Gedenkstätten-Verein zeigt Propagandafilm "Ich klage an" / Uta Hentsch präsentiert Dieter Grupp als Nachfolger

Von Judith Midinet

Bisingen. Welche Gefahr von nationalsozialistischem Gedankengut heute noch ausgehen kann, veranschaulichte die Filmvorführung des Propagandafilms "Ich klage an" im Bisinger Heimatmuseum. Auf trügerisch harmlose Art wirbt der Film um die Akzeptanz des Zuschauers für Sterbehilfe.

Der Verein KZ-Gedenkstätten Bisingen hat am Dienstagabend – am 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz – den nationalsozialistischen Propagandafilm "Ich klage an" von Wolfgang Liebeneiner aus dem Jahr 1941 gezeigt.

Psychologisch manipulativ und höchst subtil tarnt der Film seine eigentliche Absicht: Dass Menschen, die leiden, durch Sterbehilfe "erlöst" werden können. Die vermeintlich harmlosen Bildern, die fast ohne NS-Symbolik auskommen, hätten wahrscheinlich auch die meisten der gut 50 Zuschauer am Dienstagabend im Heimatmuseum getäuscht – Propaganda, die auch 70 Jahre später noch funktioniert. Deshalb zählt der Film in Deutschland zur Gruppe der Vorbehaltsfilme und darf nur mit einer erklärenden Einführung gezeigt werden. Diese übernahm Dieter Grupp, der – so viel verriet Uta Hentsch an diesem Abend – ihre Nachfolge als Vorsitzender des KZ-Gedenkstätten-Vereins in diesem Jahr antreten möchte.

"Der Film ist nicht grausam, aber extrem propagandistisch", sagte Grupp. Er erinnerte daran, dass in Grafeneck (Reutlingen) 1940 bereits 11 000 Menschen ermordet worden waren. Absicht des NS-Regimes war es, sich Menschen, die der "Volksgemeinschaft" zur Last fielen, insbesondere Menschen mit Behinderung und unheilbar Kranker, durch Tötung zu entledigen. Diese Intentionen werden in dem Film als humane Sterbehilfe getarnt. Ziel des Films sei es gewesen, Akzeptanz in der Bevölkerung für das "Euthanasieprogramm" des NS-Regimes zu bewirken und zwar "ohne, dass das Objekt der Erziehung merkt, dass es erzogen wird".

Professoren-Gattin erkrankt an Multipler Sklerose

Vordergründig handelt der Film von einer Professoren-Gattin, die hübsch und lebensfreudig ist. Sie erkrankt an Multipler Sklerose, ihr Körper wird nach und nach gelähmt. Ihr Mann, der Professor, forscht unermüdlich nach einem Gegenmittel, scheitert aber. Seine Frau bittet ihn, bevor sie "nur noch ein Fleischklumpen" ist, sie von ihrem Leid zu "erlösen". Er erfüllt ihr diesen Wunsch. Sein bester Freund, der ebenfalls Arzt ist und verliebt in die Frau, beschuldigt ihn des Mordes. "Weil ich sie mehr geliebt habe, habe ich es getan", entgegnet ihm der Professor.

"Die Euthanasie kommt in der Nebenhandlung vor", erklärte Grupp. Genau dies werde eben nicht klar, wenn der Film ohne Erklärung angeschaut werde. Der befreundete Arzt, der die Sterbehilfe des Professors verurteilt, vollziehe in dem Film eine "innere Wandlung". Nachdem er ein Kind sieht, das er wegen einer Hirnhautentzündung behandelt hat und das nun behindert ist, "sind seine letzten Zweifel ausgeräumt", dass das Kind besser tot wäre. Das Kind selbst bekommt der Zuschauer nicht zu Gesicht.

Immer wieder wird in dem Film in Andeutungen mit dem Mitleid des Zuschauers gespielt: Wenn beispielsweise die Labor-Mitarbeiterin eine gelähmte Maus oder ein Jäger seinen alten Hund "vom Leiden erlöst".

In einer Gerichtsverhandlung wird die Euthanasie schließlich durch den bekehrten Arzt, einen Pastor und einen Studienrat legitimiert. Der angeklagte Professor appelliert im Gerichtssaal an die Zuschauer: "Fällen Sie ihr eigenes Urteil." Er will ein Urteil, "um Klarheit zu schaffen für sich und zukünftige solche Fälle".

Der Film lässt den Zuschauer nachdenklich zurück, aber vor allem mit der Frage, ob er die NS-Propaganda des Films ohne Erklärung durchschaut hätte, oder ob sie auch heute noch wirken könnte.

Als Vorbehaltsfilme bezeichnet die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung (Wiesbaden) Propagandafilme aus der Zeit des Nationalsozialismus, deren Inhalt kriegsverherrlichend, rassistisch oder volksverhetzend ist, und die deshalb auf Beschluss des Stiftungs-Kuratoriums nicht für den Vertrieb freigegeben werden. Vorbehaltsfilme aus dem Filmbestand der Stiftung können nur mit Zustimmung und unter den Bedingungen der Stiftung gezeigt werden. Diese verlangt in jedem Fall eine historische Einführung in den Film, der gezeigt wird, und eine Diskussion mit fachkundigem Leiter.