In Kiryat Yam in Israel besucht Christoph Nobs die Nachkommen der 1938/1939 aus Bräunlingen geflüchteten Kaufmannsfamilie Zimmt. Von links nach rechts: Christoph Nobs und Helen Schäfer – mit dem Foto ihres 2010 verstorbenen Halbbruders Herbert Zimmt – sowie die Ehefrau ihres Neffen, Mor Zimmt, und deren kleine Tochter. Foto: Privat

Jüdische Familie Zimmt flieht 1939 aus Bräunlingen. Weg führt über Shanghai bis nach Israel.

Bräunlingen - Am 10. November 1938 wurde in Bräunlingen Fritz Zimmt, ein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, verhaftet und am 11. November ins Konzentrationslager Dachau gebracht. 80 Jahre danach suchte ein Bräunlinger in Haifa die Nachkommen – und fand sie.

Helen Schächter heißt demnach die 70-jährige Tochter von Sophie Schächter, geborene Schindler (Jahrgang 1911), der Witwe von Fritz Zimmt (Jahrgang 1896). Helene Schächter lebt heute in Kirryat Yam (Israel), einer Stadt zwischen Haifa und Akko.

Fritz und Sophie Zimmt stammten aus Sprottau in Niederschlesien. Am 15. Mai 1934 war im "Donauboten" zu lesen: "Bräunlingen, 13. Mai. Besitzwechsel und Geschäftseröffnung. Herr Kaufmann Zimmt hat hier das von ihm erworbene ehemalige Dold’sche Anwesen in der Blaumeerstrasse zur Einrichtung eines Textilwaren- und Glas- und Porzellangeschäftes umgeändert. Das Geschäft wurde am Samstag eröffnet und wird sich wohl allgemeinen Zuspruches erfreuen dürfen."

Mobbing und Boykott

Durch die Herrschaft der auch in Bräunlingen aktiven Nationalsozialisten erfreute sich das Geschäft jedoch bald schon nicht mehr des Zuspruchs der Bräunlinger Bevölkerung. Mobbing, Boykott und körperliche Gewalt spitzten sich zu. Schließlich wurde Fritz Zimmt am 10. November 1938 im Zuge der Reichspogromnacht verhaftet und ins Konzentrationslager nach Dachau gebracht.

Dort war er einen Monat interniert, so wie viele andere auch: eine gezielte Maßnahme der Nationalsozialisten, um die Deutschen jüdischen Glaubens zur Ausreise zu bewegen, was dann auch geschah. Innerhalb weniger Wochen gelang es dem Ehepaar Zimmt, mit ihrem am 21. August 1935 in Bräunlingen geborenen Sohn Herbert die Ausreise zu organisieren.

Am 23. März 1939 flüchteten sie mit dem Schiff "Victoria" nach Shanghai, China. Zuvor veräußerten sie ihr Haus und Geschäft in der Blaumeerstrasse 13. Die Nazi-Presse berichtete schon im Januar 1939, dass der Grundbesitz von Fritz Zimmt samt Kaufhaus "im Zuge der Arisierung" in nichtjüdischen Besitz "übergegangen" sei.

Von 1939 bis 1948 lebte die Familie in Shanghai, wo Fritz Zimmt 1945/1946 verstarb. Seine Witwe Sophie heiratete danach den aus Österreich stammenden Isaak Schächter, ihre gemeinsame Tochter Helene wurde am 29. August 1948 geboren. Am 1. Januar 1949 emigrierte die vierköpfige Familie Isaak, Sophie, Herbert und Helene nach Israel via Genua mit dem Schiff "Castel Bianca", wie es in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem belegt ist.

In Haifa gründete Herbert Zimmt eine Opel-Handlung mit Werkstätte, die er bis zu seinem Ruhestand betrieb. Herbert Zimmt starb am 30. Mai 2010. Seine Mutter Sophie überlebte ihn und verstarb eineinhalb Jahre später hundertjährig am 26. November 2011.

Die 70-jährige Halbschwester Helene Schächter lebt mit den Nachkommen von Herbert Zimmt im gemeinsamen Haus in Kiryat Yam. Aufgrund sehr glücklicher Umstände gelang es Christoph Nobs, sie jetzt zu finden und zu besuchen – 80 Jahre nach den leidvollen Geschehnissen in Bräunlingen. Es war eine herzliche Begegnung. Seither ist der Kontakt mit Bräunlingen wieder hergestellt. Die Geschichte der Familie wird nun vom Arbeitskreis "Geschichtswerkstatt Bräunlingen" aufgearbeitet.

Weitere Informationen unter www.geschichtswerkstatt-braeunlingen.de

Info: Reichsprogromnacht

Vor 80 Jahren, 9. auf 10. November 1938, wurden Synagogen in Baden, Württemberg und Hohenzollern so wie im gesamten Deutschen Reich in Brand gesteckt, auch in Österreich und in der Tschechoslowakei.

Der 9. November ist der Tag, an dem organisierte Schlägertrupps jüdische Geschäfte und Gotteshäuser in Brand setzten. Es ist der Tag, an dem tausende Juden misshandelt, verhaftet oder getötet wurden. Spätestens an diesem Tag konnte jeder in Deutschland sehen, dass Antisemitismus und Rassismus bis hin zum Mord staatsoffiziell geworden waren.

Die Bezeichnung Reichskristallnacht, deren Herkunft nicht definitiv geklärt ist, bildete und erhielt sich für das reichsweite Pogrom (gewalttätige Aktion gegen Menschen, die einer Minderheit angehören) gegen die Juden im Deutschen Reich am 9./10. November 1938. Der Begriff Kristallnacht bezieht sich auf die überall verstreuten Glasscherben vor den zerstörten Wohnungen, Läden und Büros, Synagogen und öffentlichen jüdischen Einrichtungen. Die Bezeichnung Reichspogromnacht (oder auch Pogromnacht beziehungsweise Novemberpogrom) hat sich erst in jüngerer Zeit verbreitet, um das von den Nazis verwendete Wort Reichskristallnacht zu ersetzen.