Hinter den Mauern des Konstanzer Landgerichts wird der brisante Fall verhandelt. Foto: Götz

Freispruch für Blumberger Asylbewerber. Messenger-Nachricht deckt Lüge auf.

Konstanz/Blumberg - Am Ende erhielt ein afghanischer Asylbewerber aus Blumberg einen Freispruch. Dabei war der wohl noch nicht mal 20 Jahre junge Mann wegen einer angeblich schweren Vergewaltigung angeklagt und dies auch noch in Tateinheit mit einer schweren Misshandlung.

Angezeigt hatte den jungen Mann eine 50-jährige Asylbewerberin in Blumberg, die ebenfalls aus Afghanistan stammte. Sie hatte ihm die Taten vorgeworfen.

Die Auflösung nach der mehr als sechsstündigen Verhandlung vor dem Konstanzer Landgericht kam in den letzten fünf Minuten. Da las Joachim Dospil, der Vorsitzende Richter der Großen Jugendstrafkammer, eine Messenger-Nachricht der Frau an den jungen Mann vor. Einen Tag nach der angeblichen Vergewaltigung hatte sie an ihn folgendes geschrieben: "Ich liebe Dich". Da beantragte selbst Oberstaatsanwalt Egon Kiefer Freispruch, den das Gericht nach einer Beratung dann so verkündete.

Die Vorzeichen für den afghanischen Asylbewerber standen zu Beginn der Verhandlung eher schlecht. War er doch ein Jahr vorher bereits wegen der Vergewaltigung einer jungen Frau in einer anderen Asylunterkunft in der Region verurteilt worden. Vor Gericht hatte der Angeklagte die Tat bestritten, ein DNA-Beweis brachte die Wahrheit ans Licht.

Zur Tatzeit im Juli 2019 noch Heranwachsender

Jugendkammer: Da nicht klar war, ob der Angeklagte, der sein genaues Alter nicht kannte, zur Tatzeit im Juli 2019 noch Heranwachsender war, tagte die Kammer als große Jugendkammer.

Der Vorwurf: Der Angeklagte soll am 19. Juli 2019 die 50 Jahre alte Mitbewohnerin im Blumberger Flüchtlingsheim mit dem Messer bedroht, geschlagen und mehrfach vergewaltigt haben.

Angeklagter äußert sich: Vor Gericht äußerte sich der Angeklagte, den die Frau einen Tag nach ihrer Liebeserklärung an ihn angezeigt hatte, erstmals wieder selbst. Bei seiner Festnahme hatte er zugegeben, in der Tatnacht drei Mal Sexualverkehr mit seiner Mitbewohnerin gehabt zu haben. Gemäß seiner Aussage allerdings einvernehmlich und ohne jegliche Gewaltanwendung. Nachdem er sich während der Untersuchungshaft darüber hinaus aber nicht näher zu den Vorgängen geäußert hatte, erzählte er dem Gericht zu Beginn der Verhandlung dann doch erstmalig den kompletten Hergang aus seiner Sicht der Dinge.

Die Aussage des Angeklagten: Seine Mitbewohnerin und er hätten sich schon einige Zeit gekannt, seien öfters zusammen spazieren gegangen und hätten zusammen gekocht. An dem betreffenden Tag im Juli 2019 habe seine Mitbewohnerin ihn animiert Bier und Wodka mit ihr zu trinken, so viel, dass sie am Abend dann beide betrunken gewesen seien. Danach habe sie ihn zum Sex aufgefordert und wollte ihn sogar dafür bezahlen. Nach dem vollzogenen Sexualverkehr hätte sie ihn dann aufgefordert, sie zu heiraten, was er wegen des Altersunterschieds unmissverständlich verweigerte. Bis zum Morgen sei es dann noch zwei weitere Male zum Geschlechtsverkehr gekommen.

Der Tag danach: Am nächsten Tag sei er dann zur Arbeit bei einer Blumberger Baufirma gegangen. In dieser Zeit habe er von ihr Telefonanrufe und Text-Nachrichten erhalten, in der sie weiterhin die Heirat gefordert habe, sonst würde sie ihn wegen Vergewaltigung anzeigen.

Aussage gegen Aussage

Zeugin sagt aus: Die als Zeugin geladene Mitbewohnerin schilderte die Vorgänge jener Nacht aus ihrer Sicht. Sie kenne den Angeklagten kaum und habe nie zuvor Kontakt mit ihm gehabt. Er habe dann nach Mitternacht massiv an ihre Zimmertüre im Flüchtlingsheim geklopft, sie überrumpelt, geschlagen und gegen die Heizung geworfen, woraufhin sie bewusstlos geworden sei. Als sie wieder aufgewacht sei, sei sie nackt auf dem Fußboden gelegen und davon ausgegangen, dass er sie vergewaltigt habe. Er hätte sie dann fast den ganzen Tag in ihrem Zimmer eingesperrt, ihr das Telefon weg genommen und noch zwei weitere Male vergewaltigt. Da er massiv gedroht habe, sie umzubringen, wenn sie schreien würde, habe sie große Angst gehabt und zunächst nichts unternommen.

Somit stand Aussage gegen Aussage. Die Aussagen der Donaueschinger Polizeibeamtinnen, die die Anzeige aufgenommen hatten, als auch die der ermittelnden Oberkommissarin unterstützten die meisten Aussagen der Frau. Einzig die Gerichtsmedizinerin konnte den angezeigten Tathergang nicht mit absoluter Sicherheit bestätigen, da die Anzeige erst zwei Tage nach der angeblichen Tat erfolgte und die gynäkologischen und körperlichen Untersuchungen deshalb nicht in allen Punkten eindeutige Rückschlüsse ermöglichten.

Dolmetscher: Da die Zeugin nur wenig deutsch spricht, war das Gericht auf die Hilfe einer Dolmetscherin angewiesen. Beim Fragen des Gerichts zu den Details machte die Zeugin dann auch zum Teil widersprüchliche Angaben im Vergleich zu ihren Aussagen bei der Polizei und gegenüber einer Gerichtshelferin.

Deutschlehrer: Verlesen wurde auch die zu Protokoll gegebene Zeugenaussage des Deutschlehrers des Angeklagten, der schon lange in der Blumberger Flüchtlingshilfe tätig ist. Seine Aussage unterstützte die Darstellung des Angeklagten.

Zweiter Dolmetscher: Auch dem Angeklagten war ein Dolmetscher zur Seite gestellt. Seine Aussagen machte er aber zum größten Teil in Deutsch, das er in den vergangenen Jahren sehr gut erlernt hatte.

Sie schrieb ihm: "Ich liebe dich"

Messenger-Nachrichten: Da er bei seiner Aussage sehr detailliert schilderte, zu welchem Zeitpunkt vorher und nachher die beiden telefoniert und Textnachrichten via Facebook-Messenger ausgetauscht hätten, entschied der Vorsitzende Richter Joachim Dospil, die Messenger-Nachrichten des Angeklagten lesen zu wollen, um dadurch mehr Klarheit zu gewinnen. Da das Handy des Angeklagten beschlagnahmt war und bei der Kripo in Villingen verwahrt wurde und er die Handy-Nummer nicht wusste, meldete sich der Vorsitzende während der Sitzung über den Webbrowser der Gerichts-PCs mit den Zugangsdaten des Angeklagten bei Facebook ein. Dort waren immer noch minutengenau alle Telefonanrufe, ihre Dauer und vor allem die Inhalte aller Text-Nachrichten nachzulesen.

Diese Daten unterstützten nun wiederum eindeutig die Angaben des Angeklagten und sorgten für noch mehr Widersprüche bei den Angaben der Zeugin. So lautete eine der Messenger-Nachrichten, am Tag danach: "Ich liebe dich".

Diese eindeutige Beweislage, zusammen mit den Widersprüchen in der Aussage der Zeugin, veranlasste dann selbst Oberstaatsanwalt Egon Kiefer dazu, Freispruch zu beantragen. Dem folgte die Strafkammer und sprach den Angeklagten frei.