Joachim Link (rechts) zeigt Staatssekretär Michael Kellner seine Firma. Foto: Kistner

Besuch von einem Berliner Bekannten hat die Firma Interstuhl bekommen. Michael Kellner, parlamentarischer Staatssekretär im grünen Bundeswirtschaftsministerium, gab seine Visitenkarte in der Tieringer Unternehmenszentrale ab.

Meßstetten-Tieringen - So kann man natürlich auch Ferien machen – Kellner hatte den Termin bei Interstuhl in seinen Winterurlaub gelegt, den er derzeit mit seiner Familie im Feriendorf Tieringen verbringt. Seine Frau kennt diese Adresse seit ihrer Kindheit, und Kellner war auch schon gelegentlich in Tieringen und eingestandenermaßen verblüfft, in einem Dorf in dieser Größe und Lage ein Gewerbegebiet mit so potenten Unternehmen wie Interstuhl und Mattes & Ammann vorzufinden. Aus seinem eigenen brandenburgischen Bundestagswahlkreis Uckermark-Barnim ist er so etwas nicht gewohnt.

In Sachen Ortskenntnis ist allerdings noch Luft nach oben – anders als seine beiden Parteifreunde Markus Ringle und Erwin Feucht, die Oberbürgermeister in Albstadt respektive Balingen werden wollen, pünktlich gekommen waren und den Haupteingang gewählt hatten, erschien Kellner mit Verspätung und durch die Hintertür: Ein echter Grüner geht zu Fuß; der Weg vom einen Ende Tieringens zum anderen war offenbar etwas länger als gedacht, und zu allem Überfluss hatte sich Kellner auch noch im Gassengewirr verlaufen. Kann ja passieren – die Entschuldigung war jedenfalls origineller als die der motorisierten Politikerkollegen, bei denen immer der Stau schuld ist.

Bürokratieschelte bleibt marginal

Eigentlich hatte Michael Kellner bereits im November auf die Alb kommen wollen, um in der Tailfinger Technologiewerkstatt an einer Podiumsdiskussion über Mittelstand und Nachhaltigkeit teilzunehmen. Eine Bundesratssitzung kam ihm dazwischen; Kellner wurde lediglich online mit den Klagen der erregten Unternehmer konfrontiert, und das bei ziemlich schlechter Übertragungsqualität. Diesmal gab es derartige Verständnisprobleme nicht; allerdings wurden Beschwerden wie die über überbordende Bürokratie diesmal nur ganz am Rand laut: Helmut Link, einer von Zweien aus der Interstuhl-Doppelspitze, deutete in einem kaum fünfminütigen Statement an, wie überflüssig für einen schwäbischen Mittelständler Whistleblower-Compliance und wie hinderlich Lieferkettensorgfaltspflicht, Nachhaltigkeitsberichterstattung und der geltende Datenschutzstandard seien.

Margen schrumpfen beängstigend

Andere Themen waren ihm und seinem Bruder Joachim erkennbar wichtiger, allen voran der Anstieg der Energie- und Materialkosten. Ein Hersteller von Bürositzmöbel kann Preiserhöhungen nicht so leicht an seine Kundschaft weitergeben wie ein Tankstellenbetreiber – die Verträge mit der Europäischen Union über die Bestuhlung von Parlament und Kommission stehen und können nicht einfach abgeändert werden, wenn der Strom- oder der Heizölpreis – Gas hat Tieringen nicht – in die Höhe schießt. Das bedeutet geschmälerte Gewinnmargen, und die tun weh; da mag das Auftragsvolumen so groß sein, wie es will. Interstuhl wird, wie Michael Kellner erfuhr, die Dächer seiner neuen Gebäude mit Photovoltaik bestücken, wo immer es geht, und will wahlweise Wärmepumpen oder Holzvergaser einsetzen – Fernwärme vom Schweinemastbetrieb bezieht man bereits. Dass, wie Kellner versprach, bürokratische Hindernisse etwa beim Bau von Windkraftanlagen abgebaut werden sollen, begrüßen die Links auch – aber das aktuelle Problem, dass die teure Energie dem Mittelstand die Luft abdrückt, ist damit nicht gelöst. "Da muss etwas geschehen", forderte Helmut Link. "Wir können nicht mehr lange warten."

Fachkräftemangel wird zum Arbeitskräftemangel

Weitere Wettbewerbsnachteile des Standorts Deutschland: hohe Steuern, hohe Arbeitskosten, Regulierung – auf der Habenseite stehen im Ranking lediglich Infrastruktur und Finanzierung. Ein weiteres Problem wird mit der Zeit immer gravierender werden: der Fachkräftemangel, der, wie Helmut Link betonte, längst ein Arbeitskräftemangel geworden sei. Mit dem Wunsch nach offeneren und flexibleren Regelungen für Einwanderung und Zuzug ausländischer Arbeitskräfte rennt der Mittelstand bei Michael Kellner offene Türen ein; auf die Anregung von Betriebsratschef Lothar Reiser, weniger oder keine Abgaben auf Überstunden zu erheben, reagierte er skeptisch: "Bedeutet das nicht wieder mehr Bürokratie?"

"Wenn das mein Sohn gewusst hätte"

Der Diskussion folgte die Führung durch den Betrieb – besondere Attraktionen waren die "Folterkammer", in der das Material getestet wird, "bis es ächzt", und die Gamer-Throne aus der 2019 entstandenen Produktionslinie Backforce. "Wenn mein Sohn das gewusst hätte, wäre er vielleicht mitgekommen", sinnierte Michael Kellner. Vielleicht beim nächsten Mal – den Weg kennt er ja jetzt.