Idyllisch liegt das ehemalige Kloster Bernstein. Hier war von 1946 bis 1955 die Kunstschule eingerichtet. Foto: Steinmetz

Der Glatter Maler und Grafiker Paul Kälberer hat vor 75 Jahren die Bernsteinschule auf Renfrizhauser Gemarkung als "Arbeitsgruppe für bildende Kunst" gegründet – ein einmaliges Experiment in einer schwierigen Zeit.

Sulz - Die Städte glichen nach dem Zweiten Weltkrieg Ruinen, Ausbildungsmöglichkeiten für angehende Künstler fehlten in den großen Zentren. Kälberer setzte sich kurz nach Kriegsende daher für den Aufbau von dezentralen Landschulen ein.

Kälberers pädagogisches Konzept beruhte auf der Zusammenarbeit von Lehrern und Schülern. Davon versprach er sich eine effizientere Vermittlung künstlerischer und handwerklicher Kenntnisse als durch die Korrektur von Schülerarbeiten. Der Glatter Künstler suchte aber nicht nur nach pragmatischen Lösungen. "Hinter seinem Engagement steckt eine Ideologie, die sich vom naturnahen Leben und der Kunst eine Erneuerung der Gesellschaft erhofft", schreibt Andreas Zoller in seinem Beitrag zur ersten Publikation "Die Bernsteinschule 1946 bis 1951".

Hilfe vom Staat reicht nicht

Der große Wurf scheiterte, zumal Kälberers Ansatz weder großen Anklang beim damaligen Staatssekretariat noch in Künstlerkreisen fand. Seine Hoffnung, zwei Schlösser in Börstingen, heute Kreis Tübingen, damals Landkreis Horb, und in Heudorf bei Riedlingen für den Schulbetrieb nutzen zu können, zerschlug sich.

Übrig blieb das Hofgut Bernstein. Die französische Militärregierung beschlagnahmte kurzerhand das ehemalige Kloster Bernstein, damit dort die Kunstschule am 1. September 1946 eröffnet werden konnte. Vermutlich waren hierbei Kälberers gute Kontakte zur Besatzungsmacht hilfreich. Organisatorisch gliederte sich die Arbeitsgruppe dem Volksbildungswerk an und hielt Verbindung mit dem Verband bildender Künstler. Wichtig war dem Initiator die Unabhängigkeit vom Staat, gleichwohl erwartete er Zuschüsse für seine Schule, die, wie er argumentierte, gemeinnützige Arbeit leiste, die sonst der Staat übernehmen müsste.

Staatliche Zuwendungen gab es zwar, allerdings eher sporadisch und auf jeden Fall viel zu wenig. Die Einrichtung kämpfte permanent mit Geldmangel und dem Problem, die Miete zahlen zu können. Damit verbunden stand die Drohung, die Domäne wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zuzuführen. Dennoch überdauerte die Bernsteinschule neun Jahre. 71 Schüler hatten sie besucht, 35 von ihnen schlugen eine künstlerische Laufbahn ein: "Eine beachtliche Erfolgsquote", finden im Vorwort der Bernstein-Schrift Friedemann Maurer von der Kunststiftung Hohenkarpfen und der Rottweiler Kreisarchivar Bernhard Rüth.

Der Lehrbetrieb startete nicht ohne Anlaufschwierigkeiten. Kälberer, der in Glatt sein Atelier hatte, konzentrierte sich hauptsächlich auf die "Außenpolitik" und damit auf die organisatorischen Angelegenheiten. Hans Pfeiffer, den Kälberer als Lehrer auf den Bernstein holte, musste Lernmethodik und -inhalt erst noch entwickeln. Als Maler und Bildhauer war er ein Allrounder mit umfassendem akademischen Wissen. Er unterrichtete in Farbenlehre, in Kopf- und Aktzeichnen, gab Stilllebenunterricht und unterwies die Schüler in Landschaftsmalerei.

Schülerzahl sinkt

Pfeiffer, von 1946 bis 1953 Lehrer und zeitweise Leiter der Bernsteinschule, legte auf einen regulären Unterrichtsbetrieb sowie formales Können großen Wert. Die Schule bezeichnete er als "Notgemeinschaft", und das war sie auch in einem doppelten Sinn. Sie sei ein Versuch, durch Selbsthilfe die fehlende Akademie zu ersetzten.

Andererseits wurde die mangelnde Unterstützung staatlicher Stellen zunehmend spürbar. Die Schüler lebten in einer Art Internat, und da mussten sie sich neben dem Kunstunterricht beispielsweise auch mit Gartenarbeit beschäftigen.

Die Währungsreform verschlechterte 1948 die wirtschaftliche Lage. Nur noch wenige Schüler konnten das Studiengeld aufbringen. Deren Zahl sank von 30 auf 16 im Jahr 1949. Dennoch bekommt Hans Pfeiffer Unterstützung: Anfang Juli 1950 kam seine Schwester Riccarda Gohr auf den Bernstein und setzt als Lehrerin neue Akzente. Am 29. Dezember 1950 übergab Kälberer die Leitung der Bernsteinschule an Hans Pfeiffer.

In der Rückschau äußerten sich die beiden Lehrer der Bernsteinschule enttäuscht über ihr "Kulturexperiment", das ganz anders als in ihren ursprünglichen Vorstellungen verlaufen ist. Nach der Wiedereröffnung der Akademien in Stuttgart und Karlsruhe konnte sich die Landschule, die zuletzt auch den örtlichen Behörden immer suspekter geworden war, nicht mehr halten. Die Leistung der Gründerväter hat nichtsdestoweniger Bestand: Die Bernsteinschule prägte nicht nur mit diversen Schüler-Ausstellungen die lokale Kultur, heute noch sichtbar an Wandmalereien in Sulz, sondern weit darüber hinaus.

Die ehemaligen Kunstschüler, darunter Professoren, freie Künstler und Kunsterzieher, wirkten als "Multiplikatoren" weiter. Sie prägen die Kulturlandschaft am oberen Neckar und an der oberen Donau. Die Bernsteinschule kann somit als "Kristallisationspunkt" der Nachkriegskunst gesehen werden.

Die Kunststiftung Hohenkarpfen in Hausen ob Verena, der Landkreis Rottweil mit Landrat Manfred Autenrieht und die Stadt Sulz mit Bürgermeister Peter Vosseler hatten in den 1990er-Jahren ein bemerkenswertes Projekt gestartet – mit dem Ziel, den "Mythos" Bernsteinschule kulturhistorisch aufzuarbeiten und wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.

Vorausgegangen war 1992 eine Doppelausstellung zu Paul Kälberer im Kunstmuseum Hohenkarpfen und im Dominikanermuseum in Rottweil. Das Projekt "Bernsteinschule" startete 1993 und war auf drei Jahre konzipiert.

Es folgten viel beachtete Ausstellungen auf dem Hohenkarpfen und in der renovierten Klosterkirche Bernstein. Die damalige Pächterfamlie Kewitz zollte damit im Nachhinein ihren Tribut an die Kunst, die 1955 der Landwirtschaft weichen musste.

Kulturprägend für Region

Auch das Bernstein-Gemeinschaftsprojekt hatte eine nachhaltige Wirkung. Sie brachte einen erheblichen Schub für das kulturelle Leben im Landkreis Rottweil und vor allem in Sulz. Das Landratsamt und die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke hatten viele Werke ehemaliger Bernsteinschüler erworben, jedoch fehlte ein Raum für eine Dauerausstellung der Sammlung. Das war mit ausschlaggebend, das Glatter Wasserschloss zu einem Kultur- und Museumszentrum (KMZ) auszubauen. 2001 war die Eröffnung. Mit jährlich durchschnittlich 20 000 Besuchern zählt das KMZ heute zu den meistbesuchten Museen der Region.