Die Betriebsrenten sind den IBM-Mitarbeitern nicht hoch genug Foto: dapd

Früher lockte die IBM mit Betriebsrenten Fachkräfte. Die klagen nun um eine Erhöhung. 

Stuttgart/Wiesbaden - Mit satten Betriebsrenten hat die Industrie jahrzehntelang versucht, Fachkräften den Berufseintritt zu versüßen. Heute sind die fetten Jahre vorbei, und die Unternehmen tragen schwer an den Rentenlasten. Mit fragwürdigen Mitteln versuchen sie, die Zahlungen zu drücken.Beispiel IBM: Für seine Mitarbeiter legt der IT-Konzern hohe Maßstäbe an. Von allen werde erwartet, dass sie "stets dem Gesetz und den Prinzipien der geschäftlichen Ethik folgen", heißt es in den Firmenleitlinien. Das Unternehmen selbst scheint sich daran nicht immer zu halten. Das zumindest ist die Ansicht Hunderter ehemaliger IBM-Mitarbeiter, die gerade gegen die Ehninger IBM-Deutschland gerichtlich zu Felde ziehen. Der Grund: Die Rentner fühlen sich um Teile ihrer Bezüge geprellt.

Über mehrere Jahre, so der Vorwurf, habe der Konzern die Altersbezüge der Ruheständler nicht nach geltendem Recht angepasst. Dem Einzelnen seien dadurch Rentenerhöhungen von rund 20 bis mehreren Hundert Euro pro Monat durch die Lappen gegangen. In Einzelfällen gehe es um bis zu fünfstellige Summen, die sich über die Jahre aufaddiert hätten, sagt Katrin Birmes, die für die Stuttgarter Kanzlei Schmid, Kunz, von der Heydt viele Kläger vertritt. Mindestens 300 Fälle lägen aktuell auf ihrem Schreibtisch. Mit rund 200 Fällen beschäftige sich derzeit die Stuttgarter Justiz, heißt es vom Landesarbeitsgericht. Vor mehreren anderen Gerichten überall in Deutschland liegen schätzungsweise weitere 200 Fälle. IBMs Rentner - sie proben den Aufstand.

Die streitige Materie ist dabei ziemlich komplex. Nach deutschem Recht müssen Betriebsrenten in regelmäßigen Abständen der Kaufkraftentwicklung im Land angepasst werden. Dadurch soll verhindert werden, dass die Ruhegehälter etwa durch Inflation schleichend entwertet und die Rentner im Vergleich zum arbeitenden Teil der Bevölkerung benachteiligt werden.

Jahrelang hat IBM die Renten nach der Inflation angepasst, dann plötzlich nach der Reallohnentwicklung - denn die war niedriger  

Im Allgemeinen schreibt das Betriebsrentengesetz daher eine Anpassung der Bezüge in Höhe der Inflation vor. In speziell definierten Ausnahmefällen kann sich ein Unternehmen bei der Anpassung der Rentenhöhe auch an der Entwicklung der Reallöhne orientieren. Die Spanne zwischen den beiden Faktoren nutzt nach Angaben von Fachleuten eine Vielzahl von Firmen, um die Zahlungen an ihre Rentner zu drücken. Das Prinzip: Je nach Höhe der Werte passen sie die Renten mal nach der Inflation, mal nach der Reallohnentwicklung an - und sparen sich durch Wahl des niedrigeren Faktors mitunter Millionen Euro.

Der Bundesverband der Betriebsrentner listet auf seiner Webseite eine ganze Reihe namhafter deutscher Unternehmen auf, die das Problem steigender Aufwendungen für Rentner mit ähnlichen Mitteln angehen. Darunter sind Namen wie die Commerzbank, Continental, RWE, Thyssen-Krupp, Ford oder Daimler oder eben IBM. Nachdem die Ehninger die Renten jahrelang nach der Inflation angepasst hatten, schwenkten sie 2008 und 2009 zur Reallohnanpassung über. Begründung: In Zeiten der Krise, in denen die Arbeitnehmer teils harte Einschnitte zu verkraften hätten, müssten sich auch die Renten an der niedrigen Reallohnentwicklung orientieren.

In einem Urteil vom März dieses Jahres verwarf das Landesarbeitsgericht Stuttgart (LAG) diese Argumentation vor allem mit der Begründung, der von der IBM gewählte, relativ kurze Erfassungszeitraum für die Reallohnentwicklung sei ungeeignet, die individuelle Versorgungslage der klagenden Ruheständler korrekt zu ermitteln. Für drei Jahre hatte die IBM eine Rentenerhöhung von gerade mal 1,57 Prozent festgelegt. Revision ließen die Stuttgarter Richter nicht zu. IBM klagte daraufhin gegen die Nichtzulassung der Revision vor dem Erfurter Bundesarbeitsgericht (BAG) und erhielt eine Klatsche: Am 31. August 2010 verkündete der dritte BAG-Senat: "Klage zurückgewiesen!" Damit adelten die Erfurter Richter das Urteil ihrer Stuttgarter Kollegen.

Gewerkschafter kritisieren das Vorgehen des IT-Konzerns als "moralisch äußerst fragwürdig" - die IBM schweigt

Spätestens seit damals habe es sich um einen Präzedenzfall gehandelt, sagt Werner Lohre, Betriebsrentenexperte und IG-Metall-Vorstand in Frankfurt. Die Wirkung des Stuttgarter Urteils sei damit nicht mehr nur auf den Einzelfall beschränkt, sondern strahle im Kern auf alle gleichgelagerten Fälle ab. Spätestens damals hätte die IBM auf ihre Betriebsrentner zugehen und ihnen freiwillig eine Korrektur anbieten müssen, sagt Arbeitsrechtlerin Birmes. Jedoch: Der IT-Konzern hüllte sich in Schweigen. Kritische Nachfragen von Rentnern konterte das Unternehmen mit einem Brief, in dem es seine Entscheidung gegen den BAG-Beschluss aus Erfurt verteidigte und klarstellte, seine Position auch vor Gericht weiter aufrechtzuerhalten.

Für Karlheinz Große, den Chef des Bundesverbands der Betriebsrentner (BVB), ist die Sache klar: "Die IBM duckt sich bewusst weg", sagt er. Durch die Ankündigung, etwaige Einsprüche vor Gericht auszutragen, würden die Rentner abgeschreckt. "Wenn nur wenige Prozent der geschätzten 15000 Betroffenen klagten, käme das die Firma schlicht billiger, als deren Ansprüche offensiv anzuerkennen", sagt er. Und das selbst, wenn beinahe alle Rentner die juristische Auseinandersetzung gewinnen, was nach Angaben aus Justizkreisen der Fall ist.

Die IBM gehe in Sachen Betriebsrenten jetzt offenbar "völlig den Weg der Konfrontation", heißt es auf den Gängen der Stuttgarter Arbeitsgerichte. Und das, obwohl die Urteile verschiedener Landesarbeitsgerichte zu den strittigen Betriebsrenten mehrfach vom BAG bestätigt worden seien. IG-Metall-Experte Lohre hält das Vorgehen der IBM denn auch für "moralisch äußerst fragwürdig". So gehe man mit seinen ehemaligen Mitarbeitern nicht um. Von der IBM selbst, die Ethik und Moral in ihren Firmenleitlinien hochhält, heißt es nur: "In Sachen Betriebsrenten kein Kommentar."