Foto: dpa

Die Schullandschaft in Baden-Württemberg gleicht derzeit einer Großbaustelle: Neue Schulen entstehen, bestehende bangen um ihre Zukunft. Viele Lehrer und Eltern vermissen einen Bauplan.

Stuttgart - Die Landesregierung hat ehrgeizige Pläne: Sie will mit der neuen Gemeinschaftsschule erreichen, dass die Bildungschancen von Kindern nicht mehr von ihrer sozialen Herkunft abhängen. Doch jede Änderung im Schulsystem hat Folgen für andere Bereiche. Lehrer, Eltern, Kommunen und die Opposition im Landtag werfen Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) vor, sie habe die Nebenwirkungen zu wenig im Blick. Für weiteren Unmut sorgt die Ankündigung, dass bis 2020 insgesamt 11 600 Lehrerstellen wegfallen sollen.

Gemeinschaftsschulen

„Unsere bildungspolitischen Ziele lassen sich in der Gemeinschaftsschule für alle Kinder bis Klasse 10 am besten erreichen“ heißt es im Koalitionsvertrag vom Mai 2011. Nach der vierten Klasse sollen Kinder nicht auf unterschiedliche Schularten verteilt werden, sondern zusammen an der Gemeinschaftsschule lernen und den bestmöglichen Abschluss erreichen – bis hin zum Abitur. In diesem Schuljahr starteten 42 Gemeinschaftsschulen, für das nächste Schuljahr haben sich 120 Schulen – überwiegend Haupt- und Werkrealschulen beworben. Das löst Unruhe aus. Weil die Schülerzahlen sinken, wächst die Konkurrenz zwischen Schulen und zwischen Gemeinden. Voraussetzung für die Gemeinschaftsschule ist, dass Schulen langfristig mindestens 40 Schüler und damit zwei Klassen pro Jahrgang haben, allerdings soll es Ausnahmen geben CDU und FDP fordern eine regionale Schulplanung, bevor neue Gemeinschaftsschulen genehmigt werden.

Regionale Schulplanung

Weil seit diesem Jahr Eltern entscheiden, welche weiterführende Schule ihr Kind besucht, gibt es an einem Viertel der Haupt- und Werkrealschulen keine fünfte Klasse mehr – diese Schulen werden kaum überleben. Wer jetzt Gemeinschaftsschule wird, könnte es hingegen schaffen. Eigentlich sollte nach der Sommerpause geregelt werden, wer über die künftigen Standorte entscheidet. Weil sich Grünen und SPD wochenlang stritten, verzögerte sich die Entscheidung. Voraussichtlich wird die Entscheidung bei den Staatlichen Schulämtern und Regierungspräsidien liegen, die mit den Kommunen eine Lösung finden sollen.

Realschulen

Die Realschulen fühlen sich zwischen allen Stühlen – insbesondere,seitdem die Landesregierung von einem Zwei-Säulen-Modell mit Gymnasium und Gemeinschaftsschule spricht. Viele wollen sich das Gemeinschaftsschulmodell, das unter anderem Ganztagsschule vorsieht, nicht aufzwingen lassen. Nötig sei eine veränderte Gemeinschaftsschule, in die die Besonderheiten der Realschule einfließen müssten, fordert der Vorsitzende der Realschulrektoren, Eberhard Schweizer.

Gymnasien

Viele Gymnasien fühlen sich überfordert, weil sie jetzt auch Schüler aufnehmen müssen, die keine Empfehlung für das Gymnasium haben. Dazu kommt noch die Diskussion um die Wiedereinführung von neunjährigen Gymnasialzügen. Bisher gilt, dass in diesem und im nächsten Jahr insgesamt 44 Gymnasien neunjährige Züge einrichten – das heißt eines pro Kreis. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel würde gern bis zu 120 Gymnasien diese Möglichkeit einräumen, die Grünen lehnen das ab und verlangen Nachbesserungen am achtjährigen Gymnasium. Der Landeselternbeirat fordert, den Elternwillen ernst zu nehmen. Drei Viertel der Eltern würden ihren Kindern gern ein Jahr mehr Zeit bis zum Abitur lassen.

Inklusion

Kinder mit und ohne Behinderungen sollen gemeinsam unterrichtet werden, wenn Eltern dies wünschen – so das Ziel. Doch der zum Jahresende geplante Gesetzentwurf steckt noch in den Anfängen. Damit wird sich der Rechtsanspruch betroffener Kinder voraussichtlich um ein weiteres Jahr verzögern – für Betroffene ein Rückschlag.

Bildungspläne

Bis 2015 sollen neue Bildungspläne vorliegen, daran sollen sich auch interessierte Bürger beteiligen können. Die Gymnasien warnen vor Einheitsplänen, die zu einem Niveauverlust führen würden, das Ministerium verweist darauf, dass es sich an die Vorgaben der Kultusministerkonferenz hält.

Pädagogische Assistenten

Seit 2008 gibt es an den Grund-, Haupt- und Werkrealschulen Pädagogische Assistenten, die die Lehrer unterstützen sollen. Die Verträge gelten jetzt zwar unbefristet, allerdings werden sie aus Mitteln für Lehrerstellen finanziert, die deshalb fehlen.

Personal

In den vergangenen Wochen hat Kultusministerin Warminski-Leitheußer immer wieder Veranstaltungen kurzfristig abgesagt. Das nährt bei vielen den Verdacht, dass sie keine Lust auf ihre Arbeit habe. Im Dezember könnte es einen ersten Wechsel geben, falls Staatssekretär Frank Mentrup zum neuen Oberbürgermeister von Karlsruhe gewählt wird. Als möglicher Nachfolger wird der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Fulst-Blei genannt.