Das Lernen ohne Noten steht im Mittelpunkt eines Pilotprojekts an mehreren Grundschulen in Baden-Württemberg. Ob das für die Kinder gut ist, beurteilen Schulleiter aus Villingen-Schwenningen unterschiedlich. Foto: © drubig-photo – stock.adobe.com

Wird es an Grundschulen bald keine Noten mehr geben? Schulleiterinnen und Schulleiter aus Villingen-Schwenningen berichten, was für und gegen das Konzept einer Schule ohne Noten spricht.

Villingen-Schwenningen - Im kommenden Schuljahr startet in Baden-Württemberg das Pilotprojekt "Schule ohne Noten". In 37 Grundschulen sollen Kinder dann ganz ohne Einser bis Sechser durch die ersten vier Schuljahre kommen. Stattdessen erhalten die Kinder eine verbale Rückmeldung zu ihren Leistungen.

Lernen Schüler besser, wenn Sie keine Noten erhalten? Dieser Frage will das Land in dem dreijährigen Experiment auf den Grund gehen. In Villingen-Schwenningen nimmt keine der zwölf Grundschulen aus beiden Stadtbezirken am Pilotprojekt teil. Unsere Redaktion hat nachgefragt: Was halten die Schulen in der Doppelstadt von dieser neuen Alternative der Leistungsbeurteilung?

Vor- und Nachteile des Konzepts

Elmar Dressel, der Rektor der Südstadtschule im Stadtbezirk Villingen, sieht für beide pädagogischen Konzepte gute Gründe: "Ohne Noten entfällt der gefühlte Leistungsdruck", ist der Schulleiter der Meinung. "Vielen Schülern kommt dies zugute, um sich besser entfalten und befreiter lernen zu können."

Trotzdem seien Noten hilfreich, um eine Vergleichbarkeit der Leistungen zu erhalten. "Viele selbstbewusste und leistungsstärkere Kinder und auch Eltern fordern Noten als Mittel ein, um eine handhabbare Vergleichbarkeit herbeizuführen." Anhand einer verbalen Rückmeldung lasse sich nicht immer herauslesen, wie es um den Leistungsstand der Kinder steht, glaubt Dressel.

Letztendlich müsse die Politik nach Auswertung der Ergebnisse des Pilotprojekts eine Entscheidung treffen, von welcher jetzt schon klar sei, dass dieses einigen Schülern zugute kommen werde – und anderen Schülern wiederum nicht. "Egal, welches Modell gewählt werden wird, für uns ist es wichtig, jeden einzelnen Schüler intensiv durch die Grundschulzeit zu begleiten und wertschätzend zu behandeln", macht der Schulleiter deutlich.

Leistungsorientierte Gesellschaft

Auch Fenke Härtel, Rektorin der Neckarschule in Schwenningen, hält das Konzept "Schule ohne Noten" nicht für abwegig. Die Grundschule sei selbst kein Teil des Pilotprojekts, "weil wir derzeit eine Fülle von Schulentwicklungsthemen bearbeiten, die für unsere Schule von großer Bedeutung und Wichtigkeit sind".

Sie stelle sich jedoch die Frage, ob ein Lernen ohne Notendruck und somit auch ohne Leistungsdruck überhaupt realistisch ist in einer leistungsorientierten Gesellschaft. "Schule ohne Noten wäre für alle Schüler unserer Schule, für jeden Auszubildenden und für jeden Studierenden schön", mutmaßt die Schulleiterin.

Solange es aber noch Noten gibt, sei es wichtig, auf welche Art und Weise die Lehrkräfte und Eltern einem Kind seine Leistungsbeurteilung mitteilen. Hierbei sei es wichtig, die Schüler zu "motivieren, wertzuschätzen und anzuspornen", statt diese zu "diffamieren, auszugrenzen oder Druck auszuüben."

Selbstmotiviertes Lernen ohne Druck

Bei der Schwenninger Rudolf-Steiner-Schule, der Schule mit Waldorfpädagogik, ist das Konzept einer "Schule ohne Noten" nichts neues. Mit Ausnahme der Prüfungsklassen werden die Schüler nicht von Eins bis Sechs bewertet, sondern erhalten eine schriftliche Beurteilung ihrer erbrachten Leistungen. "Eine schriftliche Bewertung hat eine größere Aussagekraft, der ganzheitliche Blick auf das Individuum kann so viel besser dargestellt werden", meint Schulleiterin Kerstin Schmieder.

Bei der freien Waldorfschule gehe es hauptsächlich um die individuellen Fähigkeiten der Schüler – und dies ganz ohne Notendruck. Das staatliche Schulsystem sei ein "sehr leistungsbezogenes, extrinsisch motiviertes Lernen", sagt die Schulleiterin. "Ein Schulsystem ohne Noten setzt hingegen auf ein selbstmotiviertes, intrinsisches Lernen."

Ob in der Zukunft auch staatliche Grundschulen auf Noten verzichten werden, wird sich zeigen. Nach Beendung des dreijährigen Projekts soll eine wissenschaftliche Auswertung erfolgen. Wie diese ausfällt, bleibt abzuwarten.