Initiativen mit gefälschten Unterschriften? Die Vorwürfe wiegen schwer für die direkte Demokratie der Schweiz. Foto: imago /Manuel Geisser

Dunkle Wolken über der Schweizer direkten Demokratie: Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen Wahlbetrugs. Professionelle Sammler sollen Unterschriften für Volksinitiativen gefälscht haben.

In kaum einem anderen Staat stimmen die Bürgerinnen und Bürger so oft über große Fragen ab wie in der Schweiz: Sie entscheiden über mehr Rente, weniger Migration, das Aus für die Atomkraft. Im November steht ein Ja oder Nein zum Ausbau der Nationalstraßen auf dem Zettel. Mit einigem Recht also rühmen die Schweizer ihre direkte Demokratie als einzigartig.

 

Doch seit einigen Wochen liegt ein dunkler Schatten auf der eidgenössischen Demokratie: „Mutmaßlich Tausende Unterschriften für Volksinitiativen sind gefälscht worden, wie Recherchen dieser Redaktion ans Licht gebracht haben“, schreiben die Tamedia-Zeitungen, zu denen der Zürcher Tages-Anzeiger gehört. Die Tamedia-Leute berichten von kommerziellen Sammlern der Unterschriften, „deren Methoden in einen Krimi passen“. Der „Unterschriften-Beschiss“ löst Wellen der Empörung aus und ruft auch die Bundesanwaltschaft auf den Plan. Die Behörde führt nun „mehrere Verfahren“ wegen des Verdachts der Wahlfälschung durch. „Die Verfahren laufen zurzeit gegen verschiedene natürliche Personen und gegen Unbekannt“, erklärte die Anwaltschaft gegenüber dieser Zeitung. Die Beamten hätten bereits Hausdurchsuchungen und andere „Zwangsmaßnahmen“ eingeleitet.

Worum geht es genau? Bürger, die auf Gesamtschweizer Ebene eine Volksabstimmung anstreben, müssen 100 000 gültige Unterschriften sammeln – oder sammeln lassen. Die Gemeinden kontrollieren die Signaturen, dann werden sie bei der Bundeskanzlei in Bern eingereicht. Geht alles mit rechten Dingen zu, findet am Ende des Prozesses eine Volksabstimmung statt.

Doch viele Bürger, zusammengeschlossen in Initiativkomitees, scheuen das mühselige Sammeln der Unterschriften. Diese Kärrnerarbeit überlassen sie professionellen Sammlern: Geld gegen Unterschrift. Pro Unterschrift kassiere die Branche bis zu sieben Schweizer Franken, heißt es.

Bei einigen Profis scheint nun nach den Recherchen der Tamedia und auch des TV-Senders SRF neben Raffgier auch Betrug zum Geschäft zu gehören. So ist von aufdringlichen Sammlern die Rede, die ungefragt den Initiativkomitees Tausende Signaturen aufdrücken wollten. So sollen Bögen mit Unterschriften kaum berührt worden sein, was auf Manipulationen schließen lasse.

Weiter berichten Medien von sich gleichenden Handschriften und sogar von ganzen Datensets, die als Vorlage dienen. „Ich bin überzeugt, dass irgendwo Unterschriftenlisten oder ganze Karteien vorhanden sind, von denen abgeschrieben wird“, gibt ein erfahrener Insider zu Protokoll.

Die Enthüllungen entfachten eine Debatte über das gewerbsmäßige Sammeln. Passen windige Eintreiber von Unterschriften überhaupt zu der hochgelobten direkten Demokratie? „Unsere Demokratie darf nicht zu einem Businessmodell verkommen“, sagt die sozialdemokratische Abgeordnete Nadine Masshardt. Die Sozialdemokraten und die Grünen setzen sich jetzt für ein generelles Verbot des professionellen Sammelns ein.

Doch die Regierung, der Bundesrat und das Parlament wollen von einem Aus für die Profisammler nichts wissen. „Es liegen keine belastbaren Indizien dafür vor, dass Volksbegehren nur dank gefälschter Unterschriften zustande gekommen wären“, erklärte Bundeskanzler Viktor Rossi.