In Schlachthöfen herrschen harte körperliche Arbeitsbedingungen sowie oft Nähe zu den Kollegen – das erhöht das Covid-19-Infektionsrisiko. (Symbolfoto) Foto: imago stock&people

Bürgermeister schaut Höfener Unterkünfte an. Auflagen für Müller Fleisch: Vorerst keine Neueinstellungen.

Birkenfeld/Höfen - Das Ergebnis der zweiten Testrunde bei Müller Fleisch liegt vor. Und es ist wenig überraschend: 82 weitere Beschäftigte, die in der Fleischfabrik arbeiten, wurden positiv auf das Coronavirus getestet. Höfens Bürgermeister Heiko Stieringer fordert weiter die Schließung des Betriebs und kritisiert die Umstände, wie die Arbeiter in ihren Unterkünften leben.

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Bis zum späten Montagnachmittag sind laut Pressemeldung des Enzkreises beim Gesundheitsamt nahezu alle Ergebnisse der zweiten Testrunde bei der Firma Müller Fleisch eingetroffen: "Von den 850 Beschäftigten, die im ersten Durchlauf Mitte April noch negativ auf das neuartige Corona-Virus getestet worden waren, sind nun 82 positiv, das sind knapp zehn Prozent", sagt die Leiterin des Gesundheitsamtes, Brigitte Joggerst.

"Corona-Infizierte werden an der Nase herumgeführt"

Dennoch habe man "ein wichtiges Ziel erreicht – das Virus im geschlossenen System Müller Fleisch zu halten und damit die Bevölkerung zu schützen", betont Landrat Bastian Rosenau. Das zeigten die Zahlen der Neuinfizierten in Pforzheim und im Enzkreis: Die seien auf einem erfreulich niedrigen Niveau – wenn man die Müller-Fleisch-Beschäftigten herausrechne. Nicht zufrieden zeigt sich der Kreischef hingegen mit dem Ergebnis innerhalb der Firma: "Diese Zahlen sind eindeutig zu hoch."

Auflagen bereits am Wochenende

Da die Tendenz schon am Freitag erkennbar gewesen sei, habe man dem Betrieb "bereits am Wochenende mit sofortiger Wirkung zusätzliche Auflagen für die Betriebsführung gemacht", berichtet der Erste Landesbeamter Wolfgang Herz, der im Landratsamt den Verwaltungsstab Corona leitet. Unter anderem sei dem Betrieb die Beschäftigung neuer Arbeitskräfte für einen Monat untersagt worden.

Dem Landrat reiche das nicht aus, heißt es weiter. Deshalb habe er die Müller-Chefs in einer Telefonkonferenz zu grundlegenden Veränderungen des Systems aufgefordert. "Wir müssen nachhaltig denken und brauchen eine langfristige Lösung", so Rosenau. Denn angesichts ständig wechselnder Arbeitskräfte müsse sonst damit gerechnet werden, dass man in sechs Monaten den nächsten Ausbruch habe.

Wohnverhältnisse fördern Infektionsketten

Dabei lässt Rosenau keinen Zweifel, dass er insbesondere die Unterbringungs-Situation im Blick hat: "Wir wissen, dass die Wohnverhältnisse die Infektionsketten fördern – das ist kein Vorwurf, sondern eine Tatsache." Er sehe Müller Fleisch in der Pflicht, hier Verbesserungen umzusetzen.

Die neuen Positiven, die in einer Sammelunterkunft leben, werden in der Quarantäne-Einrichtung im Hohenwart-Forum einquartiert, bis sie als genesen gelten. Dort befinden sich aktuell 76 Personen; hinzu kommen fünf Menschen, die am Dienstag vom Queens Hotel in Niefern dorthin umzogen.

Hohenwart mit maximal 120 Plätzen soll dann als einzige Quarantäne-Einrichtung aufrechterhalten werden. Im Reha-Zentrum in Schömberg ist laut Pressemeldung niemand mehr in Quarantäne untergebracht.

Höfens Bürgermeister vermutet Schlimmes

Die Unterbringung ist es auch, die Höfens Bürgermeister Heiko Stieringer Sorgen bereitet. Deshalb kündigt er im Gespräch mit unserer Zeitung an, am Mittwoch gemeinsam mit dem Gesundheitsamt, mit dem er täglich in Kontakt stehe, sowie den Eigentümern der Gebäude eine Begehung bei zwei Objekten in Höfen zu machen. "Wir wollen die Zustände begutachten und schauen uns das vor Ort an", sagt Stieringer, der Schlimmes vermutet.

Wenn es so ähnlich aussehe, wie das, was er im ehemaligen Hotel Hirsch gesehen habe, dann könne von Hygiene nicht die Rede sein. "Die Situation war hanebüchen. Das war ein Schweinestall", findet er deutliche Worte. Und zumindest bei einem der Objekte befürchtet er ähnliches. Denn dort seien unter anderen 16 Personen gemeldet, die bei Müller arbeiten und gemeinsam zwei Wohnungen mit insgesamt sechs Zimmern bewohnen sollen. Zudem gebe es Stimmen, die behaupten, dass sich die Arbeiter nicht nur die Zimmer, sondern – in Schichten – auch die Betten teilen. Das heißt, der eine schläft darin, währen der andere arbeitet – und umgekehrt.

Vermietung als "funktionierendes Geschäftsmodell"

Stieringer sieht die Zimmervermietung als "Geschäftsmodell, das funktioniert". Denn nach seiner Aussage miete der Subunternehmer, der auch die Werkverträge mit Müller vermittle, auch die Wohnungen an und vermiete diese dann weiter an die "Fremdarbeiter", wie sie von der Müller-Geschäftsleitung genannt werden. Somit verdiene die Vermittlungsfirma quasi doppelt.

Ein einträgliches Geschäftsmodell? "Mich würden die Mietpreise interessieren", sagt Stieringer. Er kann sich gut vorstellen, dass die pro Quadratmeter deutlich über dem Mietspiegel des Landkreises Calw liegen.

Arbeiter wechseln alle paar Monate

Weiteres Problem sei, dass die "Menschen im Durchfluss" seien. Alle drei bis sechs Monate wechseln die Arbeiter nach seinen Informationen, "dann kommen die nächsten". Deshalb habe der Enzkreis nun richtig reagiert mit dem Stopp, dass Müller vorläufig keine neuen Beschäftigten mehr holen dürfe.

Er sieht es auch nach wie vor so, dass die Firma hätte geschlossen werden sollen – so wie die Schlachthöfe in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, in denen es ebenfalls einen massiven Corona-Ausbruch gibt.

Es sei doch klar gewesen, dass die Zahlen nach dem zweiten Test wieder nach oben gehen würden. Dies habe auch das Pforzheimer Gesundheitsamt bestätigt. "Wenn ich einen positiven Fall im Rathaus hätte, müsste ich schließen. Und wir sind auch systemrelevant", sagt er. Das verstünden die Bürger nicht, auch deshalb würden die Negativstimmen nicht aufhören.

Deshalb will er so lange "dran bleiben, bis ich es zumindest in Höfen vielleicht steuern kann", kündigt er an. Das könne auch bedeuten, dass man die Brandschutzvorschriften in den Unterkünften überprüfe oder sie eventuell in Wohnheime umwidmen könne, um dann die dafür geltenden strengeren Richtlinien anwenden zu können. Das gelte im Übrigen auch für die Zeit nach der Pandemie: "Nach Corona darf das nicht so gehen, wie es jetzt war."

Info: Schlachthöfe

Südwesten

Mehr als 900 Betriebe in Baden-Württemberg besitzen eine Genehmigung zum Schlachten. Darunter sind aber viele kleinere Metzgereien und Landwirte. Nur etwa 40 Betriebe schlachten pro Jahr mehr 1000 Schweine und Rinder.

Schlachtzahlen

Im Südwesten wurden im vergangenen Jahr 4,36 Millionen Schweine und 464 000 Rinder geschlachtet. Die Zahlen sind leicht rückläufig. Die Müller-Gruppe mit fünf Standorten in Bayern und Baden-Württemberg, darunter Birkenfeld im Enzkreis und Ulm, verarbeitet 2,1 Millionen Schweine. Große Betriebe sind daneben die Schlachthöfe in Crailsheim (Vion) und Rheinstetten (Edeka).

Deutschland

Die zehn größten Schlachthöfe in Deutschland haben nach Angaben der Interessengemeinschaft der Schweinehalter einen Marktanteil von 80  Prozent. Mit Abstand am größten ist Tönnies in Nordrhein-Westfalen mit einem Marktanteil von 30 Prozent. Die Müller-Gruppe belegt mit einem Anteil von 3,8 Prozent den fünften Platz. 2019 wurden bundesweit 55,1 Millionen Schweine geschlachtet.