Die jungen Thanheimer Flugpioniere Gustav Endress (links) und Paul Beck träumten vom Fliegen. Foto: Archiv Heimatverein Foto: Schwarzwälder Bote

Historie: Zwei Thanhemer bauen ein Segelflugzeug / 1927 soll es abheben – und zerschellt am Boden

Ohne Anleitung und Vorlagen und nur mit kargem Taschengeld wollten zwei Flugpioniere aus Thanheim 1927 den Himmel erobern. Sie bauten ein Segelflugzeug und stürzten ab. Warum es nicht funktionierte, hat einen einfachen Grund.

Bisingen-Thanheim. Die Geschichte dieses abrupt beendeten Höhenfluges beginnt aus einer Laune heraus. Gustav Endress (1906-1980), späterer Morchelwirt, und der Schuhmacher Paul Beck (gestorben 1966) kommen durch Zufall auf die Landung eines Motorflugzeugs in Bisingen nach dem Ersten Weltkrieg zu sprechen – ein Ereignis, das die beiden faszinierte. Begeistert von der Idee des Fliegens, reifte in den zwei jungen Männern nach und nach der Plan, selbst ein Segelflugzeug zu bauen.

  Arbeiten in Eigenregie: Aus einem Bericht des früheren Vorsitzenden des Heimatvereins Thanheim, Emil Dieringer aus dem Jahr 1967 geht hervor, dass die Thanheimer Flugpioniere alle Arbeiten ohne fremde Hilfe bewerkstelligten. Ohne Anleitung und Vorlagen, nur mit dem damals kargen Taschengeld ausgestattet, fingen die beiden jungen Männer an, nach dem Vorbild des Vogelfluges Zeichnungen für die Erstellung eines Segelflugzeuges zu erstellen. Für damals 50 Mark hätten sie in Stuttgart Pläne und Unterweisungen für den Segelflugzeugbau erwerben können, doch sie besaßen nicht einmal das Fahrgeld dorthin.

Im Gemeindewald wurden von den Flugzeugbauern schlanke, dürre Fichten herausgesucht, gefällt und geglättet. Sie mussten genau gewogen, auf beiden Seiten ausgeglichen und abgeschmirgelt werden. Draht, Bindedraht und viele weitere Kleinutensilien wurden ebenfalls verwendet.

  Die Tragflächen: Für die Tragflächen kauften sie in Balingen rund 30 Meter Besatzstoff, den ihnen Maler Zanger aus Bisingen, der selbst große Drachenfluggeräte baute, luftdicht präparierte. Ein ganzes Jahr lang arbeiteten die beiden jungen Männer in jeder freien Minute an ihrem Flugzeug.

Von den älteren Einwohnern mussten sie sich den mahnenden Hinweis anhören, dass sie sich damit nur das Genick brechen würden.  "Baut weiter": Der als Freund der damaligen Jugend bekannte Dorfpfarrer und Dekan Söll hat die Flugpioniere mit folgenden Worten ermuntert: "Baut weiter und hört auf niemand, entweder ihr habt Erfolg oder aber ihr werdet höchstens ausgelacht wie der Schneider von Ulm."

Er gab ihnen neben Geld den Rat, nach der Fertigstellung des Flugzeuges im Ort einen Flugtag zu veranstalten und mit dem Eintrittsgeld danach das richtige Material für den Bau eines Segelflugzeuges zu kaufen.

 Die Flugsteuerung: Eine große Herausforderung war für die Männer der Einbau der Flugsteuerung, doch immer wieder sind die findigen Flugpioniere auf Lösungen für die aufgetretenen Probleme gekommen. Ohne Wissen der Eltern wurde von den Fahrrädern die beiden Vordergabeln ausgebaut und am Flugzeug angebracht. Das Los entscheidet: Im April 1927 war es endlich so weit. Es galt nun, den Ort für den ersten Flugversuch festzulegen. Der begeisterte und mutige Flugpionier Gustav Endress wollte unbedingt auf dem Thanheimer Ebersberg starten, während sein eher bedächtiger Freund Paul von der weniger steilen Mönchhalde beim Sportplatz Kreuth als Startplatz starten wollte.

Also musste, um Diskussionen zu verhindern, das Los entscheiden und das fiel auf die Thanheimer Mönchhalde als Ort des ersten Flugversuches und letztlich auch der Erkenntnis, dass Fliegen doch nicht so leicht war.

 Der große Tag: Weiteren Aufschluss über den Flugversuch kann man aus einer Pressemeldung im "Zoller" vom 20. April 1927 entnehmen: "Vor mehreren Hundert Zuschauern von hier und Umgebung stellten die Herren Paul Beck und Gustav Endress ihr mit großer Mühe und ebenso großen finanziellen Opfern erstelltes Segelflugzeug auf. Es war wirklich lohnend, den Körperbau dieses großen Schmetterlings zu betrachten, dessen Spannweite vierzehn Meter betrug", heißt es da. Durch das Los sei Paul Beck zum Besteigen des Flugzeuges bestimmt worden.

 Der Absturz: "Schon hatte sich der riesige Schmetterling von der Erde erhoben, als auf der einen Seite die Halteleinen zu früh losgelassen wurden, wodurch das ganze Flugzeug in eine schiefe Lage kam und abstürzte", steht in dem Bericht. Auch wenn der Absturz aus nur geringer Höhe erfolgte, habe der Aufprall genügt, "um das ganze Flugzeug bis zur Unbrauchbarkeit zu beschädigen". Im "Zoller" steht dazu: "Den tapferen jungen Männern traten fast die Tränen in die Augen, als sie die Frucht einer fast einjährigen Arbeit zerschellt am Boden sahen."

 Zweiter und dritter Versuch: Während der spätere Morchelwirt Gustav Endress von weiteren Flugversuchen absah, hat Paul Beck zwei weitere Flugmodelle gebaut. Beim zweiten Versuch sprang er, an sein Flugmodell angeschnallt, vor wenigen Zuschauern vom Bisinger Wasserbehälter. Dabei wäre er beinahe ums Leben gekommen. Nur dem am Flugkörper angebauten Spieß, der sich in den Boden bohrte, hatte er sein Leben zu verdanken. Sein zweites Modell, das er unbemannt ausprobierte, erreichte einen Flug von einigen Hundert Metern. Damit gab er sich zufrieden und sah von weiteren Versuchen ab.

Auf der Suche nach interessanten Begebenheiten aus der Ortsgeschichte entdeckte der Heimatverein Thanheim einmal mehr eine fast vergessene Geschichte, die sich im Jahre 1927 tatsächlich zugetragen hat. Dokumentiert und recherchiert wurde sie von Gerhard Dehner.