Sie wollen Adidas wieder ein Fundament geben: Finanzchef Harm Ohlmeyer (links) und Geschäftsführer Björn Gulden Foto: AFP/Christof Stache

Deutschlands führender Sportartikler blickt auf ein katastrophales Jahr zurück – und 2023 hat Adidas noch Schlimmeres vor sich. Der Konzern besteht praktisch nur aus Baustellen.

Eine so skurrile Debatte ist wohl noch bei keinem deutschen Dax-Konzern geführt worden. „Wir können die Ware vernichten oder verschenken oder verkaufen und den Erlös spenden“, zählt Björn Gulden die trüben Optionen auf. Der seit sieben Wochen amtierende Adidas-Chef spricht von mehreren Millionen Paar Edelsportschuhen der Submarke Yeezy in einem potenziellen Umsatzvolumen von 1,2 Milliarden Euro. Sie sind Teil des schweren Erbes, das er mit seiner Amtsübernahme bei der Marke mit den drei Streifen angetreten hat. Die Schuhe sind das Überbleibsel einer Ende 2022 spektakulär beendeten Kooperation von Adidas mit dem antisemitischen US-Skandalrapper Kanye West. Aber sie sind nicht das einzige Problem des Konzerns.

 

Ausgerechnet Lokalrivale Puma legt zu

Dazu kommen massive Einbrüche in China, übervolle Lager dort und in den USA, zum Abverkauf nötige Rabatte, hohe Kosten für strategische Neujustierung, der Abschied aus Russland und und und. In der Summe: ein Fiasko. Statt geplanter 20 Prozent Umsatzwachstum im Jahr 2022 stand am Ende ein marginales Plus von einem Prozent auf 22,5 Milliarden Euro. Der Gewinn aus fortgeführtem Geschäft verfiel von 1,5 Milliarden Euro auf 254 Millionen Euro.

Dabei war 2022 ein Jahr mit Fußball-Weltmeisterschaften sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern sowie den Olympischen Spielen – ein Zusammentreffen von Terminen, das normalerweise die Kassen klingeln lässt. Das gilt umso mehr, als Adidas mit Argentinien das Team der neuen Weltmeisterelf ausrüstet.

Für den kleineren Lokalrivalen Puma, dessen Chef Gulden 2022 noch war, war es dagegen ein Rekordjahr. Die Puma-Umsätze wuchsen um jenes Fünftel, das Adidas sich vorgenommen hatte, auf knapp 8,5 Milliarden Euro. Der operative Gewinn legte ähnlich stark auf 641 Millionen Euro zu – was das Debakel bei Adidas noch wuchtiger macht.

Drei wichtige Gewinnquellen sind versiegt

Am verheerendsten wirkt fraglos das Fiasko mit Kanye West, der sich selbst nur noch Ye nennt und zuletzt durch antisemitische Äußerungen in Serie dafür gesorgt hatte, dass Adidas die enorm lukrative Kooperation mit ihm 2022 beendete – spät, wie Kritiker bemängeln. Von ihm entworfene und von Adidas verkaufte Yeezy-Schuhe kosten pro Paar mehrere Hundert Euro und sind margenstark. 600 Millionen Euro hat das Aus der Zusammenarbeit die Franken allein voriges Jahr gekostet, weil die Edeltreter im Weihnachtsgeschäft nicht mehr verkauft wurden und nun in Lagern weltweit verteilt auf ihre finale Bestimmung warten.

Einen zweiten Tiefschlag brachte das China-Geschäft, wo Gulden-Vorgänger Kasper Rorsted 2022 auf eine Erholung spekuliert hatte. Was kam, waren noch tiefere Einbrüche um die Hälfte allein im Abschlussquartal 2022. Auf das Gesamtjahr gerechnet betrug der Umsatzschwund in China über ein Drittel. Dazu kommt der Rückzug aus Russland in Folge des Ukraine-Krieges. Die Geschäfte dort machten einst drei Prozent der Adidas-Umsätze weltweit aus. Das Kanye-West-Debakel, das eingebrochene China-Geschäft sowie der Ukraine-Krieg: Drei wichtige Gewinnquellen für Adidas sind innerhalb eines Jahres versiegt, wie Finanzchef Harm Ohlmeyer betont.

Der Karren steckt tief im Dreck – auch intern

Sollten zudem die vielen Millionen Paar Yeezy-Schuhe am Ende vernichtet werden, würde das im laufenden Jahr neben entgangenem Milliardenumsatz eine halbe Milliarde Euro an Abschreibungen auslösen. Zusammen mit 200 Millionen Euro für strategische Veränderungen würde das Adidas 2023 erstmals seit Jahrzehnten in die Verlustzone treiben, räumten Gulden und Ohlmeyer ein. Im günstigsten Fall bringe das Jahr eine schwarze Null, im schlimmsten Fall 700 Millionen Euro Betriebsverlust.

Gulden versucht es nun mit Psychologie und Appellen an das Wir-Gefühl. „Wir haben alle Zutaten, um erfolgreich zu sein“, sagte er über seinen neuen Arbeitgeber. Er nennt ihn wie ein auf die schiefe Bahn geratenes Familienmitglied mit Zuneigung und Tadel in der Stimme „Adi“. Zugleich räumt er ein, dass die nächsten Monate erst einmal die Lager geräumt werden müssen, was nur mit hohen Rabatten möglich sei. „Wir müssen dieses Jahr ein Fundament bauen, um 2024 und 2025 wieder erfolgreich zu sein“, sagt Gulden. Dazu müsse auch die Adidas-Kultur wiederbelebt werden. All das lässt ahnen, wie tief der Karren auch intern im Dreck steckt. „Wir brauchen Zeit, um das Richtige zu tun“, sagt Gulden. Klar ist: Schnell und leicht wird die Trendwende nicht.