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Der Verkehrsjustiziar des Auto Clubs Europa (ACE), Volker Lempp, kritisiert den Blitzermarathon an diesem Donnerstag, der auch in Stuttgart stattfindet.

Stuttgart – - Herr Lempp, hat der Blitzermarathon einen Lerneffekt für Temposünder?
Es gibt offenbar Leute, die das hoffen. Ich gehöre aber nicht dazu. Jeder Autofahrer weiß doch, ob er auf einer Straße 50 oder 120 Kilometer pro Stunde fahren darf und dass er dieses Tempo wegen der Verkehrssicherheit nicht überschreiten sollte. Ich will gar nicht infrage stellen, dass rund 40 Prozent der Verkehrstoten auf das Konto von Temposündern gehen. Dennoch bezweifle ich sehr stark, dass Raser nachhaltig von einer solchen 24-stündigen Aktion lernen. Und zwar weil verkehrserzieherische Aspekte bei einer solchen Aktion völlig fehlen. Als Jurist macht mir der Blitzermarathon allerdings einige Bauchschmerzen.
Warum?
Der Verkehrsjustiziar des Auto Clubs Europa (ACE), Volker Lempp. Foto: privat
Sieht man einmal von der Möglichkeit eines zur Identifizierung untauglichen Beweisfotos ab, ist es für den Geschwindigkeitssünder äußerst schwierig, vor Gericht recht zu bekommen. Es gibt da eine Art „Beweislastumkehr“, die dazu führt, dass letztlich der Betroffene die Falschmessung beweisen muss – was nur in Ausnahmefällen gelingt. Oder dann die Lasermessung: Zwei Polizeibeamte sagen übereinstimmend vor Gericht aus, dass sie bei Aufstellung, Justierung und Messung alles richtig gemacht haben. Null Chance für den Betroffenen. Dabei ist die Fehleranfälligkeit bestimmter Messmethoden Gegenstand aussagekräftiger Gutachten und Untersuchungen. Nur kann man sie eben nicht als Beweismittel verwenden.
Was wäre wirksamer?
Wir brauchen mehr verkehrspsychologische Beratungen und Seminare, in denen die Menschen wirklich lernen, wie gefährlich Raserei ist. Die eigene Selbstüberschätzung spielt da zum Beispiel eine große Rolle. Das neue Punktesystem in Flensburg, das zum ersten Mai 2014 eintreten soll, erstickt solche Vorhaben aber schon im Keim. Künftig kann man weniger Punkte in sehr sinnvollen Seminaren abbauen. Früher wurde also öfter individuell auf den einzelnen Fahrer eingegangen. Damals mussten noch Gutachten erstellt werden, bevor ein Fahrer seinen Führerschein loswurde. Heute ist die Verkehrspolitik sehr beschränkt auf ein einziges Ziel, das vielen anderen untergeordnet wird: Effektivität. Auf Brechen und Biegen wird die „Vision Zero“ verfolgt, die Idee, keine Verkehrstoten mehr zu haben. Das führt jedoch zu einer juristisch heiklen Methode.
Inwiefern?
Alle Autofahrer werden unter einen Generalverdacht gestellt. Jeder Fahrer wird – überspitzt gesagt – als potenzieller Raser verdächtigt. Wir sind aber kein Volk der Temposünder. Juristisch ist das etwas heikel, weil in diesem speziellen Fall der Schuldnachweis des Einzelnen in den Hintergrund rückt. Damit lösen sich hart gesagt rechtsstaatliche Prinzipien auf. Das klingt dramatisch. Wohin das führen kann, zeigt sich jedoch schon in einigen Nachbarstaaten. In Frankreich zum Beispiel werden Autos auch von hinten geblitzt. Die Autos werden einzig anhand der Nummernschilder identifiziert. Da kann es dann schon mal vorkommen, dass ein Fahrer ein Knöllchen zugeschickt bekommt, der nicht im Auto saß.