreisvorsitzenden Andreas Reichstein ausgegangen, zog dann aber weite Kreise. Landrat Helmut Riegger übernahm die Schirmherrschaft über das Bündnis, das den Namen "#KreisCalwGemeinsam – Zusammenhalt. Respekt. Verantwortung" bekam. Inzwischen hat die Initiative auch im Netz bei change.org unter diesem Namen eine eigene Petition gestartet, der sich alle, die das gerne möchten, auch anschließen können. Zu den Erstunterzeichnern dieser Petition gehören neben Landrat Helmut Riegger auch die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken, der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus Mack, die Kreisverbände von CDU, SPD, FDP und Grünen sowie etliche ihrer Ortsverbände und deren Vertreter aus dem Landkreis. Auch die evangelische und die katholische Kirche – etwa der evangelische Dekan Erich Hartmann oder der kommissarische katholische Dekan Anton Bock – gehören zu den Unterstützern des Bündnisses.

"Nachvollziehbarer Unmut wird ausgenutzt"

In der Petition betonen die Unterzeichner ihre gemeinsame Sorge um die Entwicklung rund um Corona, ihre Sorge um die Kranken- und Pflegeeinrichtungen, um Kinder und Jugendliche, Arbeitnehmer, Studierende. Trotz aller Belastungen, die die Corona-Krise mit sich gebracht habe, gelte es jetzt solidarisch zu sein und zusammen zu halten, heißt es in der Petition. In einer Demokratie könnten unterschiedliche Meinungen "diskutiert und ausgehalten werden", heißt es dort weiter und an den Meinungsprozessen könnten auch alle teilnehmen. Allerdings auf eines legen die Unterzeichner Wert: "Wir können aber nicht wortlos zusehen, wie demokratiefeindliche Kräfte den nachvollziehbaren Unmut von besorgten, verängstigten oder unsicheren Bürgern ausnutzen und aus zwielichtigen Beweggründen zu ›Spaziergängen‹ anstatt zu angemeldeten Demonstrationen aufrufen, Lügen und Verschwörungstheorien verbreiten und somit Stück für Stück einen Spaltpilz in unsere Gesellschaft treiben", wie es in der Petition wörtlich heißt.

Auf die Demokratie achtgeben

Die Petition wendet sich ausdrücklich gegen Bedrohungen und Beschimpfungen und gegen Attacken auf Polizisten, Feuerwehrleute und Mediziner. In Zeiten wie diesen müsse man auf den Umgang miteinander und auf die Demokratie achtgeben. "Wir dürfen nicht zulassen, dass radikale Kräfte beides zerstören", heißt es dort weiter. Weiterhin enthält das Schreiben ein klares Bekenntnis zu Abstands-, Kontakt- und Maskenregeln und zum Impfen als "Ausweg aus dieser Pandemie". Die Erklärung endet mit den Worten "Wir sind keine laute Minderheit. Wir sind mehr – mit Abstand, Verantwortung und in Solidarität."

In einer zu großen Teilen online abgehaltenen Zusammenkunft gaben nun die Beteiligten den offiziellen Startschuss für das Bündnis. Landrat Helmut Riegger rief dazu auf, dass sich die bislang schweigende Mehrheit jetzt zu Wort melden solle und dass es jetzt darum gehe, "zusammenzuhalten, an einem Strang zu ziehen und zusammenzuführen, statt zu spalten". Initiator Andreas Reichstein bezeichnete den Start der Initiative als "starkes Zeichen für eine konstruktive Bewegung".

"Wirkliche Mehrheit muss erkennbarer werden"

SPD-Chefin Saskia Esken, die die Initiative als "beeindruckendes Bündnis" bezeichnete, rief in Erinnerung, dass in diesen Zeiten immer mehr Menschen – ob nun Polizisten, impfende Ärzte oder Busfahrer – Opfer von Attacken würden. Die Kritiker seien so wenige und doch so laut. Doch die seien nicht die Mehrheit. Jetzt müsse die wirkliche Mehrheit erkennbarer und lauter werden.

CDU-Kreischef und Landtagsabgeordneter Thomas Blenke betonte – auch im Namen des neuen CDU-Bundestagsabgeordneten Klaus Mack – dass die Demokratie im Land funktioniere – auch die Versammlungsfreiheit. "Auch besorgte Menschen werden respektiert." All das müsse aber innerhalb des rechtlichen Rahmens passieren. "Schauen Sie genau hin, wer zu solchen Spaziergängen aufruft", mahnte er die Teilnehmer. Ausdrücklich wandte er sich gegen Gewalt – auch und besonders gegen Polizeibeamte, ergänzte aber auch, dass es im Kreis Calw keinerlei Hinweise auf Gewaltausbrüche gebe.

"Sprache wird salonfähig, die Angst macht"

"Die Erkrankung ist viel gefährlicher als die Impfung", bemerkte Grünen-Kreissprecherin Anke Much, die Vergleiche der Corona-Lage mit dem Holocaust aufs Schärfste kritisierte. "Solche Vergleiche sind untragbar.".

"Es gibt eine große Mehrheit, die hörbar sein muss", hob Jutta Kemmer-Hönig von der FDP hervor, die Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit als "hohes Gut" bezeichnete und sich klar gegen Hass und Hetze wandte.

Der evangelische Dekan Erich Hartmann warnte angesichts der Lage die Menschen davor, auf "falsche Freiheitsbegriffe" zu setzen. Für ihn führt der Weg aus der Krise über Gemeinsamkeit, Respekt und Solidarität.

"Das war es noch nicht"

Für die katholische Kirche sprach Diözesanrätin Monika Rais-Wehrstein davon, dass sie in dieser Krise Ängste und Sorgen wahrnehme, die allerdings von Kräften missbraucht würden, "die anderes im Sinn haben". Deshalb gelte es die Demokratie zu schützen. Darüberhinaus werde in der Debatte – vor allem im Netz – eine Sprache wieder salonfähig, "die Angst macht". Für Zeljko Bakovic, stellvertretender Dekan des katholischen Dekanats Calw, ist die Impfung eine "Verpflichtung aus Solidarität und Nächstenliebe", denn "wir leben nicht nebeneinander, sondern miteinander".

Schirmherr Helmut Riegger will die Kräfte in dieser Sache zunächst im Kreis bündeln und dort das Miteinander stärken. Doch ist es für ihn auch klar, dass die Initiative noch weitere Kreise ziehen muss. Dem stimmte Initiator Andreas Reichstein mit Blick auf große Zusammenschlüsse etwa im benachbarten Enzkreis, mit denen man sich vernetzen sollte, ausdrücklich zu und kündigte an: "Das war es noch nicht."

Wer die Petition unterstützen möchte, kann das tun unter: https://www.change.org/KreisCalwGemeinsam