Weil der Täter unter einer paranoiden Schizophrenie leidet, bleibt er in der Psychiatrie. (Symbolfoto) Foto: ©Bughdaryan_stock.adobe.com

Prozess zu Ende. Angeklagter bleibt in geschlossener Anstalt. "Mama, ich will mich entschuldigen."

Bisingen-Thanheim/Hechingen - Das Urteil im Fall des Thanheimer Messerstechers ist gefällt: Der Tübinger Student, der beinahe seine eigene Mutter umgebracht hat, bleibt in einer geschlossenen Anstalt.

Der Verteidiger ließ kurz nach der Verkündigung verlauten, dass das Urteil angenommen wird. Da auch Staatsanwalt und die Nebenkläger, sprich Mutter und Stiefvater des Beschuldigten, auf weitere Rechtsmittel verzichten, ist das Urteil sofort rechtskräftig.

Mutter überlebte durch großes Glück

Der 23-jährige Tübinger Student hatte Anfang Januar auf seine schlafende Mutter unter Drogeneinfluss (ein Joint, früher nahm er auch schon LSD) mit einem Messer eingestochen und sie am Hals verletzt. Juristisch gesehen ein versuchter Mord wegen Heimtücke. Im Gefecht mit dem Stiefvater sorgte er dafür, dass dieser sich einen Unterlippendurchstich zuzog, also ein versuchter Totschlag im offenen Kampf. "Durch großes Glück und die operativen Fähigkeiten der Ärzte hat Ihre Mutter überlebt. Aber Ihre Mutter hätte sterben können, sie war nahe dran", hielt Richter Hannes Breucker vom Landgericht Hechingen fest. "Sie haben sich selbst von unbekannten Menschen verfolgt gefühlt. Gott sei Dank kam es nicht zur Vollendung, sprich Tötung." Mehrere Zeugen hatten zuvor ausgesagt, dass der Student von Engel und Dämonen geredet hatte.

In diesem Sicherungsverfahren ging es darum, ob der Beschuldigte weiter in der Psychiatrie bleibt oder in Freiheit leben darf. Eine Anklage war deshalb nicht möglich.

Breucker teilte mit, dass eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet wird, weil der Beschuldigte aufgrund der Einschätzung eines Sachverständigen eindeutig unter einer paranoiden Schizophrenie leidet. Eine mildere Maßnahme erschien der Kammer als nicht ausreichend. "Es ist weiterhin mit solchen Taten zu rechnen. Da Sie nicht schuldfähig sind, können Sie nicht wie ein Mörder verurteilt werden." Die Staatsanwaltschaft habe gesehen, dass keine Strafverurteilung möglich ist. Deswegen gab es auch eine Antrags-, aber keine Anklageschrift.

Richter redet Angeklagtem ins Gewissen

Breucker redete dem Studenten mehrmals eindringlich ins Gewissen. "Sie dürfen nie mehr in ihrem Leben Drogen anfassen. Das darf auf keinen Fall passieren", so der 57-jährige Richter.

Der junge Mann muss eine Therapie machen und soll diese nicht auf die leichte Schulter nehmen. "Machen Sie mit! Es wird Ihnen schwer fallen, aber es lohnt sich. Ich bitte Sie, nicht zu täuschen oder tricksen. Nur bei Bedarf Intervallbehandlung, das reicht nicht", erklärte Breucker in Anspielung an eine frühere abgesetzte Medikamenteneinnahme.

Zu gegebener Zeit werde der Beschuldigte die Chance bekommen, straflos in der Freiheit leben zu können. Deshalb solle er auch auf lange Sicht die Nachsorge ernst nehmen und dauerhaft Medikamente einnehmen. "Sie haben die Vorwürfe vollumfänglich gestanden, das ist der erste Schritt in eine neue Zukunft." 80 Prozent des Weges seien schon vorgezeichnet, über die restlichen 20 Prozent müsse man noch reden.

"Geben Sie die Verantwortung ab! Sie sind therapiebereit und intelligent. Dann haben Sie die Chance, denn Sie können selbst nicht steuern, wann Sie Medikamente brauchen. Sie dürfen nicht glauben, dass Sie durch Selbstrecherche alles alleine richten können."

Mehrstufige Therapie vorgesehen

Am Anfang der mehrstufigen Therapie werde es eine Testphase geben, um herauszufinden, welches Medikament das richtige ist. Das Zusammenspiele zwischen Therapie und Medikamenten müsse funktionieren, sonst habe er keine Chance auf eine Heilung. Breucker: "Vor uns sitzt ein kranker Mensch. Der nicht krank war, sondern immer noch ist."

Der Richter lobte ausdrücklich die Schwester des Täters, die als 25-Jährige schon sehr reif sei. "Ein wirklich bemerkenswertes Auftreten vor Gericht. Eine starke Persönlichkeit, eine starke Zeugin. Sie hat Dinge ausgesprochen, die Ihnen unangenehm sein können", meinte er in Richtung des Beschuldigten. Wortwörtlich habe sie gesagt: "Mein Bruder ist nach wie vor mein Bruder. Er braucht Hilfe, diese muss er aber auch annehmen." Und Breucker ergänzend: "Besser kann man es nicht zusammenfassen."

Der Vizepräsident des Landgerichts Hechingen wollte im Gerichtssaal alle Beteiligten sensibilisieren, dass Drogen gefährlich sind. "Das ist auch eine deutliche Warnung an alle Cannabis-Konsumenten, dass diese Drogen ein enorm hohes Gefahrenpotenzial haben", hob er mahnend den Zeigefinger.

Vier Verhandlungstage waren für diesen Fall nötig gewesen. Die Mutter und der Stiefvater hatten am zweiten Tag ausgesagt. "Es war ein Blick wie ein Tier", sagte die Mutter, nicht ohne anzufügen: "Das Seltsame ist, dass ich meinen Sohn genauso lieb habe wie bisher."

Der wiederum aufrichtig seine Mutter um Verzeihung bat. "Mama, ich will mich in aller Öffentlichkeit entschuldigen. Es tut mir unendlich leid, was passiert ist. Ich werde nie wieder Drogen nehmen."