Gut 30 Zuhörer sind der Einladung des Gedenkstättenvereins ins Museum gefolgt, um den Vortrag des Politikwissenschaftlers Marc Grimm zu hören. Foto: Kauffmann Foto: Schwarzwälder Bote

Vortrag: Politologe hält Vortrag über Antisemitismus / Wenn fiktive Geschichten scheinbar wahr sind

Von Alexander Kauffmann

"Die AfD und der Antisemitismus": Das Thema, das sich der Gedenkstättenverein auf die Agenda gesetzt hat, ist mit Blick auf den Anschlag auf die Synagoge in Halle unerwartet zu "erschütternder Tagesaktualität" gelangt.

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Bisingen. Das sagt die stellvertretende Vorsitzende Ines Mayer zur Begrüßung im Museum. Gut 30 Besucher sind diesen Sonntagabend gekommen, um zu hören, was der Politikwissenschaftler Marc Grimm (siehe Info) auch dazu zu sagen hat.

n Ein Einzeltäter? Nein, für Grimm ist es kein "Lonely Wolf" (einzelner Täter) gewesen, der den Anschlag auf die Synagoge von Halle verüben wollte. Grimm: "Wo sollen sich solche Täter radikalisieren, wenn nicht online?" Damit spielt der Referent auf soziale Netzwerke und Foren an, die aus der Sicht des Täters wie ein "persönliches Umfeld" seien. Niemand sei in diesen Netzwerken alleine. Die Behauptung vom Einzeltäter sei schon deshalb nicht haltbar. Selbst die Tat sei in Echtzeit online übertragen worden – an das "soziale Umfeld".

n Antisemitismus: Gebe es nicht nur in rechtsextremen Kreisen, sondern auch in islamistischen. Grimm grenzt Antisemitismus und Islamismus nicht von einander ab, sondern stellt die Gemeinsamkeiten beider Strömungen heraus: So etwa der "eliminatorische Antisemitismus", bei dem von massiver Gewalt gegen Juden nicht abgesehen werde. Und ja, auch ein "linken Antisemitismus" sei vorhanden. Dieser trete derzeit nicht "gewalttätig auf".

n  Bezugspunkt: Judenfeindlichkeit konstatiert Grimm im Hinblick auf die AfD: "Die Alternative für Deutschland ist eine antisemitische Partei", stellt er fest. Das zeige sich etwa am Parteiflügel um Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Landtag von Thüringen. Verbreitet werde aus dieser Gruppierung die Geschichte, die Kanzlerin wolle die Bevölkerung austauschen. Im Hintergrund agierten "verborgene Mächte", die die Bundesregierung dabei beeinflussten. Dieses Narrativ werde immer wieder kolportiert, Grimm zitiert neben Aussagen Höckes auch Alexander Gauland, Vorsitzender der AfD-Bundestagsfraktion. Niemand sagt konkret, wer damit gemeint ist, doch "jeder weiß es: Juden" (Grimm). Diese Erzählung sei ein Bezugspunkt des internationalen Rechtstextremismus und keineswegs nur in Deutschland in bestimmten Kreisen geläufig.

n  Holocaust: Die AfD vertrete die Ansicht, dass der Holocaust keine zentrale Rolle in der Geschichte mehr spielen sollte. Zu sehr würde die Historie Deutschlands auf den Holocaust verengt werden. Die Erinnerung an diese Ereignisse würden nur bewahrt, "um Deutschland klein zu halten". Für Grimm nicht nachvollziehbar: So erinnerten Gedenkstätten auch an die Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Zudem gebe es Gedenktage für Trümmerfrauen und die Deutsche Einheit. Grimm: "Man kann stolz sein auf Deutschland, ohne den Holocaust bei Seite zu wischen", wie es sich etwa bei den Spielen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei Europa- und Weltmeisterschaften zeige.

n Wähler aus Überzeugung: "Juden haben zu viel Einfluss", eine Aussage, die 55 Prozent der AfD-Wähler unterstützten, berichtet Politikwissenschaftler Grimm. Ein Besucher wirft dazu ein, dies seien keine Protestwähler, wie so oft behauptet, sondern "Menschen mit antisemitischen und antidemokratischen Einstellungen. Die Einschätzung Grimms? "Ja, das muss man so sehen."

n "Tief verwurzelt": Der Antisemitismus sei in Deutschland "tief verwurzelt" sagt ein weiterer Besucher. Die AfD rufe dieses Potenzial ab, kreiere es aber nicht. Grimm dazu: Parteien gestalteten die demokratische Willensbildung mit und legten auch die Grenzen dessen fest, "was gesagt werden kann". Auch die AfD ist Teil dieses Prozesses und beeinflusst auch die Grenzen dessen, was man sagen kann. n "Angst um mein Land": Wenn die AfD keine Alternative für Wähler darstellt und diese sich auch in anderen Parteien nicht zu Hause fühlen, was dann? "Ich habe Angst um mein Land", sagt eine Besucherin dazu, die sich in den Parlamenten nicht vertreten fühle. Grimm: "Darauf habe ich keine Antwort." Er verweist jedoch auf die zahlreichen Möglichkeiten, die Bürger nutzen könnten, um sich politisch einzubringen, etwa in Ortsvereinen der Parteien.

Marc Grimm studierte Politikwissenschaft und Soziologie in Augsburg, Vancouver und Wien und wurde im Jahr 2018 mit einer Arbeit über die Rechtsextremismusforschung in der Bundesrepublik promoviert. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld.