Bei knapp 100 Kindern in der katholischen Kindertagesstätte St. Josef klingelt das Telefon von Ulrika Lielek-Sauter sehr oft. Die Leiterin der Einrichtung hat es nie bereut, sich für den Erzieherberuf entschieden zu haben. Foto: Niederberger Foto: Schwarzwälder Bote

Interview: Leiterin der Kindertagesstätte St. Josef spricht über ihren Job und Nachwuchssorgen

Blumberg. In den Kindertagesstätten verabschieden sich vor allem jüngere Frauen immer wieder von ihrem Beruf als Erzieherin. Im Interview spricht Ulrika Lielek-Sauter, Leiterin der Kindertagesstätte St. Josef, über diese Problematik.

In der nächsten Gemeinderatssitzung beschäftigen sich die Blumberger Gemeinderäte und die Stadtverwaltung damit, drei neue Ausbildungsplätze für Erzieherinnen beziehungsweise Erzieher zu schaffen. Weshalb ist es so schwer, junge Menschen für den Erzieherberuf zu begeistern?

Zunächst einmal darf es nicht verwundern, dass uns der Nachwuchs fehlt – denn die Zeiten haben sich gewandelt. Durch die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen wurden Krippengruppen notwendig, die mit einem ganz anderen Fachkräfteschlüssel zu besetzen sind, nämlich mit drei bis dreieinhalb Stellen. Dagegen reichen bei einer Kindergartengruppe zwei Stellen während der Hauptbetreuungszeit aus. Von daher war es logisch, dass es irgendwann zu einem Fachkräftemangel kommen musste. Erzieherinnen fallen grundsätzlich während der Erziehungszeiten ihrer eigenen Kinder aus. So wie das in anderen Berufen auch ist. Flexible Arbeitszeiten helfen dabei, wieder in den Beruf einzusteigen.

Wie sieht es mit einer Akademisierung des Erzieherberufs aus? Immer wieder ist zu hören, dass das Image des Berufsbildes so aufpoliert werden könnte und sich die Verdienstmöglichkeiten dadurch auch verbesserten. So ließen sich auch mehr junge Menschen für den Beruf begeistern.

Das ist schwierig zu beantworten, wenn man eine klassische Ausbildung so wie ich hinter sich hat. Ich finde, eine Akademisierung ist nicht unbedingt notwendig. Ein Erzieher oder eine Erzieherin produziert ja nichts. In unserem Beruf muss man Freude an der Arbeit mit Kindern haben und ihnen Verständnis entgegenbringen. Es gilt, die Einzigartigkeit jedes Menschen anzuerkennen. Dafür ist nicht unbedingt ein Studium notwendig. Natürlich fördern akademische Titel die Anerkennung, doch das kann nicht die wichtigste Grundlage für die Arbeit mit Kindern sein.

Kinder werden immer früher und länger in Kindertagesstätten betreut, gleichzeitig fehlt der Erzieherinnennachwuchs. Wird das dazu führen, dass Kindertageseinrichtungen in zehn, 15 Jahren rund um die Uhr geöffnet sind und eine Erzieherin 50 Kinder gleichzeitig betreut?

Soweit darf es nicht kommen. Eine Erzieherin ist heute mehr gefordert und auch anders gefordert als noch vor zehn bis 15 Jahren. Das hängt natürlich, wie schon erwähnt, mit der zunehmenden Berufstätigkeit von Frauen zusammen. Aber eine Kindertagesstätte darf und sollte nie eine Familie ersetzen. Mir ist es auch wichtig hervorzuheben, dass Frauen, die einen Beruf ausführen, das Familienleben bereichern können. Ich meine das nicht nur in finanzieller Hinsicht. Frauen, die arbeiten, erfahren dabei Wertschätzung und das wirkt sich positiv auf das gesamte Familienleben aus. Eine Mutter, die den ganzen Tag Zuhause ist, muss nicht unbedingt eine bessere Mutter als diejenige sein, die ihren Teil zum Familieneinkommen beiträgt.

Wie ist das eigentlich aus pädagogischer Sicht zu beurteilen, dass Kinder schon sehr früh in Einrichtungen statt zu Hause betreut werden?

Ja warum denn nicht? Wenn Vater und Mutter in ihrer Berufstätigkeit aufgehen und glücklich sind, dann bringen sie dieses Glück wieder mit in ihre Familie. Von daher schadet es mit Sicherheit keinem Kind, wenn es früh in eine Kindertagesstätte kommt, wo sich gut ausgebildete Fachkräfte um sie kümmern. Für mich hat jeder Mensch das Recht, arbeiten gehen zu dürfen. Ich habe mir vor über 30 Jahren auch dieses Recht genommen. Ich hatte dabei die Unterstützung meiner Familie, weil meine Eltern und meine Schwiegereltern hier im Ort gelebt haben. Doch das hat sich gewandelt. Viele haben nicht mehr die Familie im Ort und sind deshalb auf Betreuungseinrichtungen angewiesen.

Wie sieht eine Kindertageseinrichtung im Jahr 2030 in Ihrer Idealvorstellung aus?

Im Idealfall hat sie viel viel mehr Personal und hat viel viel mehr Räumlichkeiten zur Verfügung, sodass man noch viel besser und viel individueller auf die Kinder eingehen kann. Vom Tagesablauf in einer Kita muss sich nicht so viel ändern. Wir haben eine klare Struktur und feste, immer wiederkehrende Rituale. Das ist für Kinder sehr wichtig. Auch Regeln geben den Kinder Halt und Orientierung. Wünschenswert für unsere Einrichtung wäre eine größere und attraktivere Kantine. Und wir hätten gerne mehr Rückzugsmöglichkeiten für die Kinder, also Ruheräume. Manche Kinder werden neun Stunden pro Tag betreut. Da wäre es einfach schön, mehr Platz zu haben.

Angenommen Sie könnten eine Werbekampagne für ihren Berufsstand initiieren. Was würden Sie dabei hervorheben?

Ich würde die Einzigartigkeit meines Berufs betonen. Ich höre und sehe jeden Tag Kinder lachen. Kann es etwas viel Schöneres geben? Unsere Aufgabe ist es, Kinder grundschulfähig zu machen. Das machen wir im Team zusammen mit den Eltern. Jeder Tag ist dabei neu, er bringt Schönes, manchmal auch Trauriges. Das kann ganz schön stressig sein. Das wiederum kann zu Krankheiten führen oder dazu, den Beruf ganz aufzugeben. Doch grundsätzlich bin ich der Meinung, dass wir Erzieherinnen den tollsten Beruf haben, den es überhaupt auf der Welt gibt. Das dürfen wir uns auch von niemandem kaputtreden lassen. Menschen, die so wie ich positiv denken und für die ein Glas immer halb voll und nicht halb leer ist, können eine tiefe Genugtuung und Erfüllung als Erzieher finden.

Unterscheiden sich Drei- und Vierjährigen aus den 80er-Jahren von denen, die heute eine Kita besuchen?

Es gab schon immer Kinder, die einen mehr oder weniger herausfordern. Das war in den 80er-Jahren so und ist heute nicht anders. Es stellt sich doch eine viel bedeutenderer Frage: Wie gehe ich auf so ein Kind ein? Da hilft uns das christliche Menschenbild der katholischen Kirche. Wir nehmen hier jedes Kind so an, wie es ist. Wir wollen ein Kind in seinen Stärken fördern und dazu beitragen, seine Schwächen zu beheben.

  Die Fragen stellte Holger Niederberger

Ulrika Lielek-Sauter, 55, ist verheiratet und Mutter eines erwachsenen Sohnes. Sie hat Erzieherin gelernt und sich später zur Fachwirtin für Erziehungswesen weitergebildet. Seit 1983 arbeitet Lielek-Sauter in der Kindertagesstätte St. Josef, seit 1987 leitet sie die Einrichtung. Damit ist sie Chefin von 16 pädagogischen Fachkräften, zwei Reinigungskräften und einer hauswirtschaftlichen Fachkraft. Zur Einrichtung: In der katholischen Kindertagesstätte St. Josef werden knapp 100 Kinder in vier Gruppen betreut. Es gibt zwei Regelgruppen mit den Öffnungszeiten 7.45 Uhr bis 12.15 Uhr und 14 Uhr bis 16.30 Uhr. In der Ganztagsgruppe sind 20 Kinder, um die sich die Erzieherinnen von 7.30 Uhr bis 16.30 Uhr kümmern.

In der Mischgruppe sind zehn Ganztagskinder untergebracht und 15 weitere Kinder, für die verlängerte Öffnungszeiten (7.30 Uhr bis 13.30 Uhr) gelten.