Wildkamerabild aus der Auswilderungsvoliere im Donautal: Geier Gypsi lässt sich das tote Reh schmecken, das Opfer eines Verkehrsunfalls geworden ist. Foto: Haas

Verletzter Flügel ist geheilt. Jungvogel ist wieder fit. Leben in freier Wildbahn nicht ganz ungefährlich.

Beuron-Hausen im Tal - Wolf und Luchs dominieren die Schlagzeilen; vergleichsweise unbemerkt bleibt dagegen die Rückkehr eines anderen vormals ausgerotteten Wildtieres nach Deutschland: die des Geiers. Am Donnerstag wurde in Hausen im Tal der Gänsegeier "Gypsi" ausgewildert.

Gypsi hatte Pech gehabt: Vor etwas mehr als einem Jahr, am 11. Juli 2016, war der dreieinhalb Jahre alte Gänsegeier in die Rotoren einer thüringischen Windkraftanlage hineingeflogen und danach mit schwer ramponierten Schwungfedern und halbverhungert in die Rennsteig-Falknerei im Thüringer Wald gebracht worden. Dort wurde er unter behördlicher Aufsicht gesund gepflegt, war gern gesehener Fernsehgast im MDR und nahm erst jüngst tränenreichen und medienwirksamen Abschied von seinen beiden Pflegerinnen: Geier sind keine Schoßtiere; auch Gypsi soll wieder in der freien Wildbahn seine Kreise ziehen.

Wobei das Leben in der freien Wildbahn nicht ganz unproblematisch ist – zumindest in Deutschland. In Spanien und Frankreich, wo Schießprügel und Rattengift der Spezies Geier einst ebenso heftig zusetzten wie in Deutschland, gibt es mittlerweile wieder Populationen von respektabler Größe, denn dort hat man umgedacht und praktiziert einen Artenschutz, der den Bestandszahlen nach und nach wieder auf die Beine hilft. Hierzulande fehlt dazu noch vieles – vor allem Nahrung: Stattliche, wohlgenährte Vögel, die aus Frankreich einfliegen, verwandeln sich innerhalb von wenigen Wochen in ausgemergelte Ruinen, weil es zu wenig Aas gibt. Tote Schafe muss der deutsche Schäfer selbst beseitigen, die zahlreichen Opfer des Straßenverkehrs entsorgen Straßenmeisterei oder Jäger, und zwar so, dass der Geier gar nichts davon hat.

Dabei, so Dieter Haas aus Pfeffingen, Vorstandsmitglied der Geierschutzinitiative GESI und ausgewiesener Fachmann in Sachen Geier, wäre nichts einfacher, als verendete Tiere an exponierten Orten mit guter Sicht zu deponieren, die für Geiermahlzeiten in Betracht kommen – Geier haben ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis; zu vielbefahrenen Bundesstraßen halten sie, anders als etwa Bussarde, respektvolle Distanz. Dass solche Kirrplätze für Geier unhygienisch oder gar Seuchenherde sein könnten, bestreitet Haas: "Geier sind die wirksamste Beseitigungstruppe, die die Natur kennt."

Immerhin, inzwischen gibt es in der Region eine solche Geier-Oase, nämlich ein von der GESI unterhaltenes Optimalbiotop für Gänsegeier im oberen Donautal – und so wandten sich die Thüringer Behörden und Ornithologen, an Dieter Haas, als Gypsi wieder genesen war und seine Auswilderung anstand. Gänsegeier haben viele Jahrhunderte lang an der oberen Donau gebrütet, immature Vögel machen dort auch heute noch gerne "Stippvisite" auf ihren natürlichen Wanderungen. Die Routen lassen sich nachverfolgen: Mittlerweile tragen viele Jungvögel solarbetriebene Sender, zur Absicherung der Auswilderung und für die Zwecke der Zugvogelforschung.

Auch Gypsi führt seit gestern einen mit sich: Zwei Fachleute des Radolfszeller Max-Planck-Instituts für Ornithologie befestigten das streichholzschachtelgroße Gerät auf seinem Rücken, was ihn offensichtlich nicht weiter störte. Danach wurde der Käfig geöffnet, Gypsi bekam sein Frühstück und erhob sich dann gemächlich in die Lüfte. Er drehte eine große Runde über dem Tal und ließ sich im Wipfel einer großen Kiefer nieder. "Dort wird wohl übernachten", mutmaßte Dieter Haas. "Wo er sein Fressen findet, weiß er ja."

Das Fernsehen war auch dabei; der SWR berichtet am morgigen Samstag in seinen Landesnachrichten – Beginn ist um 19.45 Uhr – über Gypsis Flug in die Freiheit. Nicht ganz zufällig ist der 2. September auch der "International Vulture Awareness Day", auf Deutsch "Internationaler Geier-Achtsamkeitstag", an dem in vielen Ländern auf die weltweite Gefährdung und Schutzbedürftigkeit der Geier hingewiesen wird.

Weitere Informationen: Dieter Haas, Zillhauser Straße 36, 72459 Albstadt, Telefon 07432/3021, Mobil 01714683704, E-Mail dghaas@web.de