Ein Ehepaar fährt nach Österreich, ihr Hund bleibt aber alleine zu Hause und stirbt. Das Gericht hat die beiden nun verurteilt. Der Vorwurf der vorsätzlichen Tierquälerei hat sich jedoch nicht erwiesen. Foto: Kauffmann

Paranoider Sohn veruschte seine Mutter und seinen Stiefvater mit einem Brotmesser umzubringen.

Bisingen-Thanheim/Hechingen - Im Familiendrama von Thanheim vom Januar dieses Jahres kamen gestern die beiden Opfer, Mutter und Stiefvater des Täters, zu Wort. Das Tatmotiv? Vermutlich Todesängste.

Bewegende Momente im Saal des Hechinger Landgerichts: "Mama, ich will mich in aller Öffentlichkeit entschuldigen. Es tut mir unendlich leid, was passiert ist. Ich verspreche, ich werde nie wieder Drogen nehmen", sagte der 23-jährige Student mit tränenerstickter Stimme in Richtung seiner Mutter, die er fast umgebracht hätte. "Das Seltsame ist, dass ich ihn genauso lieb habe wie bisher", antworte die 55-jährige Lehrerin, die ihn vor dem ersten Prozesstag umarmt hatte. Auch den 54-jährigen Stiefvater bat er um Verzeihung: "Ich werde es nicht mehr so weit kommen lassen", sagte der Beschuldigte. Diese Szenen ließen niemand im Gerichtssaal unberührt. Hier der geständige, vorbestrafte, paranoide Student, der drogenabhängig war und beide verletzte. Dort die Eltern als Nebenkläger, die beide operiert werden mussten und noch heute unter den Folgen leiden.

Zunächst sagte die Mutter aus. "Das Verhältnis zu mir war sehr eng", berichtete sie. Der Sohn geriet jedoch irgendwann auf die schiefe Bahn. Ende 2015 baute er mit dem Auto einen Unfall mit 1,7 Promille Alkohol und wurde damals zu 800 Euro Geldstrafe verurteilt. Totalschaden und Führerscheinentzug waren die Folge. Er werde nie wieder so viel trinken, habe er ihr damals versprochen. Irgendwann griff er auch zu Drogen. "Junge Leute probieren Vieles aus. Ich habe gedacht, Joints sind harmlos. Jetzt vertrete ich den Standpunkt: alles ist gefährlich". Schlimmer waren allerdings die zwei LSD-Trips. Einmal musste er von den Eltern abgeholt werden. "Ich war schockiert. Er war verstört und 100-prozentig überzeugt, er werde verfolgt", meinte sie rückblickend. "Ich denke, paranoid trifft schon zu." Ihr Sohn sei mehrmals nachts alleine im Wald viele Stunden herumgelaufen – ohne Mobiltelefon. Er fühle sich dort frei, habe er gesagt. Darauf einen Psychiater angesprochen, habe dieser gesagt, dass sie entscheiden soll, ob sie die Polizei oder das DRK verständigt. Was sie dann schlussendlich nicht getan hat.

An die Tat konnte sie sich noch recht gut erinnern. Sie sei aus dem Schlaf aufgewacht, als ihr Sohn über ihr war. "Ich hatte ein Messer im Hals, habe geschrien, ihn mit Kraft von mir weggedrückt und mit dem Fuß weggedrückt." Warum sie nicht tot sei, habe er gefragt. Aufgrund seines "Schlafzimmerblicks" habe er wohl einen Joint geraucht gehabt. "Es war ein Blick wie von einem Tier", erzählte sie gefasst. Sie habe sich den Hals zugedrückt und keinen Schmerz gefühlt. "Das ist fast schon übermenschlich, wie sie da noch funktioniert haben", zollte ihr der Richter Respekt.

Cousin bekommt Angst vor dem Angeklagten und flieht

Nach der Tat musste sie sich zwei Operationen unterziehen, davon eine über fünf Stunden. Ein Luftröhrenschnitt war notwendig, nach der OP konnte sie eine Weile nicht sprechen. Die Zeit danach hatte sie selbst Wahnvorstellungen, noch heute nimmt sie abends eine Beruhigungspille. Als Langzeitfolgen hat die Frau Schwellungen im Hals und Atembeschwerden.

Der Vater gab zu Protokoll, dass es nach der Attacke gegen seine Ehefrau ein Gerangel zwischen ihm und Sohn gab, der sich sonst "sehr liebevoll im Umgang mit seiner Mutter" zeigte. Er wollte ihm das Messer abnehmen. "Ein Blick, den in ich in der Form noch nie gesehen habe. Den kann man eigentlich nur als mordlüstern bezeichnen", sagte der Stiefvater, in dessen Gaumen die Spitze des Messer stecken geblieben war. Mit 36 Stichen musste er genäht werden. "Engel oder Dämonen, die um seine Seele kämpfen", so schätzt er das Krankheitsbild seines Stiefsohns ein.

Anzeichen, dass etwas passieren könnte, hatte es am gleichen Abend zwar nicht gegeben, jedoch im Vorfeld der Messerattacke. Der 23-Jährige habe seiner Schwester gegenüber einmal gesagt, er müsste jetzt gehen, um als Engel zurückzukommen. Diese Aussage wertete der Stiefvater als Suizidandrohung. Wenige Tage vor dem Vorfall wurden Verwandte besucht. Dabei ist der Tübinger Student zusammen mit seinem Cousin im Wald spazieren gegangen. Letzterer kam dann alleine zurück und berichtete, dass er Angst vor dem 23-Jährigen gehabt habe, weil dieser ein Messer herausgezogen hatte. Mit "Du bist nicht mein Endgegner" soll sich der Beschuldigte gegenüber dem Cousin geäußert haben.

Zwei Kriminalbeamte wurden noch vernommen. Der erste erklärte, dass er nach Festnahme ein autoaggressives Verhalten an den Tag gelegt habe. Nach Einnahme eines Medikaments habe der Täter in freundlichem Tonfall das Geschehene geschildert. Dieser habe wohl Todesängste gehabt und seine Eltern als Teil eines Komplotts gesehen. Vor Ort habe er ein "verheerendes Blutbild" vorgefunden, so der Beamte. Die Flucht in den nahegelegenen Wald sei nicht über das Fenster, sondern über die Türe erfolgt.