Der Betriebsseelsorger Ioan Brastiak (Mitte) und der DGB-Landesvorsitzende Kai Burmeister sprechen einen Zusteller an (der auf dem Foto nicht erkannt werden will). Foto: Matthias Schiermeyer

Onlineversandhändler haben Hochkonjunktur. Doch beschäftigten ihre Kurier- und Paketdienste vor allem junge Osteuropäer, die wenig über ihre Rechte Bescheid wissen. Die Gewerkschaften verweisen auf Missstände – Amazon widerspricht.

Wenngleich die Paketflut diesmal etwas geringer ausfallen mag als voriges Jahr, rechnet der Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK) im Weihnachtsgeschäft mit 715 Millionen Sendungen – im Schnitt mit rund 14,5 Millionen pro Zustelltag. Demnach werden die Unternehmen der Kurier-, Express- und Paketbranche auf rund 15 000 zusätzliche Arbeitskräfte zurückgreifen und bis zu 10 000 weitere Fahrzeuge einsetzen. Den ersten großen Ansturm bringen der Black Friday und die folgenden Aktionstage mit dem Startschuss am Freitag.

 

Die Beschäftigungsstrukturen sind anfällig für Missbrauch

Der Kraftakt, die Sendungen schnellstmöglich zuzustellen, wird bei den Onlineversandhändlern und Paketdiensten oft von Beschäftigten geleistet, die unter unübersichtlichen Bedingungen arbeiten – ohne Tarifverträge und mit Beschäftigungsstrukturen, die anfällig sind für Missbrauch. „Prekäre Beschäftigung und Ausbeutung haben dramatisch zugenommen“, sagt DGB-Landeschef Kai Burmeister. „In den vergangenen zehn Jahren sind die Löhne bei Post-, Kurier- und Expressdiensten deutlich langsamer gestiegen als in der Gesamtwirtschaft.“ Es brauche Ordnung in den Lieferketten.

Burmeister führte am Mittwochmorgen eine Infoaktion vor dem Amazon-Verteilzentrum in Sindelfingen an. Ziel war es, Kurierfahrer – unter ihnen viele junge Ost- und Südosteuropäer, vor allem Rumänen, aber auch Afghanen, Usbeken oder Georgier – anzusprechen und sie mit einem zehnsprachigen Flyer auf ihre Rechte aufmerksam zu machen. Begleitet wurde er vom DGB-Beratungsnetzwerk Faire Mobilität und von der Katholischen Betriebsseelsorge.

2500 Euro brutto im Monat bei unklaren Arbeitszeiten

Zu dieser gehört auch Ioan Brastiak, der als ein in Rumänien geborener Slowake wenigstens die sprachliche Hürde überwinden kann. Die Auskunftsbereitschaft der Fahrer hält sich an diesem Morgen sehr in Grenzen: Entweder sie sind in Eile, oder sie fürchten Probleme mit dem Chef, wenn sie sich auf Gespräche einlassen. Doch erfährt der Betriebsseelsorger vom „Personalverwaltungsmanager“ einer Münchner Firma, der am Verteilzentrum auf die korrekte Ausführung seiner Fahrer achtet, dass laut den pauschalen Arbeitsverträgen ein Monatslohn von 2500 Euro brutto gezahlt wird. Offen bleibt die dafür zu leistende Stundenzahl. Brastiak nimmt an, dass dabei der gesetzliche Mindestlohn von zwölf Euro unterschritten wird. Urlaubs- und Krankheitsphasen werden zumindest in diesem Fall noch bezahlt.

Aus der Szene ist auch zu hören, dass die Kurierfahrer gehalten sind, 230 bis 250 Pakete am Tag auszuliefern und bis zu 150 Stopps zu absolvieren. An ihren neun bis 15 Stunden langen Arbeitstagen werden sie per Handy-App fast lückenlos kontrolliert und müssen unerwartete Pausen begründen. Und wohl nicht nur die Münchner Firma lässt ihre Zusteller die Schäden am Fahrzeug wie den kaputten Außenspiegel selbst bezahlen.

Gewerkschaften wollen Subunternehmertum abschaffen

Selbst wenn „Amazon“ draufsteht – und erst recht bei den anderen Lieferwagen –, handelt es sich um diffuse Besitzverhältnisse. Letztlich werden die Kurierdienste, auch bei Hermes und anderen Versandgrößen, fast komplett von kleinen Subfirmen ausgeführt. Die Gewerkschaften dringen daher mit Macht auf gesetzliche Verbesserungen für diese Branche. Gefordert werden vor allem ein Verbot von Subunternehmen, eine Gewichtsbegrenzung von 20 Kilogramm für das Ein-Personen-Handling von Paketen und strengere Kontrollen durch Behörden.

Amazon pocht auf Verpflichtung zu fairem Umgang mit den Fahrern

Amazon weist die Vorwürfe der Gewerkschaften von sich: „Wir stellen hohe Anforderungen an die Unternehmen, die mit uns zusammenarbeiten, und die überwiegende Mehrheit sind großartige, zuverlässige Partner“, sagte ein Sprecher des Unternehmens unserer Zeitung. „Während Partner ihre eigenen Mitarbeiter einstellen und betreuen, arbeiten wir mit den Lieferpartnern zusammen, um unseren Teil dazu beizutragen, dass Fahrer fair und respektvoll behandelt werden.“

Die Lieferpartner unterzeichneten eine „Programmvereinbarung“ und die „Programmrichtlinien“ – mit der Verpflichtung, faire Löhne und angemessene Arbeitszeiten zu gewähren. „Wir überprüfen sie regelmäßig, um sicherzustellen, dass sie die geltenden Gesetze und unsere Richtlinien einhalten, und ergreifen Maßnahmen, wenn dies nicht der Fall ist“, sagte der Sprecher. „Wenn Überstunden anfallen, sind unsere Partner verpflichtet, die Fahrer entsprechend zu bezahlen.“

Zusammenarbeit mit dem Partner auf dem Prüfstand

Zudem habe Amazon in Deutschland eine Fahrer-Hotline eingerichtet, die in verschiedenen Sprachen zur Verfügung stehe. Dort könnten die Zusteller auch anonym Verstöße gegen geltendes deutsches Recht ansprechen. „Wir gehen jedem Fall nach und klären mögliche Probleme mit dem zuständigen Arbeitgeber“, heißt es. „Bei Vertragsverletzungen oder Hinweisen auf illegale Handlungen beenden wir die Zusammenarbeit mit dem Partner.“