Städte wie Stuttgart werden immer voller: Die Bevölkerungszahl ist so hoch wie noch nie seit Gründung des Landes. Foto: Kraufmann

Stuttgart, Freiburg und Karlsruhe gewinnen, Freudenstadt, Rottweil und Calw verlieren Bewohner.

Oberndorf - Noch legt der Südwesten insgesamt an Einwohnern zu. Doch eigentlich profitieren davon nur die größeren Städte. Je ländlicher eine Region, desto stärker verliert sie.

Gebürtige Baden-Württemberger werden seltener, und doch ist die Bevölkerungszahl so hoch wie noch nie seit Gründung des Landes. Im Jahr 2011 wuchs sie um rund 32.300 auf 10,786 Millionen, wie das Statistische Landesamt gestern in Stuttgart mitteilte.

Alle neun Stadtkreise im Südwesten erzielten einen überdurchschnittlichen Wanderungsgewinn. Zahlreiche Einwanderer aus dem Ausland haben das Geburtendefizit, das auf einem Rekordhoch ist, mehr als ausgeglichen. Im vergangenen Jahr gab es 8900 weniger Geburten als Sterbefälle im Südwesten. 2010 waren noch es 8100. Nur neun der 44 Landkreise verzeichnen ein Geburtenplus.

Von dem hohen Wanderungsgewinn in Baden-Württemberg hat Stuttgart im vergangenen Jahr am meisten profitiert. Nach Berechnungen des Statistischen Landesamts blieben 6209 Menschen mehr in der Landeshauptstadt, als von dort wegzogen. Auch andere Großstädte wie Freiburg (plus 4500) oder Karlsruhe (plus 2900) profitierten von der Zuwanderung. Das gilt ebenfalls für Ludwigsburg (plus 2800) und Esslingen (plus 2500).

»Junge Menschen ziehen zur Ausbildung und zum Studium in die Städte und bleiben dann dort«, beschreibt Landesamtschefin Carmina Brenner den Trend. In den Ballungsgebieten verzeichnen die Statistiker außerdem noch ein Geburtenplus: In Stuttgart zum Beispiel gab es 614 Geburten mehr, als es Todesfälle gab – auch das eine Folge der Zuwanderung, da die Neubürger in der Regel jung sind.

Der ländliche Raum verliert

Immerhin haben im vergangenen Jahr 36 der 44 Stadt- und Landkreise von der Zuwanderung profitiert. In acht Landkreisen ist der Saldo von Zu- und Wegzügen jedoch negativ. Das ist zwar gegenüber 2010 nicht mehr ganz so dramatisch, denn damals hatten nur 25 Kreise profitiert. Lässt man die außergewöhnlich hohe Zuwanderung aus dem Ausland 2011 jedoch außer Betracht, müssen sich einige ländliche Regionen ernsthaft Sorgen machen.

So hat etwa der Landkreis Freudenstadt im Nordschwarzwald einen Wanderungsverlust von fast 1000 Menschen zu beklagen. Auch die Kreise Rottweil, Sigmaringen und Calw sowie der Neckar-Odenwald- und der Zollernalbkreis haben das Nachsehen. »Insgesamt setzt der Trend zur Stadt fort«, so Brenners Einschätzung.

Geburtenplus in Städten

Lediglich neun der 44 Stadt- und Landkreise meldeten im vergangenen Jahr noch ein Geburtenplus. In allen anderen starben mehr Menschen, als neue zur Welt kamen. Stuttgart steht mit einem Saldo von plus 614 an der Spitze. Es folgen Freiburg (474), Tübingen (258), Ludwigsburg (218), Böblingen (193) und Heidelberg (189). Das größte Defizit weist laut Statistik Karlsruhe (835) auf. Auch im Rhein-Neckar-Kreis (746), im Ortenaukreis (568), im Ostalbkreis (519) und im Schwarzwald-Baar-Kreis (505) starben im vergangenen Jahr deutlich mehr Menschen, als geboren wurden.
Diese unterschiedlichen Bilanzen seien wesentlich von der Altersstruktur der Bevölkerung beeinflusst, sagte Brenner. Aber auch die Geburtenhäufigkeit, also die durchschnittliche Kinderzahl je Frau, und die unterschiedliche Lebenserwartung bestimmten das Verhältnis von Geburten zu Sterbefällen.

Insgesamt gab es im Südwesten 2011 mit 88.800 Kindern so wenige Geburten wie noch nie seit Bestehen des Bundeslands. Im Jahr 1964, dem Jahr mit der höchsten Geborenenzahl im Südwesten, sind noch rund 161.000 Kinder zur Welt gekommen. Allerdings ging 2011 auch die Zahl der Gestorbenen gegenüber 2011 zurück: Sie sank um rund 1100 auf etwa 97.700.

Die Folgen der Öffnung

Nach Einschätzung von Brenner bleibt die Zuwanderung in den nächsten Jahren auf einem hohen Niveau. Die Chefin des Statistischen Landesamts bringt dies nicht nur mit der momentan guten Arbeitsplatzsituation im Südwesten in Verbindung, sondern auch mit der vollständigen Öffnung des deutschen Arbeitsmarkts: Seit dem 1. Mai 2011 gilt auch für die neuen Beitrittsstaaten aus Osteuropa wie Rumänien, Polen oder Bulgarien die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit.

Mittel- und langfristig erwarten die Statistiker, dass die Einwohnerzahl im Südwesten zurückgeht. Denn wegen der Altersstruktur der Bevölkerung, in der immer mehr ältere immer weniger jüngeren Menschen gegenüber stehen, werde sich das Geburtendefizit stetig vergrößern.

Die Zahlen sind unsicher

So sicher die Statistiker bei den großen Trends sind, so unsicher zeigen sie sich bei den absoluten Zahlen. Ob Baden-Württemberg Ende 2011 tatsächlich 10.786.200 Einwohner hatte, hängt von der Belastbarkeit der Datenbasis ab – und die ist Jahrzehnte alt. Sie beruht auf der Volkszählung 1987 und kommunalen Quellen. Doch in den Gemeinden gibt es viele »Karteileichen«, viele noch gemeldete Personen sind bereits weggezogen.

»Die Datenbasis ist wohl überhöht«, sagt Brenner und rechnet mit einer Unsicherheit von bis zu 200.000 oder gar 300.000 Menschen bei der Einwohnerzahl von Baden-Württemberg.
Das wird sich erst ändern, wenn die Auswertung der jüngsten Volkszählung vorliegt: Im kommenden Frühjahr wollen die Statistiker diese veröffentlichen.