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Neue Bibliothek im Europaviertel soll ein Musterbeispiel für Energieeffizienz werden.

Stuttgart - Trotz kalt wirkender Betonfassade mit Glasbausteinen: Die neue Bibliothek im Europaviertel soll ein Musterbeispiel für Energieeffizienz werden. Verbrauchen soll der neue Medientempel nur etwa halb so viel Wärme und Strom, wie eine - inzwischen überholte - Einsparverordnung zugesteht.

Über Architektur-Geschmack lässt sich streiten - über Energieeffizienz nicht. Nach einem Bericht dieser Zeitung über die Fassadengestaltung der neuen städtischen Bibliothek entzündeten sich in Internetforen Diskussionen über deren Erscheinungsbild. Betonwände und Glasbausteine würden das würfelförmige Gebäude des koreanischen Architekten Eun Young Yi zum Hochbunker und Bücherknast machen, wurde teils polemisch kritisiert.

Bibiliothek bleibt unter Zielmarke des Gemeinderats

Zugleich vermuteten Kommentatoren, dass der 79 Millionen Euro teure Medienkubus hinter dem Hauptbahnhof ein Energiefresser sei. Durch die von Architekt Yi gewollt introvertierte Fassade könne nur wenig Sonnenlicht einfallen. Bücherwürmer müssten mit Kunstlicht leben, was den Stromverbrauch in die Höhe treibe.

In energetischer Hinsicht werde die extravagante Bibliothek nur Wohlgefallen auslösen, liefert dagegen Hans Repper Fakten. "Das Gebäude ist energetisch vorbildlich", sagt der Projektleiter des städtischen Hochbauamts. Ingenieurbüros stellen Yis Betonwürfel ein gutes Energiezeugnis aus. "Das Gebäude unterschreitet die Vorgaben der Energieeinsparverordnung (EnEV) von 2004 um rund die Hälfte", bestätigt auch Jürgen Görres vom städtischen Umweltamt. Demnach soll der Bibliotheksbetrieb rund 45 Prozent weniger Primärenergie benötigen als zugestanden.

An Wärmeenergie wird das Gebäude rund die Hälfte der erlaubten Marge verbrauchen. Damit bleibt die Bibliothek auch unter der Zielmarke des Gemeinderats, die eine 40-prozentige Unterschreitung der EnEV-Werte bei städtischen Neubauten anpeilt. Allerdings beziehen sich alle Werte auf die alte EnEV. Die aktuelle Verordnung von Oktober 2009 - da war der Würfel schon im Bau - verlangt eine nochmals um rund ein Drittel bessere Betriebseffizienz.

Stromverbrauch von 700 Zweipersonenhaushalten

Auch die aktuellen Vorgaben wird die neue Bibliothek noch unterschreiten. Unterem anderem aufgrund ihrer Bauart mit zwei Fassadenhüllen, deren Zwischenraum begehbar ist. "Der große Galeriesaal wird durch eine transparente Decke erhellt", schildert Repper. Um den Saal herum sind an den Außenwänden Büro- und Funktionsräume platziert. Die Öffnungen der Glasbausteinfassade erlauben den Lichteinfall. "Büronutzung ist tagsüber ohne Zusatzbeleuchtung möglich", verspricht Projektleiter Repper Stromsparbetrieb.

Die gläserne Innenhülle dämmt das Gebäude vor allem gegen Wärmeverluste. Heizwärme bezieht die Bibliothek aus dem Untergrund, für die Geothermieanlage wurden 94 Erdpfähle in die Tiefe gerammt. Die vor sechs Wochen begonnene benachbarte Wohnbebauung (Pariser Höfe) mit 242 Mietwohnungen setzt dagegen auf Fernwärme.

Verteilt wird die Wärme über Wandprofile. Zusätzlich gibt es auf Teilflächen Fußbodenheizung. "In Gebäuden mit viel Publikumsverkehr und vielen Computern ist die Kühlung die eigentliche Herausforderung", sagt Repper. Die Wärmequellen Mensch und Maschine verlangen, dass schon bei relativ moderaten Außentemperaturen energieaufwendig klimatisiert wird. Die Heizschlangen in Fassaden und Fußboden verwandeln sich bei Bedarf in Kühlschlangen, durch die kaltes Wasser fließt.

Stromverbrauch von 700 Zweipersonenhaushalten

Zudem sollen die Betonbauteile tagsüber die Wärme der Raumluft aufnehmen, um sie nachts wieder langsam ins Gebäudeinnere abzugeben. Auf dem Flachdach soll eine 300 Quadratmeter große Fotovoltaikanlage nicht nur umweltfreundlich Strom liefern. Die Module dienen auch als Sonnenschutz für den darunter liegenden Lesesaal.

Auch wenn sich die Ingenieure bemühen, alle Wärme- und Kälteschlupflöcher zu schließen - die innere Glashaut soll durchlässig bleiben. "Besucher und Mitarbeiter können Schiebetüren öffnen, um frische Luft zu tanken", betont Repper. Natürliche Beleuchtung und Belüftung seien eine Besonderheit im heutigen Hochhausbau, unterstreicht der Projektleiter.

In der Planung ist schon vor der Eröffnung im Herbst 2011 der genaue Energiehunger des Gebäudes berechnet. "Der jährliche Strombedarf beträgt 1,958 Millonen Kilowattstunden", sagt Repper. Das entspricht dem Verbrauch von rund 700 Zweipersonenhaushalten. An Heizwärme soll das Gebäude mit knapp 100.000 Kubikmeter Rauminhalt exakt 757.831 Kilowattstunden (kWh) benötigen.

Aussagekräftiger als absolute Verbrauchszahlen sind Kennwerte, die den jährlichen Energiebedarf auf die nutzbare Fläche in Bezug setzen. "Bei Strom betragen sie 83,7 kWh und bei Wärme 32,4 kWh pro Quadratmeter", sagt Repper. Damit steht die neue Bibliothek besser als vergleichbare Bauprojekte da. Wesentlich schneller rotieren die Stromzähler im neuen Stadtarchiv im Cannstatter Bellingweg, dessen Eröffnung im Herbst geplant ist. Im denkmalgeschützten Backsteinensemble schraubt vor allem die Klimaanlage den Stromverbrauch auf 224 kWh pro Quadratmeter hoch. Schlusslicht in Sachen Energieeffizienz bleibt das 2005 eröffnete städtische Kunstmuseum. Im ersten Jahr zog der Kunsttempel pro Quadratmeter 323 kWh aus den Steckdosen. Das war viermal so viel, wie die EnEV effizienten Museumsbauten zugestand. Durch Optimierung der Klimatechnik konnte der Verbrauch inzwischen unter 300 Kilowattstunden gedrückt werden.