Coeur D Wright Stuff und Reiterin Julia Stapel beim so genannten "Spin", einer 360-Grad-Drehung auf der Hinterhand Foto: Schwarzwälder Bote

Mittendrin: Eine klassisch geschulte Vielseitigkeitsreiterin sitzt bei Europameister Grischa Ludwig erstmals auf einem Quarter Horse

Autorin Julia Stapel ist Vielseitigkeitsreiterin – Dressur, Springen und Gelände kennt sie gut, Westernreiten nicht. Jetzt hat sie eine Unterrichtsstunde genommen – bei Europameister Grischa Ludwig und seinem Erfolgspferd Coeur D Wright Stuff.

Bitz. Was macht ein international erfolgreicher Westernreiter, der erst kürzlich Doppelgold bei der Reining-Europameisterschaft abgeräumt hat, wenn ein absoluter Laie bei ihm reiten möchte? Ich bin gespannt. Um 14 Uhr treffe ich auf der "Ludwig Quarter Horse" (LQH) ein – und komme mir erst einmal vor wie im Wildwestfilm: letzte Postkutschenstation Tombstone – kein Empfangskomitee, kein Mensch in Sicht. Dafür jede Menge Pferde: Ich laufe durch die Ställe und schaue mir die verschiedenen Quarter Horses an – eines schöner als das andere. Ein Brauner fällt mir besonders auf – er hat einen wunderschönen Kopf, schaut vorwitzig drein – und ein wenig genervt; die Ohren sind angelegt. "Coeur D Wright Stuff" steht auf dem Boxenschild. Er ist knapp 20 Jahre alt – nicht mehr der Allerjüngste. Was der wohl schon alles erlebt hat?

Jetzt taucht jemand auf, eine junge Frau. Julia heißt sie. "Du bist die von der Zeitung!?" Ein kurzer Anruf beim Boss; danach packt Julia Sattel, Trense, Putzzeug, Gurt, Schabracke und Gamaschen auf den Sattelwagen, und wir machen uns auf den Weg – zurück zum Stall, aus dem ich gerade komme. "Du reitest Coeur", sagt Julia. Oje, hoffentlich nimmt er mir nicht übel, dass ich zu ihm gesagt habe, er solle nicht so "grumpy" gucken. Während ich ihn putze, erzählt mir Julia, dass Grischa mit keinem Pferd soviel gewonnen habe wie mit Coeur. "Und den darf ich reiten?" Klar doch, auf dem könne ich viel lernen. "Und er ist super geduldig."

Beim Eintreffen des Meisters schlägt der Puls höher

Die Gamaschen an den Vorderbeinen sind angelegt, der Schweif ist zugebunden, damit Coeur nicht drauf tritt, und die Schabracke, die Satteldecke, aufgelegt. Jetzt der Sattel. "Ist der schwer!" – mein Sattel wiegt um die sechs Kilogramm, der Westernsattel zwischen 15 und 20 Kilo. Gegurtet wird wie bei einem Sattelzug, da muss ich aufpassen, dass ich den Gurt nicht zu fest ziehe, denn das, weiß Julia, mag Coeur gar nicht.

Jetzt kommt Grischa Ludwig. Fester Händedruck. "Wir sehen uns gleich in der Halle." Mein Puls legt merklich zu. "Der ist sicher streng, oder?" frage ich. "Mach’ Dich auf etwas gefasst", sagt Julia und drückt mir die Zügel in die Hand. Aber sie lacht.

In der großen Halle mache ich Coeur erst einmal warm – zehn Minuten Schritt, damit der Körper in Schwung kommt, wie in jedem anderen Sport auch. Jetzt erscheint der Europameister: "Los geht’s, aufsitzen!" Ohne Stuhl? Normalerweise brauche ich einen. Nicht hier: Coeur ist kleiner als die Pferde, die ich kenne; sein Stockmaß beträgt schätzungsweise 1,50 Meter. Fuß in den Bügel, Hand ans Horn, und schon sitze ich im Sattel. Fühlt sich gut an, aber ich komme mir ein bisschen nackt vor: Sonst reite ich nie ohne Helm, doch hier kennen sie nur den klassischen Cowboyhut. Was, wenn ich abgeworfen werde? "Klar, kann passieren", sagt Grischa Ludwig. "Aber eigentlich passiert es nicht. Das ist eine unglaublich ruhige Rasse – die machen einfach ihren Job."

Ich reite mit den Zügeln in einer Hand und lasse sie länger. "Du fährst hier mit einem Automatikgetriebe", kommentiert Ludwig. Hilfen mit dem Schenkel? Gibt es hier so wenig wie Helme – das Pferd macht, wie gesagt, seinen Job, und zwar ganz selbstständig. Wenn ich nach links oder rechts will, bewege ich einfach meine Hand in diese Richtung, Für die höhere Gangart geht die Hand weiter nach vorne. Und langsamer? Dafür strecke ich meine Füße richtig nach vorne durch und sage "Whoa". Eine Fremdsprache für mich – ich kannte bisher nur die Klassiker "ho" und "brrrr".

Jetzt soll ich traben, in Westernsprache heißt das "Jog" – ein ruhiger Trab, den man aussitzt. So bequem bin ich selten gesessen; verglichen damit werde ich von Da Vinci, meinem eigenen Pferd, regelrecht aus dem Sattel katapultiert. Ich reite auf einem großen Zirkel – und soll einfach nur sitzen. "Nicht treiben", sagt Ludwig. "Du sagst ihm, was er zu tun hat, und das macht er, bis Du etwas Anderes verlangst." Ab und an ein kleiner Kick mit der Ferse genügt; eine Gerte brauche ich auch nicht.

Beim Galoppieren gibt es ein Küsschen

Jetzt galoppieren wir: "Gib ihm Küsschen." "Küsschen?" "Ja, Küsschen." – Ludwig gibt Kussgeräusche von sich, ich mache sie nach – und Coeur reagiert sofort und fällt in Galopp. Schneller, verlangt Ludwig – aber dafür ist etwas Überzeugungsarbeit bei Coeur erforderlich. "Der merkt es gleich, wenn Du mit Kleinigkeiten zufrieden bist. Er denkt dann: Ich muss mich nicht mehr anstrengen."

Stimmt, ich kicke ihn noch mal. Vermutlich habe ich jetzt von Gang drei nach sieben hochgeschaltet. "Jetzt sag’ ›easy‹!" Das tue ich – und sofort lässt Coeur es entspannter angehend. Faszinierend – ich spende Lob mit der Hand. "Du bist wie meine Frau, die lobt auch immer gleich", kommentiert Ludwig und fügt hinzu: "Gelobt wird am Ende."

Und wie pariere ich jetzt durch? "Füße vor und ›Whoa‹." Naja, das war nicht so gut: Ich bremse noch zuviel mit dem Zügel und traue mich nicht, die Füße richtig durchzustrecken und die Hand vorzugeben. Also noch mal: Galopp und "Whoa". "Na, schon besser."

Als nächstes bekomme ich vom amtierenden Europameister den "Spin" erklärt: 360-Grad-Drehung auf der Hinterhand. Wir starten nach links: "Der Zügel geht auf die linke Seite, und dann schnalzt Du. Das Bein bleibt weg – nur wenn er nicht reagiert, gibst Du einen ›Kick‹." Also los, Zügel herum, ein "Kick", und Coeur dreht sich rasant um sich selbst. Ich sage "Whoa" – er stoppt sofort und steht still. Ein Wahnsinnsgefühl – aber einen Drehwurm habe ich jetzt auch.

Das war’s aber noch nicht: Das Beste hat Ludwig bis zum Schluss aufgehoben. "Du galoppierst an, ganz nach oben zur Wand, und dann reitest Du auf mich zu." Und dann? "Er kennt seinen Job." Aber bremsen soll ich doch? "Du sagst ›Whoa‹ und gehst rückwärts." Also reite ich hoch bis zur Bande und strecke die Hand nach vorne. Coeur beschleunigt rasant; ich bin etwas zu fest mit meiner Hand – vor Grischa Ludwig stoppe ich und gebe das Kommando "rückwärts". Der erste Versuch war nix; erst beim dritten klappt es: Ich lasse Coeur gehen, wir werden schnell, und als ich Füße und Hand nach vorne strecke und "Whoa" sage, stoppt er wie eine Eins. Mein erster gelungener Sliding Stop! "Nicht schlecht fürs erste Mal", kommentiert Ludwig, und ich gebe das Lob, garniert mit einer Möhre, weiter an Coeur. Jetzt darf ich ja.