Wien lebt auch von der Begeisterung für Gustav Klimt. Eine Ausstellung im Belvedere zeigt jetzt eine ganz neue Seite des beliebten Jugendstil-Malers.
Schon der erste Satz ist im Grunde eine Provokation: „Großartiges vollbringen wir selten allein oder in völliger Isolation“. Das mag für allerhand Errungenschaften und Erfindungen gelten – aber für die Kunst? Hängt der Kunstbetrieb insgeheim nicht noch der schönen, altmodischen Vorstellung an, dass Künstler Genies seien und mit besonderen Gaben ausgestattet, die sie von der Masse abheben? Und nun wird ausgerechnet am Mythos Gustav Klimt in der Stadt gerüttelt, in die sehr viele Touristen pilgern, weil sie dessen berühmtes Bild „Der Kuss“ bewundern oder fotografieren wollen.
Welche Gemälde kannte Klimt überhaupt?
Das Belvedere, wo „Der Kuss“ hängt, hat nun eine hoch interessante Ausstellung eröffnet, die zeigt, von wem sich Klimt inspirieren ließ, was er abkupferte und kopierte. „Klimt. Inspired by Van Gogh, Rodin, Matisse...“ nennt sich die Ausstellung, die das Ergebnis eines Forschungsprojekts ist, das der Frage nachgegangen ist, welche Künstlerinnen und Künstler um 1900 in Wien, also zu Lebzeiten Klimts, ausgestellt wurden – und welche Werke er auf Reisen gesehen haben muss.
Der Künstler erfindet sich immer wieder neu
Das klingt nach Fleißarbeit, hat aber höchst spannende Ergebnisse hervorgebracht. Denn wo Klimt draufsteht, ist nicht nur Klimt drin, sondern auch van Gogh und Cezanne, Matisse und Monet, Seurat, Bonnard oder Toulouse-Lautrec. Bei allen hat er sich mehr oder weniger hemmungslos bedient. Klimt, heißt es entsprechend in der Ausstellung, habe sich immer wieder neu erfunden – „und das keineswegs aus sich selbst heraus.“
Nun hängen sie nebeneinander, all die Vorbilder, von denen sich der Wiener Maler anregen ließ. Hier hat er die Silhouette eines Frauenkörpers übernommen, dort von einer Marmorfigur die Armhaltung eines Jünglings aufgegriffen. Dann wieder erprobte er den nervösen Pinselstrich der Pointillisten.
Reisen bilden – auch den Maler
Paris war zu Klimts Zeiten der Nabel der Kunstwelt. In Wien dagegen hing man noch einem konservativen Historismus an. „Wir sind in Wien weit hinter der modernen Malerei zurück“, monierte 1894 entsprechend der Schriftsteller Hermann Bahr und schimpfte, dass die Wiener Maler rein gar nichts zur Moderne beisteuere. Gustav Klimt war dagegen offen für die neuen Strömungen – und reiste, um sich zu informieren. „Gestern mit Tschudi Privatgalerie besucht – Cezanne – Monet – sehr schön“, notiert er während eines Parisbesuches 1909.
Auch Stoffbilder beeinflussen Klimt
Die Ausstellung im Belvedere macht nachvollziehbar, wie direkt er das Gesehene häufig verarbeitete. Margaret MacDonald Mackintosh machte Bilder aus Stoff und abstrahierte Figuren zu einfachen Flächen. Klimt greift ihre lang gezogenen Leiber auf, aber überträgt sie in die Malerei. Auf seinem Beethoven-Fries von 1902 finden sich ganz ähnliche schematisierte Figuren.
Monet und van Gogh sind radikaler
In Paris sieht Klimt 1903 eine Landschaft von Vincent van Gogh – im Nebeneinander wird allerdings deutlich, dass der Niederländer sehr viel radikaler als Klimt war, der van Goghs getupften Pinselstrich imitierte. Auch Klimts „Morgen am Teiche“ von 1899 kann kaum mit Monet mithalten. Beide malten, wie sich Bäume und Wolken in der Wasseroberfläche spiegeln. Bei Monet ist der „Arm der Seine bei Giverny im Neben“ allerdings völlig losgelöst von der Gegenständlichkeit und ein magisches wolkiges Farbenspiel.
Verwandlungskünstler und Nachempfinder
Offenbar haben auch die Zeitgenossen bemerkt, was die Ausstellung in Wien jetzt wissenschaftlich belegt: Klimt sei „der emsigste und geschickteste aller Verwandlungskünstler und Nachempfinder“, schrieb 1902 ein Malerkollege.
Doch es spricht durchaus für den Künstler, dass er nicht nur zeitlebens am Austausch interessiert war und sich immer wieder auf neue Entwicklungen einließ. Er schaffte es, bei allen Experimenten (fast) immer seine eigene Handschrift zu bewahren. Ob es die Lust an Ornamenten und Gold war oder der bei ihm typische Verzicht auf räumliche Wirkung – Klimt imitierte die Vorbilder nicht, sondern integrierte sie in sein Werk. Selbst als er das Schwarz-weiß des japanischen Holzschnitts erprobte, blieb er sich im Kern treu.
Schwung und Farbigkeit der Expressionisten
Und doch kann man in der Ausstellung im Belvedere nun einen ganz neuen Klimt entdecken, weil sie den Blick für das schärft, was er von anderen abschaute. Sogar vom Expressionismus ließ er sich zuletzt begeistern und von der tollen Farbigkeit der Fauves. Sein Bildnis der Eugenia Primavesi von 1913 ist auf knatschgelben Hintergrund gemalt – und die Dame trägt ein Kleid mit einem köstlich bunten Muster.
Publikumsmagnet Klimt
Kuss
Das Belvedere Wien besitzt die größte Sammlung von Gustav Klimt. Zu Lebzeiten war er bewundert wie umstritten. Heute profitiert die Stadt von ihrem Sohn, dessen Motive auf zahllosen Souvenirs im großen Stil vermarktet werden. Klimts berühmtestes Bild „Der Kuss“ hängt im Oberen Belvedere.
Ausstellung
3. Februar bis 29. Mai, Unteres Belvedere, täglich 9 bis 18 Uhr.