Die Spuren der italienischen Mafia führen laut Bestseller-Autor Sandro Mattioli auch in die Region Tübingen. Er erklärt, wie die Mafia sichtbar gemacht werden könnte.
Sandro Mattioli ist Journalist, Berater und Autor des Spiegel-Bestsellers „Germafia“. Als Vorsitzender des Berliner Vereins Mafianeindanke engagiert er sich politisch gegen die Italienische Organisierte Kriminalität. Mattioli stammt aus Heilbronn, studierte in Tübingen. Er kennt einen ehemaligen Clan-Boss, Angehörige von Mafia-Opfern, Staatsanwälte und Ermittler. Auch über Tübingen und die Region hat er in Ermittlungsakten gelesen.
In Baden-Württemberg erfolgt nach Angaben des Innenministeriums keine statistische Zuordnung von Delikten zur Italienischen Organisierten Kriminalität. Wie sehen Sie diese Tatsache und fänden Sie eine Statistik über von Mafiaorganisationen verübte Delikte sinnvoll?
Die italienische Mafia und ihre Aktivitäten endlich sichtbar zu machen, wäre sehr gut. Es ist ärgerlich und schlimm, dass das Thema Mafia derzeit in jeder Hinsicht abstrakt bleibt und/oder anonym. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass es in Deutschland keinen Mafia-Paragrafen wie in Italien gibt. Und der deutsche Paragraf 129 nicht dazu taugt, mafiöse Vereinigungen zu bestrafen. Man müsste also hier ansetzen und diesen Paragrafen attraktiver machen, etwa mit höheren Strafen speziell für mafiaähnliche Kriminalität. Dann kämen Statistiken, Sichtbarkeit, Studien und Analysen und journalistische Berichte quasi automatisch hinterher.
Was müsste über die von staatlicher Seite gestarteten Ansätze hinaus passieren, um Mafiaorganisationen hierzulande erfolgreich zu bekämpfen?
Der Oberstaatsanwalt Giuseppe Lombardo ist aktuell der wichtigste Ermittler im Kampf gegen die Mafia. In seiner Ansprache zu einer Lesung aus meinem Buch Germafia in Berlin bezifferte er den Jahresumsatz der ‘Ndrangheta auf 220 Milliarden Euro. Davon fließt auch Geld nach Deutschland, und es ist für mich unerträglich, dass wir nicht mehr Aufwand betreiben, solche Investments aufzuspüren und den Gangstern wegzunehmen. Wir sagen immer, Verbrechen darf sich nicht lohnen. Baden-Württemberg hat jetzt eine Taskforce, gut, aber sonst tun wir kaum was dafür. Wir müssen endlich auf Bundesebene eine taugliche gesetzliche Grundlage schaffen, um verdächtiges Vermögen einzuziehen – im Übrigen ist das auch angesichts von Rekordausgaben des Bundes angebrachter denn je. Die im Koalitionsvertrag angekündigte Beweislastumkehr ist da nur ein Baustein. Wir brauchen auch Ermittlerinnen und Ermittler, die das Know-how und die Befähigung haben, solchem Kapital nachzuspüren.
Die Vision des Vereins Mafianeindanke lautet: „Im Jahr 2028 wissen die Menschen in Deutschland, dass Mafia für sie selbst auch in Deutschland gefährlich ist und verstehen sie als ein System der Ungerechtigkeit. Politische Aktionen und Gesetzesänderungen haben die mafiösen Strukturen geschwächt.” Wie weit sind wir auf diesem Weg?
Mafianeindanke macht sich stark für eine Beobachtungsstelle für organisierte Kriminalität, weil die Datenlage dazu in Deutschland dramatisch schlecht ist. Mit der vorigen Regierung waren wir dazu auf einem guten Weg, man hatte erkannt, dass es nicht genügt, sich auf polizeiliche Daten zu verlassen. Mit dem Scheitern der Regierung mussten auch wir von vorne anfangen. Wir bleiben aber dran, und erste Ergebnisse unserer Bemühungen, belastbare Daten zu schöpfen, zeigen wir bei unserem großen Antimafia-Seminar am 15. November in Berlin. Es sind viele kleine Schritte vonnöten. Manches ist uns bereits gelungen, so haben wir mit kleinen Anfragen an die Regierung immerhin rudimentäre Informationen in den öffentlichen Diskurs eingespeist. Der Weg ist noch weit und wir brauchen auch Mittel, um ihn zu gehen. Leider sind wir auf Ehrenamt und Spenden angewiesen. Ein Verein, der sich gegen die Mafia stellt, ist in Deutschland wohl eine so neue Erscheinung, dass keine öffentliche Förderung vorgesehen ist, zumindest bisher.
Sie schreiben auf der Website von Mafianeindanke, dass ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein nötig sei, um gegen die italienische Mafia zu gewinnen. Was kann die Gesellschaft oder auch jeder Einzelne tun, um im Kampf gegen die Mafia zu helfen?
Ich antworte bei Auftritten immer: Kein Kokain nehmen. Das bringt die Leute zum Lachen, hat aber einen ernsten Kern, denn noch immer bringt die Droge Tag für Tag immense Mengen Geld in die Kassen der Clans. Darüber hinaus sind die Möglichkeiten der Leute begrenzt. Sie können sich informieren, mein Buch kaufen, zu Veranstaltungen zum Thema kommen. Vor Ort lässt sich leider nur wenig ausrichten, denn die Mafia-Clans agieren recht unauffällig und der Datenschutz und allgemein die Rechtslage in Deutschland spielen ihnen zusätzlich in die Karten.
Sie haben in Tübingen studiert und kennen Baden-Württemberg. Kann man sagen, welche der bekannten italienischen Mafiaorganisationen zwischen Tübingen und Stuttgart besonders stark vertreten ist?
Ich bin damals oft mit dem Zug nach Tübingen gefahren, Stuttgart – Esslingen – Plochingen – Wendlingen – Metzingen – Reutlingen – Tübingen. Heute lese ich diese Ortsnamen in Akten: Entlang dieser Strecke reihen sich auch Mitglieder der ‘Ndrangheta auf, vor allem der Clan Farao ist hier sehr stark.
Man geht von etwa 170 namentlich bekannten Mafiamitgliedern in Baden-Württemberg aus. Aber gibt es eigentlich Schätzungen dazu, wie viele Personen oder Unternehmen unfreiwillig mit der Mafia zu tun haben, weil sie beispielsweise erpresst werden?
Nein, solche Schätzungen gibt es nicht. Ich würde die Zahl aber gar nicht so hoch einschätzen. Die häufigste Erpressung scheint mir zu sein, Gastwirten und Händlern Lebensmittel aufzuzwingen. Diese Masche wird rechtlich als eine Nötigung gewertet, die Strafe darauf ist geringer, und deshalb hat sie die klassische Schutzgelderpressung verdrängt. Es zeigt sich, dass diese Masche fast nur in der italienischen Community passiert. Ich denke, außerhalb dieser Community arbeiten weit mehr Leute freiwillig mit Mafiosi zusammen, als Win-win. Analysen dazu gibt es keine, entsprechende Netzwerke sind aber bekannt. Unternehmer verschiedenster Art sind dabei.
Können Sie uns ein Projekt verraten, an dem Sie gerade arbeiten?
Nach meinem Sachbuch-Bestseller arbeite ich nun an einer literarischen Umsetzung eines realen Falls. Nachdem ich in „Germafia“ zwar unterhaltsam, aber eher nüchtern Fakten und Ermittlungsergebnisse präsentiert habe, geht es mir nun darum, zu zeigen, was Organisierte Kriminalität mit der Gesellschaft anstellt. Ich erzähle eine Familiengeschichte, die von einer echten Begebenheit inspiriert ist. Es wird ein aufwühlendes, emotionales Buch. Selbst beim Schreiben musste ich mir manche Träne verdrücken. Mehr kann ich dazu jetzt noch nicht sagen. Nur so viel: Verlage dürfen sich gerne bei mir melden!