Die SPD muss den Verfassungsstreit ums Betreuungsgeld in Karlsruhe unter sich austragen. Kurios: Ein Genosse trifft dort sogar auf sich selbst.
Stuttgart - Ein bisschen erinnert das Ganze an den berühmten Film „Kramer gegen Kramer“: Wenn vor dem Bundesverfassungsgericht am Dienstag über Sinn und Unsinn des Betreuungsgeldes geredet wird, streiten zwar nicht zwei Eheleute um das Sorgerecht für ihren Sohn, aber es kämpfen eben doch Mitglieder derselben Familie gegeneinander: Der Stadtstaat Hamburg mit Bürgermeister Olaf Scholz an der Spitze tritt an gegen Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig. SPD also gegen SPD.
Der eine ist aus Überzeugung gegen die als „Herdprämie“ verspottete Maßnahme. Die andere muss von Amts wegen das Betreuungsgeld verteidigen, das die CSU in der Großen Koalition gegen den Willen der SPD durchgesetzt hat und für das Schwesigs Ministerium jedes Jahr rund 900 Millionen Euro bereithält.
Schaut man näher hin, ist das Ganze sogar noch kurioser: Im Grund kämpft in Karlsruhe ein Mann gegen sich selbst. Der Mann heißt Ralf Kleindiek (49). Als Staatsrat in Hamburg hat der Genosse vor über zwei Jahren die Verfassungsklage der Hansestadt gegen das Betreuungsgeld maßgeblich mit vorbereitet. Inzwischen ist er zum beamteten Staatssekretär bei Schwesig aufgestiegen. Ausgerechnet er soll nun in dieser Eigenschaft bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe das Gesetz verteidigen, gegen das er noch vor nicht allzu langer Zeit zu Felde zog.
"Das ist ein klassischer Interessenkonflikt"
Eine Personalentscheidung, die die CSU-Landesgruppe im Bundestag in Alarmstimmung versetzt hat: „Wenn derjenige, der maßgeblich die Klage gegen das Betreuungsgeld konzipiert hat, jetzt für die Bundesregierung das Betreuungsgeld verteidigen soll, ist das ein klassischer Interessenkonflikt“, sagt die Chefin der Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt. „Ich erwarte, dass Staatssekretär Kleindiek seiner Aufgabe gewissenhaft nachkommt und alle nötigen Argumente gegen die Klage von Hamburg vorbringt“, so Hasselfeldt weiter. „Ministerin Schwesig ist in der Pflicht, das sicherzustellen.“
Es geht also wild durcheinander in Karlsruhe. Da darf dann auch Baden-Württembergs Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) ihrer Parteifreundin Schwesig für die Verhandlung alles Schlechte wünschen. „Ich würde mich freuen, wenn das Bundesverfassungsgericht das Gesetz kippen würde“, sagt sie.
Ihrer Ansicht nach sollte der Staat die 900 Millionen Euro im Jahr besser in den Ausbau der Kinderbetreuung stecken. Durch eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung, so Altpeter, werde das Armutsrisiko, von dem zum Beispiel Alleinerziehende überdurchschnittlich häufig betroffen seien, nachweislich gesenkt.
Grundrechte von Kindern in sozial schwachen Familien verletzt?
Hamburg wird gegen das Betreuungsgeld unter anderem zwei Argumente vorbringen: Zum einen mische sich der Bund hier auf unzulässige Weise in die Gesetzgebungskompetenz der Länder ein. Dies dürfe er laut Grundgesetz nur, um bundesweit „gleichwertige Lebensverhältnisse“ herzustellen, was im konkreten Fall nicht das Ziel sei. Zum anderen verletze die Maßnahme die Grundrechte von Kindern in sozial schwachen Familien: „Das Betreuungsgeld ist ein massiver Fehlanreiz vor allem für sozial benachteiligte Kinder, die eine frühkindliche Bildung inklusive einer entsprechenden Sprachförderung bräuchten, um ähnliche Startchancen ins Leben zu haben wie gleichaltrige Kinder“, heißt es in der Klagebegründung des Hamburger Senats.
Ob sich die behaupteten negativen Auswirkungen des Betreuungsgeldes allerdings am Dienstag vor Gericht nachweisen lassen, ist fraglich. Welche Familien genau das Familiengeld beantragen, wird aus Datenschutzgründen von den Behörden oder Dienstleistern der Länder nicht erhoben. Bislang können die Kritiker der Maßnahme nur auf eine große Studie verweisen, die vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) und der Uni Dortmund im November letzten Jahres veröffentlicht worden war. Demnach ist die Neigung, Betreuungsgeld zu beantragen, bei Eltern mit Hauptschulabschluss deutlich größer als bei jenen mit höherer Bildung.
Allerdings fand die Befragung von mehr als 100 000 Paaren vor Einführung des Betreuungsgeldes statt. Die tatsächlichen Auswirkungen des Gesetzes will die Bundesregierung erst noch überprüfen lassen. Der entsprechende Bericht war schon einmal für Ende letzten Jahres angekündigt worden. Nun heißt es, er solle bis Ende dieses Jahres dem Bundestag vorgelegt werden. Da könnte es dann allerdings schon zu spät sein. Beobachter erwarten, dass das Verfassungsgericht noch in diesem Jahr über das Betreuungsgeld ein Urteil fällen wird.