Auch für Renate Künast in Berlin sehen die Umfragewerte gut aus. Foto: dpa

Trittin profitiert vom enttäuschenden Wahlkampf der Grünen-Fraktionschefin in Berlin.

Berlin - Fast schon mit Siegerkranz ist Renate Künast vor knapp einem Jahr angetreten. Viele sahen die 55-Jährige schon als Chefin im Roten Rathaus. Doch die Spitzen-Grüne scheitert an sich, an Berlin und an SPD-Amtsinhaber Wowereit.

Der geordnete Rückzug ist grün. Renate Künast kandidiert zwar noch pro forma für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin. Und das vorhergesagte Ergebnis von mehr als 20 Prozent ist im Vergleich zu den 13,9 Prozent aus der Abgeordnetenhauswahl vor fünf Jahren auch ein starkes Ergebnis. Aber der Einzug der Grünen ins Rote Rathaus, der ist aussichtslos, seitdem Künast ausgerechnet im TV-Duell klein beigab und dem Amtsinhaber Klaus Wowereit (SPD) das Angebot für eine rot-grüne Koalition machte.

Nun wird Künast ihre Städtetour an diesem Sonntag also beenden, wenn die Berliner zur Wahl gehen und - darauf deuten alle Umfragen hin - Wowereit zum dritten Mal zu ihrem Ober-Berliner wählen. Die Herausforderin hingegen wird vom Montag an wieder hauptamtliche Fraktionsvorsitzende sein. Aber welche Rolle wird Künast dann bei den Grünen spielen? Hat sich die 55-Jährige mit ihrer Hauptstadt-Kandidatur als Kanzlerkandidatin 2013 empfohlen?

Trittin hat an Profil gewonnen

Jürgen Trittin wird das zu verhindern wissen. Der Co-Fraktionsvorsitzende arbeitet seit Monaten daran, jener Machtpolitiker zu werden, an dem kein Grüner mehr vorbeikommt. Zum neuen Joschka-Fischer-Obergrünen freilich reicht sein Renommee nicht; noch nicht. Aber er hat parteiübergreifend und damit in der Öffentlichkeit Profil gewonnen. Nicht nur seit er Bundesumweltminister war, sondern seit er unter dem Eindruck der Atomhavarie von Fukushima an der Seite von Parteichefin Claudia Roth den eigenen Reihen gleichsam den politischen GAU abtrotzte: das Ja zum umstrittenen Atomausstieg der verhassten schwarz-gelben Bundesregierung.

In Umfragen, die Sympathiewerte in Zahlen ausdrücken, steht Trittin neuerdings unter den ersten zehn Spitzenpolitikern. Er ist die unumstrittene Nummer eins der Grünen - auch wenn Roth, Künast und der Ko-Vorsitzende Cem Özdemir freilich gefragt werden wollen, wer ihre Nummer eins ist.

Möglicherweise gehen die Grünen 2013 auch wieder ohne eigenen Spitzenkandidaten in den Bundestagswahlkampf. Trittins Souveränität würde nicht einmal das anfechten. Seit Guido Westerwelle nicht mehr FDP-Chef ist und Oskar Lafontaine nur noch an der Saar für die Linken streitet, sind Trittin irgendwie die politischen Gegner abhanden gekommen. So misst er sich im Bundestag vornehmlich mit Angela Merkel - er ist es, der der Kanzlerin im Namen der Grünen erwidert oder sie direkt kritisiert. Schließlich traut sich Trittin das Amt des Vizekanzlers zu. Noch allerdings bemüht sich Merkel, nicht zu zeigen, dass sie den Ex-Verbal-Rüpel inzwischen durchaus als ernstzunehmenden Gegner erkannt hat.

Dass Renate Künast indes in Berlin nicht den gleichen Coup landen konnte wie Winfried Kretschmann in Stuttgart, wird ihr persönlich zugeschrieben: Da war zum einen eine verunglückte Wahlkampagne. Und zum anderen die vermaledeite Koalitionsaussage zugunsten der CDU - jener CDU, an der sich der zornige Widerstand alt-grüner Fahrensleute über Jahrzehnte aufgestaut hatte; "mit denen sollen wir jetzt regieren?", fragten fassungslos 30 Prozent der Berliner Grünen. Erst als sie drohten, sich mit der entscheidenden Zweitstimme zu enthalten, bereitete Künast dem Spuk ein Ende. Wohl zu spät - ihr persönliches Wahljahr endet erfolgloser als das ihrer Partei.