Frühförderung hat für  Landesregierung Vorrang - zuerst benötigt sie mehr Fachkräfte

Stuttgart - Erzieherinnen sind gefragt. Die Landesregierung rechnet bis 2013 mit einem zusätzlichen Bedarf von 7500 Stellen - vor allem für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren.

Wenn Petra Kilian noch einmal vor der Berufswahl stünde, würde sie wieder Erzieherin werden. "Es ist abwechslungsreich und anspruchsvoll, mit Kindern zu arbeiten", sagt die 53-jährige Kindergartenleiterin. Doch zu wenige Frauen - und Männer - entscheiden sich für diesen Beruf. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass in den nächsten Jahren Fachkräfte fehlen werden. Bundesweit sind bereits 5000 Stellen unbesetzt. Mitarbeiter des Stuttgarter Jugendamts werben bei Fachschulen in der Region mit Stellenangeboten. Bayerns Landeshauptstadt lockt sogar mit einer Zulage und bietet Schnupperwochenenden in München für interessierte Frauen und Männer aus anderen Bundesländern an.

Der Bedarf steigt - nicht nur, weil Erzieherinnen in den Ruhestand gehen und die Fluktuation in diesem Bereich ohnehin hoch ist. Ab August 2013 haben auch Ein- und Zweijährige einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz, die Kommunen müssen bis dahin Plätze für 35 Prozent der Kleinkinder schaffen. Derzeit fehlen in Baden-Württemberg mehr als ein Drittel der dafür nötigen 91800 Plätze. Die neue Landesregierung rechnet damit, dass allein dafür 7500 zusätzliche Stellen für Erzieherinnen zu besetzen sind. Derzeit sind laut Kultusministerium rund 63700 Mitarbeiterinnen in Kindertageseinrichtungen beschäftigt, darunter etwa 54500 im pädagogischen Bereich und 1139 in Leitung und Verwaltung.

Doch damit nicht genug. Auch für die Drei- bis Sechsjährigen in den Kindergärten wird mehr Personal gebraucht, denn viele Halbtagseinrichtungen sollen künftig ganztägig geöffnet sein - und größtenteils auch in den Ferien. Damit soll es zum einen Eltern erleichtert werden, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Vor allem aber sollen Kinder, deren Eltern keinen oder einen niedrigen Bildungsabschluss haben, früher und besser gefördert werden, damit sie bei Schulbeginn nicht hinter den Gleichaltrigen zurückbleiben. "Frühkindliche Bildung und eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung haben für uns höchste Priorität", kündigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann in seiner Regierungserklärung im Mai an - und versprach den kommunalen Landesverbänden und Kindergartenträgern einen Pakt zur Finanzierung der zusätzlichen Fachkräfte.

Rahmenbedingungen

Um gute Erzieherinnen zu gewinnen und langfristig zu binden, müssten die Rahmenbedingungen verbessert werden, sagt Petra Kilian, die auch stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ist. Dass der Beruf bei jungen Frauen und Männern wenig begehrt ist, hänge auch damit zusammen, dass die Bezahlung nicht angemessen sei.

In den vergangenen Jahren habe es bei den Erzieherinnen viele Einschränkungen gegeben, bemängelte auch die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe, die in der vergangenen Woche in Stuttgart tagte. So seien etwa Vor- und Nachbereitungszeiten weggefallen, gleichzeitig seien die Erwartungen an die Erzieherinnen deutlich gestiegen. Sie sollen sicherstellen, dass Kinder gut auf die Schule vorbereitet sind, mit ihnen spielen, experimentieren, musizieren, sie beobachten und ihre Entwicklung dokumentieren und vieles mehr. Ein großes Thema ist auch die Sprachförderung, weil viele Kinder aus Einwandererfamilien zu Hause kein Deutsch sprechen. "Das ist kein Problem, wenn die Kinder früh zu uns kommen und unsere Gruppen nicht zu groß sind", sagt Kilian. Allerdings müssten die Erzieherinnen darauf auch vorbereitet sein.

Seit kurzem bieten pädagogische Hochschulen und Fachhochschulen im Land Studiengänge zu früher Bildung und Frühförderung an. Allerdings ist noch unklar, wo die Absolventen künftig eingesetzt werden. Denn als Erzieherinnen sind sie vielen Kindergartenträgern zu teuer, als Leiterinnen zu unerfahren, wenn sie direkt von der Hochschule kommen. "Wir werden die Probleme nicht kurzfristig lösen können, sondern müssen an vielen Stellschrauben drehen", sagt Frank Mentrup, Staatssekretär im Kultusministerium. Auch die berufsbegleitende Weiterbildung müsse ausgebaut werden.