Oscar Pistorius im Sommer 2016 in Pretoria nach einer Gerichtsverhandlung. Beim Berufungsprozess in Bloemfontein ist der Ex-Sprinter nicht anwesend. Foto: AP

Ist der wegen Totschlags verurteilte Ex-Sprinter ein gebrochener Mann, der ein mildes Urteil verdient? Oder hat die Staatsanwaltschaft recht, die eine härtere Strafe verlangt? Und: Zeigt Pistorius zu wenig Reue?

Bloemfontein - Seit Wochen fragen sich die Südafrikaner, womit die Staatsanwaltschaft ihres Landes eigentlich beschäftigt ist – angesichts der Tatsache, dass trotz der unzähligen Korruptionsvorwürfe gegen Präsident Jacob Zuma noch immer keine einzige Anklage erhoben wurde. Inzwischen wissen die Kapbewohner, was den Anklägern wichtiger war: Ein Antrag, mit dem das „schockierend geringe“ Strafmaß von sechs Jahren Haft gegen den beinamputierten Ausnahmesportler Oscar Pistorius außer Kraft gesetzt werden soll. Über das Ersuchen wurde am Freitag vor dem Berufungsgericht in Bloemfontein verhandelt. Wann die Entscheidung der Richter feststeht, ist bislang nicht bekannt.

Damit geht ein Mammutprozess in eine neue Runde, der nicht nur die Menschen in Südafrika viereinhalb Jahre lang in Atem hielt: Das Verfahren gegen den „Blade Runner“ wurde live in alle Welt übertragen. Der inzwischen 30-jährige Olympionike hatte in der Nacht zum Valentinstag am 14. Februar 2013 seine Freunde Reeva Steenkamp in seiner Villa in Pretoria mit vier Pistolenschüssen getötet. Er sei der Überzeugung gewesen, dass es sich bei der Person in der Toilette um einen Einbrecher gehandelt hat, sagt Pistorius bis heute.

Der Mammutprozess ist an Dramatik nicht zu überbieten

Nach einem an Dramatik kaum zu überbietenden Verfahren sprach Thokozile Mazipa, Richterin am Landgericht in Pretoria, den Angeklagten im September 2014 des Totschlags für schuldig und verhängte eine fünfjährige Haftstrafe. Die Staatsanwaltschaft unter Gerrie Nel legte jedoch Berufung gegen das Urteil ein, der im Dezember 2015 stattgegeben wurde. Das Appellationsgericht in Bloemfontein wandelte den Richterspruch in eine Verurteilung wegen Mordes zweiten Grades („dolus eventualis“) um.

Nach südafrikanischem Recht wird damit der Umstand ausgedrückt, dass ein Täter mit seinem Handeln zwar den Tod eines Menschen in Kauf nahm, nicht aber eine bestimmte Person töten wollte. Zur Beimessung eines neuen Strafmaßes verwies das Appellationsgericht den Fall an Richterin Mazipa zurück. Sie verhängte im Juli 2016 eine sechsjährige Haftstrafe gegen den Sportler. Auch gegen diese Entscheidung legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein, woraufhin die Pistorius-Familie den Anklägern vorwarf, einen Feldzug gegen einen gebrochenen Mann zu führen.

Manche möchten, dass Pistorius endlich in Ruhe gelassen wird

Die südafrikanische Öffentlichkeit ist gespalten: Manche möchten, dass Pistorius endlich in Ruhe gelassen wird, andere sehen einen Frauenmörder viel zu sanft behandelt. Vor dem Berufungsgericht in Bloemfontein begründeten die Ankläger ihren Antrag am Freitag mit dem Vorwurf, Pistorius habe niemals wirkliche Reue gezeigt. Eine dermaßen deutliche Unterschreitung des Strafmaßes, das im Mordfall eigentlich eine Mindeststrafe von 15 Jahren vorsieht, sei deshalb unangemessen. Dem hielt die Verteidigung entgegen, dass sich Pistorius von der Person in der Toilette tatsächlich gefährdet und wegen seiner Behinderung äußerst verletzlich gefühlt habe.

Der inhaftierte Sportler war bei der Anhörung nicht anwesend. Er wurde von dem prominenten Verteidiger Barry Roux vertreten. Dessen bisheriger Gegenspieler Gerrie Nel hat die Staatsanwaltschaft inzwischen verlassen. Nel ließ sich als Privatankläger nieder, weil er mit dem politischen Kurs der Behörde nicht länger einverstanden war.

Aufsehen erregte am Kap der Guten Hoffnung auch die Ankündigung einer US-Produktionsfirma, im November mit einem Spielfilm über den Fall Pistorius auf den Markt zu kommen. In dem „Blade Runner Killer“ betitelten Streifen spielt das deutsche Modell Toni Garrn die Rolle von Reeva Steenkamp. Sowohl deren Familie wie die Angehörigen des Verurteilten distanzierten sich bereits von dem Film. Man erwäge auch gerichtliche Schritte, gab Oscars Bruder Carl Pistorius bekannt. Ein Ende der Gerichtstermine ist also noch lange nicht in Sicht.