Daimler ist Schauplatz eines langjährigen Zwists zwischen zwei Gewerkschaften Foto: dpa

Die IG Metall ist der Goliath unter den Gewerkschaften in der Metallbranche. Doch ein Monopol hat sie nicht. Eine kleine Organisation macht ihr seit Jahren Einfluss und Posten streitig.

Stuttgart - „Sibylle Wankel ist mit Wirkung zum 25. August 2016 als Arbeitnehmervertreterin zum Mitglied des Aufsichtsrats der Daimler AG bestellt worden“, gab der Daimler-Konzern Ende September per Pressemitteilung bekannt. Vier Wochen später lieferte er auf diskretem Weg eine bisher kaum beachtete Zusatzinformation nach: „Die Bestellung ist noch nicht rechtskräftig“, heißt es auf Seite 15, Spalte 2, im 51-seitigen Zwischenbericht zum Verlauf des dritten Quartals. Die Zurückhaltung dürfte einen Grund haben, denn der Konzern tut sich schwer, einen Aufsichtsratsposten zu besetzen, den bis zur Jahresmitte die damalige Chefjuristin der IG Metall, Sabine Maaßen, innehatte.

Maaßens Platz war frei geworden, weil sie in ihrem Hauptberuf die Seiten wechselte und als Personalchefin bei der Werftensparte von Thyssen-Krupp anheuerte. Für die IG Metall war klar, wer Maaßens Platz einnehmen sollte: Sibylle Wankel, Maaßens Nachfolgerin bei der IG Metall, sollte auch bei Daimler in Maaßens Fußstapfen treten. Doch rechtlich gibt es dabei eine Hürde – die Bestellung erfolgt durch das Gericht und nicht durch eine Gewerkschaft. Damit ergab sich für die konkurrierende Christliche Gewerkschaft Metall (CGM) eine gute Gelegenheit für den Versuch, ein Mandat, das sie vor Jahren beinahe der IG Metall abgetrotzt hätte, doch noch zu erobern. Sie schickte mit Ulrike Schwing-Dengler eine promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin und langjährige Daimler-Abteilungsleiterin ins Rennen vor dem Richtertisch.

Schwing-Dengler hat Führungserfahrung in der Kapitalmarktfinanzierung, im Finanz- und im internationalen Risikocontrolling. „Wir sind schon lange der Ansicht, dass auf die Arbeitnehmerbank des Aufsichtsrats Mitarbeiter des Unternehmens gehören und keine Gewerkschaftsleute“, sagt CGM-Bundesgeschäftsführer Martin Gerhardt. Für die Kontrolle des Vorstands sei es wichtig, komplizierte Sachverhalte und Zahlenwerke erfassen zu können.

Zwei Organisaationen, die einander in herzlicher Abneigung verbunden sind

Bei dem Kampf um den Aufseherposten geht es aber nicht nur um zwei Kandidatinnen, sondern auch um zwei Organisationen, die einander seit Langem in herzlicher Abneigung verbunden sind. Hier die IG Metall, die mit Abstand größte Vertretung der Metall-Arbeitnehmer – und da die CGM, die der IG Metall Einfluss und Mandate streitig machen will.

Konkurrenz unter den organisierten Belegschaftsvertretern hat bei Daimler eine lange Tradition. Teile der Opposition nahmen den damaligen Betriebsratschef Erich Klemm von der IG Metall jahrelang ins Visier, weil er einen „Kuschelkurs“ mit Konzernchef Dieter Zetsche verfolge. Im Jahr 2008 gelang es dem oppositionellen Bündnis „Beschäftigte pro Daimler-Benz“, bei Wahlen der IG Metall einen Aufsichtsratsposten abzunehmen, den gemäß einer Absprache zwei Jahre später die CGM einnehmen sollte.

Doch dazu kam es nicht, denn just zu der Zeit, als die Nachfolge anstand, wurde deren Kandidat von Daimler beschuldigt, Arbeitszeiten aufgeschrieben zu haben, die nie geleistet wurden. Das Arbeitsgericht kassierte zwar die fristlose Kündigung durch Daimler, doch 2012 einigte man sich vor dem Landesarbeitgericht darauf, dass der Betriebsrat gegen eine Abfindung aus dem Unternehmen ausscheidet. Damit war eine Gerichtsentscheidung ebenso hinfällig wie das Mandat, auf das die CGM so lange gehofft hatte.

Zurück blieben allerlei Verschwörungstheorien, wer den CGM-Betriebsrat wohl zum ungünstigsten Zeitpunkt angeschwärzt haben mag – und ein Teil dieser Theorien trug nicht dazu bei, das Verhältnis zur IG Metall zu verbessern, die zuvor zehn Jahre lang versucht hatte, der CGM den Status einer Gewerkschaft wegen Bedeutungslosigkeit aberkennen zu lassen, bis sie 2006 vor dem Bundesarbeitsgericht scheiterte.

Die bisherige IG-Metall-Vertreterin wechselte den Job – und ging zu den Arbeitgebern

Nun, da IG-Metall-Frau Maaßen überraschend ihren Posten aufgab, sah die CGM erneut ihre Chance gekommen und präsentierte mit Schwing-Dengler eine Gegenkandidatin. Noch vor einem Jahr hatte die CGM stillgehalten, als die Stuttgarter Richter den IG-Metall-Landeschef Roman Zitzelsberger als Nachfolger des damals neuen Bundes-Chefs Jörg Hofmann in das Gremium beriefen. Im August dieses Jahres stellte sich das Amtsgericht Stuttgart hinter die IG Metall und berief deren Kandidatin Wankel in das Gremium. Dass die IG Metall bei Daimler die weitaus stärkste Gewerkschaft ist, spielt rechtlich aber keine Rolle. „Bei der Ermessensabwägung stand die Qualifikation und Erfahrung der nunmehr bestellten Aufsichtsrätin sowie die Zusammensetzung des Aufsichtsrates im Vordergrund“, erklärte das Gericht damals unserer Zeitung.

Genau an dieser Frage setzen nun die Anwälte der CGM an, die gegen die von Daimler bereits verkündete Bestellung Wankels Beschwerde eingelegt haben. Anders als Schwing-Dengler, die als Daimler-Mitarbeiterin von vornherein für die Belange des Konzerns stehe, unterliege Wankel einem „Interessenkonflikt“. Schließlich gehöre sie bereits dem Aufsichtsrat des Siemens-Konzerns an, der ebenso wie Daimler stark in den Markt der Elektromobilität einsteigen wolle. Damit habe Siemens eine „Kampfansage“ an Daimler gerichtet, was „eine Zugehörigkeit von Frau Wankel zum Aufsichtsrat von Daimler ausschließt, zumindest aber ihre Auswahl unter zwei Kandidaten durch ein Gericht verbietet“.

Noch problematischer werde der Wechsel durch den Umstand, dass Siemens-Chef Joe Kaeser seinerseits Mitglied des Aufsichtsrats von Daimler ist, dessen „persönliche Zukunft als Vorstand von Siemens auch von der Entscheidung der Siemens-Aufsichtsrätin Wankel abhängig“ sei. Wenn aber ein Mitglied der Arbeitgeberbank von einem Mitglied der Arbeitnehmerbank abhängig sei, so sei dies rechtlich „nicht vertretbar“. Denn dadurch verkehre sich das rechtlich gebotene Übergewicht der Kapitalseite zugunsten der Arbeitnehmerseite ins Gegenteil. Noch schwieriger werde Wankels Berufung dadurch, dass Kaeser bereits erklärt habe, bei Siemens eine Vertragsverlängerung anzustreben, über die auch Wankel entscheidet. Wankels Daimler-Aufsichtsratskollege Kaeser befinde sich damit in einer Abhängigkeitssituation von Wankel.

CGM-Anwälte: eine Mitarbeiterin ist besser geeignet als eine Funktionärin

Mit beißenden Worten vergleichen die CGM-Anwälte die Qualifikationen der beiden Konkurrentinnen: Schwing-Dengler verfüge über internationale Erfahrung und könne als langjährige Mitarbeiterin den Wissenstransfer in den Aufsichtsrat durch „interne Kenntnisse verbessern“. Wankel dagegen sei eine „mit dem Unternehmen nicht vertraute Funktionärin“ und außerdem eine nur im deutschen Recht ausgebildete Volljuristin. Somit seien ihr „119 der 120 maßgeblichen Rechtsordnungen, die der Konzern zu beachten hat, fremd“. Zudem habe Wankel erst vor Kurzem ihr Aufsichtsratsmandat beim von der Dieselkrise gebeutelten Hersteller Audi niedergelegt – kurz zuvor aber erklärt, die Beschäftigten könnten „gerade in der jetzigen Situation die Unterstützung ihrer IG Metall auf allen Ebenen besonders gut gebrauchen“. Wenn sie nun ihr Audi-Mandat zugunsten eines Postens bei Daimler niederlege, lasse sie „nach ihren eigenen Maßstäben Audi und die von ihr dort vertretenen Arbeitnehmer etwas zugespitzter formuliert im Stich“.

Seit einigen Tagen ist die Beschwerde unter dem Aktenzeichen 20W8/16 beim 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart anhängig, nachdem das Amtsgericht seine eigene Entscheidung mit einem sogenannten Nichtabhilfebeschluss bestätigt hatte. Der Ausgang ist offen – sicher ist nur, dass der Streit nicht unbedingt dazu beiträgt, den jahrzehntelangen Zwist zwischen den beiden Arbeitnehmervertretungen zu lösen.