Fußball: 28-Jährige steht seit neuer Saison für GSV Freiburg auf dem Platz. "Riesige Verantwortung."
Bösingen-Herrenzimmern - "Ich steh’ frei", "Wechsel", "Abstand, Nummer 10" – das alles sind Dinge, die Carina Klatt nicht hören kann. Deswegen aber auf den Lieblingssport verzichten? Das kommt für die Gehörlose nicht in Frage. Jetzt spielt sie sogar Bundesliga.
Einen Pass "blind" spielen? Für erfahrene Fußballer kein Problem. Wie ist es aber, wenn jegliches Hörvermögen fehlt? Wenn man weiter rennt, weil man den Pfiff des Schiedsrichters nicht gehört hat? Wenn man weder motivierende Worte vom Trainer noch Kritik auf dem Feld hört? Und wenn man der Einzige ist, der den Schlusspfiff nicht mitbekommt?
So etwas hat Carina Klatt einige Male in ihrer Laufbahn erlebt. Die 28-Jährige ist seit ihrem sechsten Lebensjahr Fußballerin mit Leib und Seele. Bis zum Sommer hat sie bei der Zweiten Damenmannschaft der Spielgemeinschaft Herrenzimmern/Villingendorf (Bezirksliga) gekickt.
Als die Zweite dann Ende der vergangenen Saison aufgelöst wurde, endete ihr Weg beim Heimatverein. Sie suchte eine neue Herausforderung. Der Kontakt zu ihrem aktuellen Team kam über eine Selbsthilfegruppe in Freiburg zustande. Dort habe sie immer Bilder gezeigt und vom Fußball geschwärmt.
Lippenlesen perfektioniert
Die gelernte Metallfeinarbeiterin ist von Geburt an gehörlos. Ohne ihr Cochlea-Implantat wäre sie komplett taub, erzählt sie. Dieses hat sie erst mit 18 Jahren bekommen. Vorher hatte sie zwar ein Hörgerät, doch das brachte nicht viel. Sprechen lernte sie auf der Sonderschule dank visueller Hilfen, die anzeigten, ob sie die Wörter richtig aussprach. Hören konnte sie zu dieser Zeit so gut wie nichts. Mit dem Implantat sollte alles besser werden.
Doch vor ein paar Monaten kam die erschreckende Diagnose: null Prozent beim Hörtest. Dabei hatte sie in vorherigen Tests immer gut abgeschnitten. Wie sich herausstellte, war ihr Gerät falsch eingestellt worden. Die guten Ergebnisse hatte sie vornehmlich durch richtiges Raten erzielt. Dabei hatte sich ihre Hörfähigkeit letztlich gar nicht verbessert.
Wer denkt, das müsse man doch merken, den belehrt Klatt eines Besseren. "Ich habe perfektioniert, von den Lippen abzulesen, meinte der Arzt." Laut und leise, hoch und tief – "wer noch nie richtig gehört hat, der weiß nicht, was das ist", sagt Klatt.
Inzwischen ist sie regelmäßig bei der Selbsthilfegruppe für Implantat-Träger und lernt das Hören. Zudem engagiert sie sich in der Deutschen Cochlea Implantat Gesellschaft. "Was machst du, wenn du morgen taub bist?", steht auf deren Werbekarten. Carina Klatt kennt es nicht anders. Und das stellt sie nicht nur im Alltag vor viele Herausforderungen.
Seit dem Sommer spielt sie nun beim Gehörlosen-Sportverein Freiburg (GSV) und startet somit in der Gehörlosen-Bundesliga. Gut 20 Spieler sind im Kader, erzählt Klatt.
Teamgedanke wichtiger
Um Chancengleichheit zu schaffen, muss sie vor dem Spiel das Hörgerät herausnehmen. Statt eines Pfiffs bei Freistoß, Tor oder Abseits hält der Schiedsrichter eine Signalfahne nach oben. "Außerdem macht man viel mehr mit den Händen, beispielsweise wenn man einen Pass spielen will", sagt die Herrenzimmernerin, die auch Gebärdensprache beherrscht.
Generell helfe man sich im Gehörlosen-Fußball viel mehr auf dem Feld. "Der Teamgedanke ist wichtiger. Wer etwas verbockt, der wird aufgefangen", sagt Carina Klatt. Auch der Respekt vor dem Trainer sei viel größer als bei einem "normalen" Team.
Gleichzeitig ist Klatt ohne Kommentare von Trainer, Mitspielern oder Fans völlig auf sich allein gestellt. "Das ist eine riesige Verantwortung", meint sie. Und es macht aufmerksamer. Nun achtet sie nicht mehr so sehr auf den Ball, sondern mehr auf die nächste Anspielstation. Meist spielt Klatt auf der Zehner-Position oder im Sturm. Bisher hat sie schon Partien gegen Frankfurt und einen Ort in der Nähe von Straßburg bestritten, sagt sie, doch nicht jedes Wochenende finde ein Spiel statt.
Durch ihre Arbeit als Metallfeinarbeiterin in Rottweil ist sie zudem örtlich recht gebunden. Außerdem trainiert sie beim SV Herrenzimmern noch die F-Jugend. "Ich fahre aber runter so oft ich kann." Und Ende Januar steht für sie der erste Höhepunkt an: die Deutschen Meisterschaften in Bremen. Dass sie das eines Tages schaffen würde, habe sie niemals zu träumen gewagt.