Alice Weidel und Martin Hess demonstrieren Einigkeit beim Parteitag. Foto: Murat

Politikerin übernimmt. Emil Sänze spricht neuem Vorstand Kompetenz ab.

Böblingen/Rottweil/Hechingen - Alice Weidel kam von Berlin nach Böblingen, sah ihre Chance und siegte im Kampf um den Landesvorsitz der baden-württembergischen AfD. Im zweiten Anlauf, nach der Pleite vor zwei Jahren in Sulz (Kreis Rottweil), wählt die Mehrheit der rund 1000 Mitglieder beim Landesparteitag am Samstag in der Böblinger Kongresshalle die 41-jährige Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag zur neuen Landessprecherin.

Das Erfolgsgeheimnis der Fraktion im Bundestag will sie nun auch im Südwesten verankern: Einigkeit. Eine Aufgabe, an der schon etliche vor Weidel gescheitert sind. Zu gespalten ist die Landespartei, zu viele Grabenkämpfe und Intrigen prägen bislang ihre DNA. Wertkonservative Realos und radikale Kräfte ringen seit Jahren um die Macht. Exemplarisch dafür stand der bisherige Vorstand um den gemäßigten Bernd Gögel und dem "Flügel" nahestehenden Dirk Spaniel.

Co-Sprecher aus Hechingen

Beide haben bereits vor dem Parteitag geschlossen ihren Hut genommen, um Platz zu machen für frischen Wind. Diesen soll Weidel nun zusammen mit ihrem neuen Co-Sprecher, dem Ex-Polizisten Martin Hess, gebürtig aus Hechingen (Zollernalbkreis), der zerrissenen Partei einhauchen. "Wir müssen endlich miteinander sprechen, anstatt übereinander", sagt Hess, der die tiefen Gräben in der Partei so zuschütten will.

Noch vor den Türen der Kongresshalle machen die Mitglieder am Vormittag allerdings nicht den Eindruck, als müssten sie geeint werden: Die Stimmung ist gut. Es werden blaue Liköre verteilt, um sich beim Anstehen warmzuhalten. "Das sind unsere konservativen 18 Umdrehungen", ruft einer der Wartenden und lacht. Bei der Verkündigung des Wahlausgangs dann machen sich die Gräben bemerkbar: In den Applaus und die Jubelrufe für Weidel mischen sich auch Gegrummel und vereinzelte Buh-Rufe.

Platz etwa für den "Flügel" gibt es im neu gewählten Vorstand keinen. Spaniel, der Weidel an ihrem 41. Geburtstag eine Woche vor dem Parteitag mitteilte, ihr die Stirn bieten zu wollen, verliert die Wahl: Am Ende entfallen auf ihn 419 Stimmen, Weidel erhält 547. Der eher unbekannte Kandidat Bernd Pühringer bekommt 42 Stimmen. Doch links liegen lassen kann Weidel den völkisch-nationalistischen "Flügel" von Björn Höcke auch nicht. Das Lager ist zu stark vertreten im Südwesten. Aus diesem Grund gibt es reichlich Lob Richtung Thüringen: "Björn Höcke gebührt allerhöchster Respekt für das, was er in Thüringen leistet", lobt Weidel. Die AfD sei Dank Höcke ein politischer Fels, "an dem die etablierten Parteien wie Nussschalen zerschellen". Der Saal tobt und jubelt.

Will Weidel langfristig Ruhe in die Landespartei bringen, muss sie den "Flügel", den sie als "ganz wichtige Strömung" bezeichnet, gerade im Südwesten in irgendeiner Form einbinden. Mit Spaniel, der gegen Hess im Wahlgang zum Co-Sprecher noch eine Pleite hinnehmen musste, will die neue AfD-Landeschefin deshalb weiterhin im Gespräch bleiben. "Ich halte Herrn Spaniel für einen guten Fachpolitiker", sagt sie und fügt mit Blick auf das Wahlergebnis an: "Die Mitglieder wollen nun aber einen Schnitt haben."

Einen Schnitt, den Spaniel akzeptieren muss und der sich nun weiter auf seine Arbeit im Bundestag konzentrieren will. Das Projekt Weidel sieht er jedoch kritisch: Die Arbeitsbelastung sei als Fraktionschefin im Bund und Landesparteichefin einfach zu hoch und beide Aufgaben nicht machbar, meint der Unterlegene.

Mehr als skeptisch zeigte sich am Samstag auch der Vize-Fraktionschef im Landtag, Emil Sänze aus Sulz (Kreis Rottweil). Zu wenig Landesbezug beklagt er mit Blick auf die besetzten Vorstandsposten. "Ich bin tief betrübt, dass fast keine Baden-Württemberger im Vorstand sind", sagt er unserer Zeitung.

AfD-Wähler träumen von 20 Prozent bei der kommenden Landtagswahl

Als weitere Stellvertreter wurden der gebürtige Italiener Marc Jongen, gegen den Sänze den Kürzeren zog, und Markus Frohnmaier – geboren in Rumänien – gewählt. Beide sind sie Abgeordnete des Bundestags, genauso wie auch Hess und Weidel. "Das wird zu keiner Befriedung und zu keiner Entwicklung des Landes führen", erklärt Sänze, der zusätzlich enttäuscht ist, dass dem "Flügel" selbige gestutzt wurden.

Bereits vor dem Parteitag hatte Sänze deutlich gemacht, wie wichtig es sei, dass alle Strömungen vertreten sind. An den versprochenen Dialog mit dem "Flügel" seitens Weidel glaubt der Sulzer nicht. Große Sorgen macht er sich darüber hinaus um seinen Heimatkreis in Bezug auf die Automobilindustrie. Die nötigen Kompetenzen, hier eine gute Lösung zu finden, spricht er der neuen Führungsriege ab.

Allein Sänzes Äußerungen zeigen den schweren Weg auf, den Weidel mit ihrem Vorstand nun zu gehen hat. Dass es der AfD-Frau gelingt, mit ihrer Präsenz und Gesprächen die Partei zu einen, ist aktuell schwer vorstellbar. Die AfD-Unterstützer hingegen scheinen die innerparteilichen Turbulenzen nicht abzuschrecken. Die träumen bei der Landtagswahl 2021 bereits von 20 Prozent. Weidel selbst stellt beim Parteitag Wahlergebnisse wie in Thüringen in Aussicht.

Am Sonntag signalisierte die Landtagsfraktion derweil Unterstützung für Weidel: Laut SWR bot diese der neuen Landeschefin die Zusammenarbeit an. Weidel sagte demnach, dass sie auch Gespräche mit Fraktionsmitgliedern geführt habe. Aber wo tritt die 41-Jährige künftig politisch in Erscheinung? Diese Frage ist für Weidel schnell und klar beantwortet: "Ich gehöre in den Bundestag und nicht in den Landtag."

Protest Rund 500 Demonstranten haben laut Polizeiangaben am Samstagvormittag ein Zeichen gegen Rechts gesetzt und für ein "buntes Böblingen" demonstriert. Darunter etwa der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), Bürgerinitiativen und die linksautonome Antifa. Polizeieinsatz Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort, um Auseinandersetzungen zu verhindern. Die genaue Zahl wollte der Sprecher des Polizeipräsidiums Ludwigsburg, Peter Widenhorn, nicht sagen. Er sprach aber von mehreren hundert Einsatzkräften. Zu Krawallen kam es nicht.