Die Biotechnologie arbeitet mit Mikroorganismen. Foto: Geduldig

Jahrelang galt die deutsche Biotechnologie als vielversprechend, aber wirtschaftlich erfolglos.

Jahrelang galt die deutsche Biotechnologie-Branche als ewiges Talent: vielversprechend, aber letztlich doch enttäuschend, wenn es um wirtschaftliche Erfolge ging. Doch die zunächst hochgelobte, dann vorschnell totgesagte Branche ist inzwischen in ruhigerem Fahrwasser angekommen. Das zeigt nicht zuletzt das vergangene Jahr: Trotz Wirtschaftskrise glänzt die Biotechnologie mit Stabilität. Ihren Umsatz konnte sie 2009 mit zwei Milliarden Euro auf Vorjahresniveau halten, die Zahl der Beschäftigten und der Unternehmen nahm leicht zu. "Die deutschen Biotech-Unternehmen arbeiten insgesamt erfolgsorientierter als früher", resümiert Siegfried Bialojan, der Leiter des Industriesektors Life Science bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young.

Eine im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) jährlich durchgeführte Firmenumfrage ergab, dass die deutsche Biotechnologie 2009 zum ersten Mal die Marke von 30 000 Beschäftigten überschritten hat, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung blieben mit einer Milliarde Euro auf Vorjahresniveau. In der Studie werden alle Firmen zur Biotech-Branche gerechnet, deren "wesentliche Unternehmensziele die Anwendung biotechnologischer Verfahren zur Herstellung von Produkten oder der Bereitstellung von Dienstleistungen oder der Durchführung biotechnologischer Forschung und Entwicklung sind". Häufig sind das Neu- und Ausgründungen. Hinzu kommen noch die "sonstigen biotechnologisch-aktiven Unternehmen", bei denen Biotech nur einen Teil des Geschäfts ausmacht. Hierzu gehören Pharma-, Chemie- und Saatguthersteller. Gut die Hälfte der insgesamt 31 600 Beschäftigten arbeitet dort. Hier gab es auch den stärkeren Anstieg bei der Zahl der Jobs - um sieben Prozent gegenüber dem Jahr 2008. Spezielle Biotech-Firmen wiesen im gleichen Zeitraum dagegen ein durchschnittliches Wachstum der Mitarbeiterzahlen um 3,5 Prozent auf.

Alexander Mohr hat Verfahrenstechnik studiert und sich auf Biotechnologie spezialisiert. Seit 2005 arbeitet der Diplom-Ingenieur bei dem Chemieunternehmen Evonik Degussa, zunächst in einem anderen Forschungsprojekt, seit Anfang 2007 im Science-to-Business-Center Biotechnologie in Marl. Zum Center gehören rund 45 Mitarbeiter, die gemeinsam mit den Geschäftsbereichen von Evonik Degussa und externen Kooperationspartnern Verfahren der weißen oder industriellen Biotechnologie erforschen. Das Unternehmen will dadurch neue Wege in der Chemieproduktion beschreiten. Denn im Vergleich zu chemischen Prozessen zeichnen sich biotechnologische Verfahren durch geringere Investitionskosten aus: Klassische mehrstufige Produktionsschritte können innerhalb der Zellen von Bakterien ablaufen. Deren Erzeugnisse münden zum Beispiel in Bau- oder Kunststoffen oder in Inhaltsstoffen für Kosmetika.

Forschung ist kein Job von 8 bis 16 Uhr

Mohr gehört im Biotechnologie-Center der Fermentationsgruppe an, die Mikroorganismen nutzt, um mit deren Hilfe chemische Stoffe zu erzeugen. Solche Vorgänge laufen in Gefäßen - Fermentern - ab, die im Labormaßstab die Dimension eines Kochtopfs haben. "Die nächste Entwicklungsstufe sind dann Fermenter mit 300 Liter Fassungsvermögen", so der 30-Jährige. So tasten sich die Forscher langsam in industrielle Dimensionen von mehreren Tausend Liter Fassungsvermögen vor. "Ich untersuche mit meinen Kollegen, ob bestimmte Prozesse möglich sind und wie sie sich optimieren lassen", erläutert Mohr. Die Mikroorganismen brauchen zum Beispiel genug zum Futtern, damit sie die gewünschten Stoffe produzieren können. Und die Stoffe wiederum müssen sich möglichst rein aus dem Fermenter gewinnen lassen.

"Mein Job ist abwechslungsreich", sagt Mohr. "Ich kann viel selbst machen, auch handwerklich" - etwa wenn es um den Aufbau eines neuen Versuchs geht. "Aber Forschung ist kein Job von 8 bis 16 Uhr, da kann es sein, dass man auch mal zu anderen Zeiten ran muss, wenn gerade ein Versuch läuft." Und oft klappt auch nicht alles auf Anhieb, Frustrationstoleranz und Flexibilität seien daher wichtig. "Auch thematisch, weil Projekte wechseln, Forschungsschwerpunkte sich ändern können."

Rund 530 reine Biotechnologie-Firmen zählt die BMBF-Studie, hinzu kommen rund 110 sonstige biotechnologisch aktive Unternehmen. 45 Prozent der deutschen Biotech-Firmen beschäftigen weniger als zehn Mitarbeiter, weitere 42 Prozent bringen es auf zehn bis 50. Besonders viele Firmen sind im Großraum München und im Rheinland zu finden, aber auch die Regionen Berlin-Brandenburg und Baden-Württemberg erweisen sich als Schwerpunkte.

Blühende Forschungslandschaft

Neben der privatwirtschaftlichen Biotechnologie gibt es in Deutschland auch eine blühende Forschungslandschaft. Laut der BMBF-Studie arbeiten dort an mehr als 200 Einrichtungen rund 27 000 Wissenschaftler in der Biotechnologie - also fast so viele wie die Unternehmen Beschäftigte haben. Regionale Schwerpunkte sind Baden-Württemberg, Bayern und Hessen.

Wegen der starken Forschungs- und Technologie-Orientierung der Unternehmen finden Biologen, Chemiker, Pharmazeuten sowie Chemie- und Verfahrenstechnik-Ingenieure ein interessantes Tätigkeitsfeld in der Biotechnologie. "Ingenieure sind vor allem als Projektleiter und leitende Mitarbeiter in der Produktion gefragt", weiß Olaf Frommholz, Inhaber der Personalberatung Of Research, die sich auf die Biotech-Branche spezialisiert hat. Naturwissenschaftler finden neben Tätigkeiten in Forschung und Entwicklung auch im Produktmanagement, Marketing und Vertrieb interessante Stellen. Man habe bei diesen forschungsfernen Tätigkeiten viel mit Laborkunden zu tun, müsse auch Tipps zu Applikationen geben können - ein vielfältiges Feld, wenn man sich mit solchen Tätigkeiten identifizieren könne, sagt Frommholz.

Die Gehälter für Berufsanfänger können sich laut dem Personalberater stark unterscheiden: Kleine Unternehmen zahlen im Schnitt deutlich weniger als die etablierten Großen. "Da gibt es eine Spanne von 20 Prozent", sagt Frommholz. Absolventen mit Diplom oder Master steigen zwischen 40.000 und 50.000 Euro ein, promovierte Akademiker eher zwischen 50.000 und 60.000 Euro.

Rote und weiße Biotechnologie

Ein großer Teil der Biotech-Firmen entwickelt Wirkstoffe für Medikamente oder neue Diagnostikmethoden. Diese sogenannte rote Biotechnologie, die neue medizinische Therapien, Impfstoffe oder Biomarker zum Ziel hat, stellt auch weltweit den wichtigsten Anwendungsbereich. Zunehmende Bedeutung erlangt die weiße Biotechnologie, in der auch Alexander Mohr tätig ist und die schon seit Jahren überproportional wächst. In der roten und weißen Biotechnologie entstehen in Deutschland auch die meisten Stellen. Dagegen ist die Zahl der Firmen, die in der grünen Biotechnologie tätig sind, sogar leicht zurückgegangen. Die BMBF-Studie führt dies nur zum Teil auf die kritische Haltung der Öffentlichkeit gegenüber gentechnisch veränderten Pflanzen zurück, vielmehr seien auch die Entwicklung und Zulassung sehr langwierig.

Eine vierte Gruppe von Unternehmen, die zweitgrößte in der BMBF-Studie, ist übrigens nicht eindeutig einem der drei Biotech-Bereiche zuzuordnen, weil sie zumindest überwiegend Dienstleistungen für andere Biotech-Firmen erbringt oder als Zulieferer für diese tätig ist. Auch reine Auftragsproduzenten von biologischen Molekülen, die selbst keine Entwicklung betreiben, zählen zu dieser - auch als Arbeitgeber wichtigen - Kategorie.