Blaue Kügelchen entlang der Eyach haben in Balingen Besorgnis ausgelöst. Foto: Graf

Blaue Kügelchen auf den Wiesen entlang der Eyach in Balingen haben Hundebesitzer beunruhigt. Sie vermuteten Gift. Die Stadt gibt Entwarnung: Es handelt sich um Blaukorn, einem künstlichen Dünger. Doch wie gefährlich ist dieser, wenn Tiere oder Kinder ihn aus Versehen essen?

Balingen - Blaue Körner hat eine Frau beim Gassigehen mit ihrem Hund zwischen der Schellenbergbrücke und der Arbeitsagentur auf Rasenstücken entdeckt, die im Rahmen der Gartenschauvorbereitungen neu angesät wurden. 

Die Hundebesitzerin vermutete das Schlimmste, ging davon aus, dass Gift zum Bekämpfen von Schädlingen ausgebracht wurde. Was sie nicht versteht, ist, warum in solch einem Fall von der Stadt Balingen keine Warnschilder aufgestellt wurden: "Es geht nicht bloß um die Gesundheit der Hunde, sondern auch um die von spielenden Kindern", sagte sie gegenüber unserer Redaktion. 

Blaukorn als Rasendünger

Eine Nachfrage bei der Stadtverwaltung brachte jedoch Entwarnung: Es handelte sich schlicht um Rasendünger, genauer gesagt um Blaukorn. Dies sei ein "mineralischer Dünger, der aufgrund seiner Produkteigenschaften für die Anwendung im Gartenbau und auf Ackerland vorgesehen ist", erklärt Annette Stiehle, technische Geschäftsführerin der Gartenschau Balingen 2023.

Eine Gefahr für Mensch und Tier berge das ausgestreute Blaukorn jedoch nicht, versichert Stiehle: "Natürlich ist dieser Dünger zertifiziert für den Einsatz im öffentlichen Raum und der in der gartenbaulichen Produktion – zum Beispiel Gemüse, Blumen, Rasen - übliche Dünger wurde in fachlich richtiger Dosierung ausgebracht", betont sie.

Das Blaukorn wurde in unterschiedlichen Mischungen bei Gehölzen, Stauden- und Rasenflächen ausgebracht, fügt Stiehles Gartenschau-Kollegin Annette Stoll-Zeitler, Leiterin der Bereiche Ausstellung und Betrieb, hinzu. Und weiter: "Wir wollen 2023 eine schöne Gartenschau eröffnen."

Woraus besteht Blaukorn?

Woraus besteht Blaukorn überhaupt? Der sogenannte NPK-Dünger ist eine Mischung aus Stickstoff-, Phosphat-, und Kaliumsalzen. Je nach Zusammensetzung weichen die Anteile voneinander ab. Blaukorn sei kein Pestizid, "sondern ein Dünger, also erst mal nicht dazu konzipiert, Leben umzubringen", erklärt Gottfried May-Stürmer, Experte beim Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) Baden-Württemberg. Ganz ungefährlich seien die kleinen blauen Kügelchen trotzdem nicht, da der Mineraldünger konzentrierte Salze enthält.

Insbesondere der Gehalt an Kalium und gegebenenfalls Nitrat sei in größerer Menge problematisch, sagt Uwe Stedtler von der Vergiftungs-Informations-Zentrale (VIZ) des Universitätsklinikums Freiburg. Isst man den Dünger, sei die häufigste Wirkung die Reizung der Schleimhäute, "also Brennen in Mund und Hals, Übelkeit und Erbrechen", beschreibt der Arzt die Symptome. Bei einer Aufnahme von weniger als einem Gramm Blaukorn pro Kilogramm Körpergewicht sei bei gesunden Menschen jedoch nicht mit einer Vergiftung zu rechnen.

Was sind die Symptome einer Vergiftung?

Eleni Komini, leitende Oberärztin im Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Schwarzwald-Baar Klinikums, berichtet: "Nach der versehentlichen Aufnahme von haushaltsüblichen Düngemittelsalzen ist nicht mit Vergiftungserscheinungen zu rechnen." Nach der Einnahme von mehr als einem Gramm pro Kilogramm Körpergewicht seien auch Durchfall, Elektrolyteverschiebungen (Blutsalzveränderungen) und bei Säuglingen in den ersten drei Lebensmonaten theoretisch Methämoglobinämie möglich. Darunter versteht man eine erhöhte Konzentration von Methämoglobin im Blut.

"Zudem könnten auch Störungen des Herz-Kreislauf-Systems hinzukommen", berichtet Christina Schwara, Sprecherin des Helios Klinikums in Pforzheim, das einen eigenen Fachbereich Kinder- und Jugendmedizin hat. In diesem Fall sollte laut der Sprecherin unbedingt eine Notaufnahme aufgesucht oder der Rettungsdienst alarmiert werden.

Was tun, wenn man Blaukorn verschluckt?

Verschluckt man doch mal etwas von dem Dünger, sollte man anschließend reichlich Flüssigkeit nachtrinken. "Etwas problematischer kann die Aufnahme dieser Menge sein, wenn die Patienten an einer Störung der Nierenfunktion oder an einem G6PD-Mangel (Stoffwechseldefekt, Anmerkung der Redaktion) leiden", so Stedtler von der VIZ.

Die Behandlung sei nach dem Verschlucken einer größeren Menge symptomorientiert, erklärt der Freiburger Experte. "Auch in solchen Fällen sollte reichlich Flüssigkeit gegeben werden und gegebenenfalls der Kaliumspiegel im Blut kontrolliert werden." Sollte ein Kind Blaukorn gegessen haben, können Eltern sich bei Zweifel an den Giftnotruf, beispielsweise von der Vergiftungs-Informations-Zentrale (VIZ) Freiburg, Telefonnummer 0761/19240, wenden.

Vergiftungen werden im Krankenhaus auf zwei Arten behandelt, sagt die Sprecherin des Pforzheimer Helios Klinikums, und erklärt: "Zum einen wird der behandelnde Arzt versuchen, die Aufnahme von Restmengen aus dem Magen-Darm-Trakt zu verhindern – beispielsweise durch die Gabe von Kohlepräparaten. Zum anderen werden bereits ausgelöste Krankheitsanzeichen symptomatisch therapiert, unter anderem durch Flüssigkeitszufuhr, Schmerzmittel oder Herz-Kreislaufmedikamente." Schwara betont jedoch nochmals, dass die Experten am Helios Klinikum Pforzheim die Gefahr für Kinder und Erwachsene bei "sachgerechtem Ausbringen" von Blaukorn als sehr gering ansehen.

Bitterstoffe schrecken vorm Verzehr ab

Das Helios Klinikum in Pforzheim habe bisher weder Kinder noch Erwachsene mit durch Blaukorn ausgelöste Vergiftungserscheinungen behandelt, berichtet Schwara. Den Medizinern seien außerdem keine schweren Verläufe durch Vergiftungen mit dem künstlichen Dünger bekannt. Dazu wäre eine "hohe Verzehrmenge erforderlich". Die Sprecherin betont auch, dass handelsübliche Präparate mit einem Bitterstoff versetzt seien, der es extrem unwahrscheinlich mache, dass Kinder freiwillig gößere Mengen des Düngers essen - auch, wenn er mit seiner blauen Farbe zuerst verlockend erscheinen mag.

Der chemische Dünger kann bei direktem Kontakt mit der Haut oder den Augen Reizungen auslösen. Ist dies der Fall, rät Schwara, die betroffenen Stellen gründlich mit Wasser zu reinigen.

Berührt man lediglich die Kügelchen des Düngers, führt dies nicht nicht zu einer Vergiftung. Kommt es allerdings mit offenen Wunden in Kontakt, kann es ein starkes Brennen verursachen. Uwe Stedtler von der VIZ beschreibt es wie "Salz in die Wunde" geben, der Effekt sei jedoch stärker als bei Kochsalz. Beim direkten Kontakt mit der Haut oder den Augen kann der chemische Dünger Reizungen auslösen. Dann sollte die betroffene Stelle gründlich mit Wasser gereinigt werden, rät Schwara vom Helios Klinikum in Pforzheim.

Auswirkung von Blaukorn auf Tiere

Das Team der Gartenschau in Balingen düngt nicht ausnahmslos nur mit Blaukorn, sondern nutzt auch organische Dünger, informiert Annette Stoll-Zeitler, Leiterin der Bereiche Ausstellung und Betrieb. Da jedoch das organische Düngen ein langwierigerer Vorgang sei als mit einem mineralischen Dünger wie Blaukorn, habe man in diesem Fall die künstliche Alternative gewählt. "In organischen Düngern sind außerdem meist Hühnerkot odere andere Reste enthalten, weshalb Tiere daran schnüffeln und es auch mal fressen. Bei salzigen Düngern wie Blaukorn besteht die Gefahr weniger", sagt Stoll-Zeitler und fügt hinzu: "Es ist kein Gift, es ist Salz. Wenn Hunde an ein Körnchen schlecken, merken sie sofort, dass es total salzig ist."

Wie der deutsche Tierschutzbund mitteilt, gab es bei Vierbeinern bisher noch keinen Fall von Vergiftungserscheinungen durch den synthetischen Dünger. "Selbst wenn das Tier Düngerreste an den Pfoten haben sollte und durch Ablecken unfreiwillig aufnimmt, hat dies vermutlich keine Folgen – die Gefahr durch die Aufnahme über das Ablecken von Pfoten ist eher vernachlässigbar", erklärt Hester Pommerening, Sprecherin des deutschen Tierschutzbundes. "Denkbar ist noch die Aufnahme über Pfützenwasser, welches mit Blaukorn versetzt ist oder direkte orale Aufnahme aus einem Sack Blaukorn."

Was tun bei Verdacht auf Vergiftung?

Auch hier komme es dauf die Dosis an, das Körpergewicht des Haustiers und die Zusammensetzung des Düngers. Vor allem, da manche Dünger zusätzlich Insekti- oder Pestizide enthalten. "So könnte sich ein kleiner Hund, der aus einem Sack das pure Blaukorn frisst, natürlich daran vergiften", so Pommerening.

Hat ein Tier ein paar Kügelchen Blaukorn gefressen, würden sich die meist milden Symptome in der Regel wie beim Menschen auf den Magen-Darm-Trakt beschränken: Erbrechen, Durchfall, Speicheln, zählt die Sprecherin des deutschen Tierschutzbundes auf. Verwendet man Dünger wie Blaukorn privat, sollte man vermeiden, dass das Wasser, das durch den Blumentopf sickert, von Tieren getrunken wird.

Dünger generell sollten außerdem für Tiere unzugänglich aufbewahrt werden. "Wenn bekannt ist, dass in der Region viel Blaukorn verwendet wird, kann man vorbeugen, indem man das Trinken aus Pfützen im Bereich gedüngter Äcker verhindert", sagt Pommerening. Bei Unsicherheiten oder Verdacht auf Vergiftung sollten Haustier-Besitzer die behandelnden Tierärzte kontaktieren.

Planung für die Gartenschau 2023

Durch den zwischenzeitlichen Regen und die Startbewässerung hätte sich der Dünger in Balingen schnell aufgelöst und sei dann in den Boden eingesickert, um von den Pflanzenwurzeln aufgenommen zu werden, erklärt Stiehle vom Gartenschau-Team. Die Düngung erfolgte größtenteils in den abgesperrten Baustellenflächen und in den wegbegleitenden Grünflächen an der Eyach in Balingen, um damit den Boden zu verbessern. "Wir möchten für die Gartenschau nächstes Jahr eine optimale Vegetationsentwicklung ermöglichen, dazu braucht es schnellwirkenden Startdünger, der die Pflanzen im Beginn der Wachstumsphase unterstützt", erklärt die technische Geschäftsführerin.

Gottfried May-Stürmer vom BUND bestätigt, dass Blaukorn "gut wasserlöslich" ist und wäre, "wenn es mal wieder regnen würde, schnell aufgelöst und im Boden versickert". Gekennzeichnet werden müssten Flächen, auf denen Blaukorn oder andere Dünger verteilt wurde, nicht, sagt der Experte. Er hält jedoch bei öffentlichen Flächen mit Besucherverkehr eine Kennzeichnung trotzdem für sehr sinnvoll.

In Balingen ist ein weiterer Einsatz von Blaukorn oder anderen Dünger laut Stiehle dieses Jahr sowie 2023 nicht mehr vorgesehen. Es bleibt demnach bei der einmaligen Aktion.