Kommunen suchen nach Lösungen, ihren Klärschlamm loszuwerden. Verbrennung ist eine Möglichkeit. Foto: Armer

Neubau soll "anrüchiges Thema" eindämmen. Mehr als 60 Kommunen bekunden Interesse an Zweckverband.

Böblingen/Calw - Der in der ganzen Bundesrepublik anfallende Klärschlamm in Kläranlagen wird zunehmend zum Problem. Denn die Entsorgungsmöglichkeiten gehen nicht nur zur Neige, sondern werden stetig teurer. Gleichzeitig steigt die Menge an der Hinterlassenschaft.

"Die Menge des verbrannten Klärschlamms aus kommunalen Kläranlagen in Deutschland ist im Jahr 2018 um rund 100.000 Tonnen auf 1,3 Millionen Tonnen gestiegen", heißt es in einer aktuellen Mitteilung des Statistischen Bundesamtes zum Thema.

Die benötigten Kapazitäten werden also mehr, gleichzeitig schrumpfen die Verwertungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft und im Landschaftsbau. 10,1 Prozent Rückgang verzeichnen die Bundesstatistiker bei der Entsorgung des Klärschlamms in der Landwirtschaft für 2018, satte 28,6 Prozent Rückgang beim Einsatz im Landschaftsbau.

Preise für Entsorgung steigen an

Ein weiteres Dilemma, das auf die Klärschlammproduzenten, also im Grunde jede Kommune (jeder Bürger), zurollt, ist die verpflichtende Phosphorrückgewinnung ab dem Jahr 2029. Größere Kläranlagen erhalten eine verlängerte Gnadenfrist bis 2032. Seit der Novellierung der Klärschlammverordnung im Jahr 2017 herrscht überdies ein Ausbringungsverbot als Dünger – die bodenbezogene Verwertung fällt damit flach.

Infolgedessen steigen die Preise für die Klärschlammentsorgung exorbitant an. In Baden-Württemberg zahlte man im Jahr 2016 noch 65 bis 90 Euro je entsorgter Tonne. Inzwischen sind es 110 bis 140 Euro pro Tonne.

Neue Anlage in Böblingen

Deshalb begeben sich nun zahlreiche Städte und Gemeinden auf einen gemeinsamen Weg. Sie wollen unter Federführung des Zweckverbands Restmüllheizkraft Böblingen (RBB) eine neue Klärschlamm-Monoverbrennungsanlage errichten – also eine Anlage, in der ausschließlich Klärschlamm verfeuert werden darf. Entstehen soll diese auf dem Gelände des bereits bestehenden Restmüllheizkraftwerks in Böblingen.

"Mit dem Wegfall der Möglichkeit zur Ausbringung des Klärschlamms und der Verpflichtung zur Phosphorrückgewinnung geht eine Verringerung der Entsorgungswege einher", stellt der Zweckverband in einem Arbeitspapier fest. Auch ist die bisher mögliche Mitverbrennung in Kohlkraftwerken wegen des Kohleaustiegs bis 2038 äußerst ungewiss.

In Baden-Württemberg gibt es momentan nur vier Verfeuerungsanlagen – neben der kleinen Anlage in Balingen auch die großen in Stuttgart, Neu-Ulm und Karlsruhe. Die sind laut RBB aber weitgehend ausgelastet.

Mehrere Landkreise beteiligt

Daher sind an der Lösung Neubau inzwischen mehr als 60 Kommunen aus den Kreisen Calw, Böblingen, Freudenstadt und Rottweil interessiert. Darüber hinaus klinken sich beispielsweise auch die Stadtentwässerung Reutlingen oder der Klärwerk Abwasserverband Ermstal kurz vor der Schwäbischen Alb ins Projekt ein.

Wichtiges kommunalpolitisches Detail: Bisher gaben viele Kommunen lediglich Interessensbekundungen oder Absichtserklärungen ab. Denn der neue Zweckverband muss erst noch gegründet werden.

Und der Zeithorizont ist bei diesem gigantischen Projekt weit. Mitte 2020 will man die Gründung des Zweckverbands in trockenen Tüchern haben – eine Verbandssatzung ist bereits ausgearbetiet und durchläuft nach und nach die Gemeinderäte der Region. In der Kreistadt Calw beispielsweise will man zunächst Alternativen prüfen, bevor verbindlich beigetreten wird. Außerdem hofft der Rat in den kommenden Jahren auf technischen Fortschritt. Dennoch erklärte man die Absicht, dem Zweckverband beizutreten. Dass die Forschung die Planungen der Böblinger überholt, könnte durchaus passieren. Denn erst Ende 2026 soll die neue Klärschlammmonoverbrennungsanlage in Betrieb gehen.

Verbrennungskapazität ist gigantisch – die Kosten sind es aber auch

Grund dafür ist auch ein immens komplexes Genehmigungsverfahren. "Das dauert Jahre und ist kein Spaziergang", erklärte Markus Wendel, Bürgermeister der Stadt Bad Teinach-Zavelstein (Kreis Calw), als dieses Thema dort im Gemeinderat aufschlug. Doch auch die Stadt im Teinachtal will dem Zweckverband beitreten.

Von klein bis groß sind viele Kommunen interessiert – doch das ist auch nötig, denn die neue Anlage kann bis zu 184.000 Tonnen Klärschlamm im Jahr verbrennen. Bisher sind laut aktuellen Kalkulationen des RBB 149.000 Tonnen Klärschlamm für die neue Anlage eingeplant.

Gigantisch sind nicht nur die Zahlen der Verbrennungskapazitäten, sondern auch die Kosten. Stolze 105 Millionen Euro kostet das Bauwerk. Doch das soll sich lohnen. "Die Preise der Entsorgung können schon jetzt mithalten", verdeutlicht zum Beispiel Wendel. In der Tat kalkulieren die Planungen mit rund 80 bis 100 Euro pro entsorgter Tonne Klärschlamm. Eine Kostenabweichung von 25 Prozent hin oder her kann aber nach wie vor eintreten. Das hängt nicht zuletzt auch an der finalen Anzahl der Verbandsmitglieder.

Doch was passiert mit dem angelieferten Klärschlamm, wenn er in die Anlage verfüllt ist? Dann geht es an die Verarbeitung. Zunächst wird dem Schlamm mittels Scheibentrockner das restliche Wasser entzogen. Erst dann kommt es in die Verbrennugnskammern, wird mit Wirbelschichtöfen verfeuert. Hier rechnen die künftigen Betreiber mit einer erzeugten Energie von 11,6 Megawatt. Überdies soll Fernwärme aus der Anlage ins Umland fließen.

Bis das so weit ist, dauert es noch lange. Die interessierten Kommunen müssen zunächst bis spätestens 31. März 2020 die nötigen Beschlüsse in ihren Gremien fassen, um wirksam beizutreten. Doch auch dann haben die Kommunen, um den Wortwitz von Bad Teinach-Zavelsteins Bürgermeister Wendel zu verwenden, das "anrüchige Thema" längst nicht vom Tisch.